Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Erzählungen von L. Franzos.

Augenblicke verführten Weibe gezwungen. Diese Ehe wurde eine Hölle fiir
den Manu, und auf dem Sterbebette hatte der Vater unserm Viktor den Schwur
abgenommen, nie eine Bürgerliche zu heiraten. Unter dem Drucke dieser Ein¬
wirkungen hatte der Baron Viktor die Gouvernante Lippert verlassen. Sie
hatte dann mit ihrem Kinde, der nunmehr als Verbrecherin dastehenden Vikto¬
rine, ein elendes Leben geführt, indes der Ungetreue eine glänzende Karriere
machte, eine Gräfin heiratete und durch seine wissenschaftlichen und praktischen
Leistungen sich einen wohlgerechtfertigten glänzenden Namen in der österreichi¬
schen Juristenwelt erwarb. Viktor von Sendungen galt als die Verkörperung
des idealen Richters; er verband Güte gegen die Untergebenen mit Freimut
und, wenn es notthat, strengster Observanz seiner richterlichen Unabhängigkeit
gegen die Obern; er war der Hort aller Ehrenmänner seiner Provinz, der be¬
liebteste Mann der Stadt, die ihn jetzt, bei seinem Abgänge an das Ober¬
gericht, mit allen Ehren, die sie zu vergeben hatte, mit Ehrenbürgerrecht,
Fackelzug und Banket. zu feiern rüstete.

Mitten in diese glänzende Laufbahn, in dieses edle, dem Baterlande und der
Menschenliebe gewidmete Leben bricht nun durch die Verhaftung der Unglückliche"
das Verhängnis herein. Zwar weiß weder die Welt noch die Verbrecherin selbst
um ihre Abstammung von dem berühmten Gerichtspräsidenten; nnr ihr Ver¬
teidiger, der sich übrigens aus freiem Antriebe ihres Prozesses angenommen
hat, der Dr. Georg Berger, erfährt den Sachverhalt ans dem Munde des Vaters
selbst, dessen vertrautester Freund er ist, und zu seinem ohnehin lebhaften In¬
teresse für seine Klientin tritt noch das Bewußtsein des furchtbare" Konfliktes
hinzu, in welchen der Jurist, der skrupulös gewissenhafte Richter und der Vater
ii" Präsidenten nun geraten ist. Wohl wäre es dem mächtigen, in seiner un¬
bestechlichen Autorität bisher makellos dastehenden Freiherrn ein Leichtes, den
Prozeß gegen sein Kind, ohne sich diesem und der Welt als Vater zu verraten,
zu einem glimpflichen Urteil zu sichren. Aber in diesem Sendungen, dem
Sprossen einer langen glänzenden Kette hoher richterlicher Würdenträger, ist
das Bewußtsein seiner amtlichen Pflicht nicht minder mächtig als das seiner
natürlichen Schuld. So muß dieser Mann die Folgen seiner That bis in die
äußersten tragischen Konsequenzen durchleben. Den Prozeß selbst in die Hand
zu nehmen, verbietet ihm sein richterliches Gewissen; er kann aus eine mildere
Behandlung der Gefangenen Einfluß üben, das Urteil beeinflussen will er nicht.
Und zum Unglück ist der Vizepräsident, der den Prozeß leitet, ein Mann so
recht nach dem Herzen der damaligen Reaktion: hart gegen die Untergebenen
und gefügig gegen die Obern. Zum Unglück sind gerade schärfere, ja die
schwersten Strafen -- nach der beliebten Abschreckuugstheoric -- gegen den
Kindesmord, wegen seines häufigere" Auftretens, verordnet worden, noch gab
es damals keine Gesetze, welche die begleitende" Umstände mildernd berücksichtigt
hätten. Zum Unglück ferner gesteht Viktorine Lippert in ihrer wahnsinnigen


Neue Erzählungen von L. Franzos.

Augenblicke verführten Weibe gezwungen. Diese Ehe wurde eine Hölle fiir
den Manu, und auf dem Sterbebette hatte der Vater unserm Viktor den Schwur
abgenommen, nie eine Bürgerliche zu heiraten. Unter dem Drucke dieser Ein¬
wirkungen hatte der Baron Viktor die Gouvernante Lippert verlassen. Sie
hatte dann mit ihrem Kinde, der nunmehr als Verbrecherin dastehenden Vikto¬
rine, ein elendes Leben geführt, indes der Ungetreue eine glänzende Karriere
machte, eine Gräfin heiratete und durch seine wissenschaftlichen und praktischen
Leistungen sich einen wohlgerechtfertigten glänzenden Namen in der österreichi¬
schen Juristenwelt erwarb. Viktor von Sendungen galt als die Verkörperung
des idealen Richters; er verband Güte gegen die Untergebenen mit Freimut
und, wenn es notthat, strengster Observanz seiner richterlichen Unabhängigkeit
gegen die Obern; er war der Hort aller Ehrenmänner seiner Provinz, der be¬
liebteste Mann der Stadt, die ihn jetzt, bei seinem Abgänge an das Ober¬
gericht, mit allen Ehren, die sie zu vergeben hatte, mit Ehrenbürgerrecht,
Fackelzug und Banket. zu feiern rüstete.

Mitten in diese glänzende Laufbahn, in dieses edle, dem Baterlande und der
Menschenliebe gewidmete Leben bricht nun durch die Verhaftung der Unglückliche»
das Verhängnis herein. Zwar weiß weder die Welt noch die Verbrecherin selbst
um ihre Abstammung von dem berühmten Gerichtspräsidenten; nnr ihr Ver¬
teidiger, der sich übrigens aus freiem Antriebe ihres Prozesses angenommen
hat, der Dr. Georg Berger, erfährt den Sachverhalt ans dem Munde des Vaters
selbst, dessen vertrautester Freund er ist, und zu seinem ohnehin lebhaften In¬
teresse für seine Klientin tritt noch das Bewußtsein des furchtbare» Konfliktes
hinzu, in welchen der Jurist, der skrupulös gewissenhafte Richter und der Vater
ii» Präsidenten nun geraten ist. Wohl wäre es dem mächtigen, in seiner un¬
bestechlichen Autorität bisher makellos dastehenden Freiherrn ein Leichtes, den
Prozeß gegen sein Kind, ohne sich diesem und der Welt als Vater zu verraten,
zu einem glimpflichen Urteil zu sichren. Aber in diesem Sendungen, dem
Sprossen einer langen glänzenden Kette hoher richterlicher Würdenträger, ist
das Bewußtsein seiner amtlichen Pflicht nicht minder mächtig als das seiner
natürlichen Schuld. So muß dieser Mann die Folgen seiner That bis in die
äußersten tragischen Konsequenzen durchleben. Den Prozeß selbst in die Hand
zu nehmen, verbietet ihm sein richterliches Gewissen; er kann aus eine mildere
Behandlung der Gefangenen Einfluß üben, das Urteil beeinflussen will er nicht.
Und zum Unglück ist der Vizepräsident, der den Prozeß leitet, ein Mann so
recht nach dem Herzen der damaligen Reaktion: hart gegen die Untergebenen
und gefügig gegen die Obern. Zum Unglück sind gerade schärfere, ja die
schwersten Strafen — nach der beliebten Abschreckuugstheoric — gegen den
Kindesmord, wegen seines häufigere» Auftretens, verordnet worden, noch gab
es damals keine Gesetze, welche die begleitende» Umstände mildernd berücksichtigt
hätten. Zum Unglück ferner gesteht Viktorine Lippert in ihrer wahnsinnigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195702"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Erzählungen von   L. Franzos.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1087" prev="#ID_1086"> Augenblicke verführten Weibe gezwungen. Diese Ehe wurde eine Hölle fiir<lb/>
den Manu, und auf dem Sterbebette hatte der Vater unserm Viktor den Schwur<lb/>
abgenommen, nie eine Bürgerliche zu heiraten. Unter dem Drucke dieser Ein¬<lb/>
wirkungen hatte der Baron Viktor die Gouvernante Lippert verlassen. Sie<lb/>
hatte dann mit ihrem Kinde, der nunmehr als Verbrecherin dastehenden Vikto¬<lb/>
rine, ein elendes Leben geführt, indes der Ungetreue eine glänzende Karriere<lb/>
machte, eine Gräfin heiratete und durch seine wissenschaftlichen und praktischen<lb/>
Leistungen sich einen wohlgerechtfertigten glänzenden Namen in der österreichi¬<lb/>
schen Juristenwelt erwarb. Viktor von Sendungen galt als die Verkörperung<lb/>
des idealen Richters; er verband Güte gegen die Untergebenen mit Freimut<lb/>
und, wenn es notthat, strengster Observanz seiner richterlichen Unabhängigkeit<lb/>
gegen die Obern; er war der Hort aller Ehrenmänner seiner Provinz, der be¬<lb/>
liebteste Mann der Stadt, die ihn jetzt, bei seinem Abgänge an das Ober¬<lb/>
gericht, mit allen Ehren, die sie zu vergeben hatte, mit Ehrenbürgerrecht,<lb/>
Fackelzug und Banket. zu feiern rüstete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Mitten in diese glänzende Laufbahn, in dieses edle, dem Baterlande und der<lb/>
Menschenliebe gewidmete Leben bricht nun durch die Verhaftung der Unglückliche»<lb/>
das Verhängnis herein. Zwar weiß weder die Welt noch die Verbrecherin selbst<lb/>
um ihre Abstammung von dem berühmten Gerichtspräsidenten; nnr ihr Ver¬<lb/>
teidiger, der sich übrigens aus freiem Antriebe ihres Prozesses angenommen<lb/>
hat, der Dr. Georg Berger, erfährt den Sachverhalt ans dem Munde des Vaters<lb/>
selbst, dessen vertrautester Freund er ist, und zu seinem ohnehin lebhaften In¬<lb/>
teresse für seine Klientin tritt noch das Bewußtsein des furchtbare» Konfliktes<lb/>
hinzu, in welchen der Jurist, der skrupulös gewissenhafte Richter und der Vater<lb/>
ii» Präsidenten nun geraten ist. Wohl wäre es dem mächtigen, in seiner un¬<lb/>
bestechlichen Autorität bisher makellos dastehenden Freiherrn ein Leichtes, den<lb/>
Prozeß gegen sein Kind, ohne sich diesem und der Welt als Vater zu verraten,<lb/>
zu einem glimpflichen Urteil zu sichren. Aber in diesem Sendungen, dem<lb/>
Sprossen einer langen glänzenden Kette hoher richterlicher Würdenträger, ist<lb/>
das Bewußtsein seiner amtlichen Pflicht nicht minder mächtig als das seiner<lb/>
natürlichen Schuld. So muß dieser Mann die Folgen seiner That bis in die<lb/>
äußersten tragischen Konsequenzen durchleben. Den Prozeß selbst in die Hand<lb/>
zu nehmen, verbietet ihm sein richterliches Gewissen; er kann aus eine mildere<lb/>
Behandlung der Gefangenen Einfluß üben, das Urteil beeinflussen will er nicht.<lb/>
Und zum Unglück ist der Vizepräsident, der den Prozeß leitet, ein Mann so<lb/>
recht nach dem Herzen der damaligen Reaktion: hart gegen die Untergebenen<lb/>
und gefügig gegen die Obern. Zum Unglück sind gerade schärfere, ja die<lb/>
schwersten Strafen &#x2014; nach der beliebten Abschreckuugstheoric &#x2014; gegen den<lb/>
Kindesmord, wegen seines häufigere» Auftretens, verordnet worden, noch gab<lb/>
es damals keine Gesetze, welche die begleitende» Umstände mildernd berücksichtigt<lb/>
hätten.  Zum Unglück ferner gesteht Viktorine Lippert in ihrer wahnsinnigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] Neue Erzählungen von L. Franzos. Augenblicke verführten Weibe gezwungen. Diese Ehe wurde eine Hölle fiir den Manu, und auf dem Sterbebette hatte der Vater unserm Viktor den Schwur abgenommen, nie eine Bürgerliche zu heiraten. Unter dem Drucke dieser Ein¬ wirkungen hatte der Baron Viktor die Gouvernante Lippert verlassen. Sie hatte dann mit ihrem Kinde, der nunmehr als Verbrecherin dastehenden Vikto¬ rine, ein elendes Leben geführt, indes der Ungetreue eine glänzende Karriere machte, eine Gräfin heiratete und durch seine wissenschaftlichen und praktischen Leistungen sich einen wohlgerechtfertigten glänzenden Namen in der österreichi¬ schen Juristenwelt erwarb. Viktor von Sendungen galt als die Verkörperung des idealen Richters; er verband Güte gegen die Untergebenen mit Freimut und, wenn es notthat, strengster Observanz seiner richterlichen Unabhängigkeit gegen die Obern; er war der Hort aller Ehrenmänner seiner Provinz, der be¬ liebteste Mann der Stadt, die ihn jetzt, bei seinem Abgänge an das Ober¬ gericht, mit allen Ehren, die sie zu vergeben hatte, mit Ehrenbürgerrecht, Fackelzug und Banket. zu feiern rüstete. Mitten in diese glänzende Laufbahn, in dieses edle, dem Baterlande und der Menschenliebe gewidmete Leben bricht nun durch die Verhaftung der Unglückliche» das Verhängnis herein. Zwar weiß weder die Welt noch die Verbrecherin selbst um ihre Abstammung von dem berühmten Gerichtspräsidenten; nnr ihr Ver¬ teidiger, der sich übrigens aus freiem Antriebe ihres Prozesses angenommen hat, der Dr. Georg Berger, erfährt den Sachverhalt ans dem Munde des Vaters selbst, dessen vertrautester Freund er ist, und zu seinem ohnehin lebhaften In¬ teresse für seine Klientin tritt noch das Bewußtsein des furchtbare» Konfliktes hinzu, in welchen der Jurist, der skrupulös gewissenhafte Richter und der Vater ii» Präsidenten nun geraten ist. Wohl wäre es dem mächtigen, in seiner un¬ bestechlichen Autorität bisher makellos dastehenden Freiherrn ein Leichtes, den Prozeß gegen sein Kind, ohne sich diesem und der Welt als Vater zu verraten, zu einem glimpflichen Urteil zu sichren. Aber in diesem Sendungen, dem Sprossen einer langen glänzenden Kette hoher richterlicher Würdenträger, ist das Bewußtsein seiner amtlichen Pflicht nicht minder mächtig als das seiner natürlichen Schuld. So muß dieser Mann die Folgen seiner That bis in die äußersten tragischen Konsequenzen durchleben. Den Prozeß selbst in die Hand zu nehmen, verbietet ihm sein richterliches Gewissen; er kann aus eine mildere Behandlung der Gefangenen Einfluß üben, das Urteil beeinflussen will er nicht. Und zum Unglück ist der Vizepräsident, der den Prozeß leitet, ein Mann so recht nach dem Herzen der damaligen Reaktion: hart gegen die Untergebenen und gefügig gegen die Obern. Zum Unglück sind gerade schärfere, ja die schwersten Strafen — nach der beliebten Abschreckuugstheoric — gegen den Kindesmord, wegen seines häufigere» Auftretens, verordnet worden, noch gab es damals keine Gesetze, welche die begleitende» Umstände mildernd berücksichtigt hätten. Zum Unglück ferner gesteht Viktorine Lippert in ihrer wahnsinnigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/313>, abgerufen am 22.07.2024.