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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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^5 Uhr nachmittags. Soeben hat die Deputation Bericht erstattet. Die
Sitzung hat fast acht Stunden gedauert und ist noch nicht zu Ende. Es drängt!
Es drangt!"

Sie endete mit Verweisung der Antwort des Reichsverwesers und sämt¬
licher dazu gestellten Anträge an die Dreißigerkommission, also ohne wirkliche
Entscheidung; am wenigsten mit dem Rücktritt des Erzherzogs, der die Depu¬
tation mit einer kühl ausweichenden, thatsächlich ablehnenden Antwort ent¬
lassen hatte.")

Auch die nächstei, Tage brachte:? diese Entscheidung noch nicht. Am 11. Mai
wurden sämtliche Anträge des Drcißigerausschusscs u. a. auf die folgende Sitzung
(12. Mai) vertagt; in dieser fand dann nur der Backhaussche Antrag auf Ver-
eitung aller Landwehren und Bürgcrwchren in den Staaten, welche die Reichs-
verfassung angenommen hatten, Zustimmung; die weitergehenden der Majorität
des Ausschusses aus Vereitung der Versammlung selbst, auf Bildung eines
Reichsheeres zur Durchführung der Verfassung u. s. f. wurden zurückgezogen.
Da tauchte bei N. noch einmal ein schwacher Schimmer von Hoffnung auf.
"Die heutige Sitzung, schreibt er an? 12. Mai, ist im ganzen ruhig verlaufen.
Aber freilich haben wir noch keine Entscheidung. Noch hat der Reichsverweser
ein Ministerium nicht gebildet, es läßt sich also auch noch nicht sagen, ob und
wann zwischen der Nationalversammlung und dem Reichsverweser ein Konflikt
eintreten wird. Mein Entschluß steht fest, gegen den Reichsverweser nicht mit
aufzutreten und das von diesem gebildete Ministerium zu unterstützen, oder,
wenn ich das aus Grundsatz nicht thun kann, Frankfurt zu verlassen. Mein
sehnlichster Wunsch ist, daß die Regierungen der größern Staaten auf den Weg
einlenken, welchen gestern der wahrscheinlich nächstens hervortretende Minister-
Präsident von Hermann (München) in einem Antrage bezeichnet hatte."") Ich
hoffe, daß unterdes die zum Äußersten drängende Partei, schon durch die
Dresdner Ereignisse gewarnt, mich von andern Seiten her Anlaß erhalten wird,
sich auf das Mögliche zu beschränken. Ich gestehe, daß ich heute etwas freier atme."

In dieser Stimmung besuchte er am 13. Mai Heidelberg, herzlich froh,
einmal um Politik sich garnicht kümmern zu müssen, obwohl er dem Schau-
Platze des Aufstandes in Rheinbaiern sehr nahe war. "Ein republikanisches
Zeitungsblatt, das mir in die Hände fiel, war so widerlich gemein, daß ich es
sofort wieder auf die Seite warf. Nun treibt mich meine Pflicht freilich wieder
M den Schmutz der Politik hinein."




*) "Das sind Prinzipien. Sie handeln nach Ihren, ich nach meine"; darüber können
wir keine Polemik führen," entgegnete er auf jene Frage. Stenographischer Bericht IX, 6S09.
5") Nach seinem Antrage sollte die Gewalt des Rcichsoberhauptes provisorisch ans den
Reichsverweser übertragen werden, der nächste Reichstag befugt sein, Änderungen an der
Reichsverfassung vorzunehmen und die Einzelstaaten das Recht haben, dazu Vorschlage zu
wachen.

^5 Uhr nachmittags. Soeben hat die Deputation Bericht erstattet. Die
Sitzung hat fast acht Stunden gedauert und ist noch nicht zu Ende. Es drängt!
Es drangt!"

Sie endete mit Verweisung der Antwort des Reichsverwesers und sämt¬
licher dazu gestellten Anträge an die Dreißigerkommission, also ohne wirkliche
Entscheidung; am wenigsten mit dem Rücktritt des Erzherzogs, der die Depu¬
tation mit einer kühl ausweichenden, thatsächlich ablehnenden Antwort ent¬
lassen hatte.")

Auch die nächstei, Tage brachte:? diese Entscheidung noch nicht. Am 11. Mai
wurden sämtliche Anträge des Drcißigerausschusscs u. a. auf die folgende Sitzung
(12. Mai) vertagt; in dieser fand dann nur der Backhaussche Antrag auf Ver-
eitung aller Landwehren und Bürgcrwchren in den Staaten, welche die Reichs-
verfassung angenommen hatten, Zustimmung; die weitergehenden der Majorität
des Ausschusses aus Vereitung der Versammlung selbst, auf Bildung eines
Reichsheeres zur Durchführung der Verfassung u. s. f. wurden zurückgezogen.
Da tauchte bei N. noch einmal ein schwacher Schimmer von Hoffnung auf.
„Die heutige Sitzung, schreibt er an? 12. Mai, ist im ganzen ruhig verlaufen.
Aber freilich haben wir noch keine Entscheidung. Noch hat der Reichsverweser
ein Ministerium nicht gebildet, es läßt sich also auch noch nicht sagen, ob und
wann zwischen der Nationalversammlung und dem Reichsverweser ein Konflikt
eintreten wird. Mein Entschluß steht fest, gegen den Reichsverweser nicht mit
aufzutreten und das von diesem gebildete Ministerium zu unterstützen, oder,
wenn ich das aus Grundsatz nicht thun kann, Frankfurt zu verlassen. Mein
sehnlichster Wunsch ist, daß die Regierungen der größern Staaten auf den Weg
einlenken, welchen gestern der wahrscheinlich nächstens hervortretende Minister-
Präsident von Hermann (München) in einem Antrage bezeichnet hatte."") Ich
hoffe, daß unterdes die zum Äußersten drängende Partei, schon durch die
Dresdner Ereignisse gewarnt, mich von andern Seiten her Anlaß erhalten wird,
sich auf das Mögliche zu beschränken. Ich gestehe, daß ich heute etwas freier atme."

In dieser Stimmung besuchte er am 13. Mai Heidelberg, herzlich froh,
einmal um Politik sich garnicht kümmern zu müssen, obwohl er dem Schau-
Platze des Aufstandes in Rheinbaiern sehr nahe war. „Ein republikanisches
Zeitungsblatt, das mir in die Hände fiel, war so widerlich gemein, daß ich es
sofort wieder auf die Seite warf. Nun treibt mich meine Pflicht freilich wieder
M den Schmutz der Politik hinein."




*) „Das sind Prinzipien. Sie handeln nach Ihren, ich nach meine»; darüber können
wir keine Polemik führen," entgegnete er auf jene Frage. Stenographischer Bericht IX, 6S09.
5") Nach seinem Antrage sollte die Gewalt des Rcichsoberhauptes provisorisch ans den
Reichsverweser übertragen werden, der nächste Reichstag befugt sein, Änderungen an der
Reichsverfassung vorzunehmen und die Einzelstaaten das Recht haben, dazu Vorschlage zu
wachen.
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[0304] ^5 Uhr nachmittags. Soeben hat die Deputation Bericht erstattet. Die Sitzung hat fast acht Stunden gedauert und ist noch nicht zu Ende. Es drängt! Es drangt!" Sie endete mit Verweisung der Antwort des Reichsverwesers und sämt¬ licher dazu gestellten Anträge an die Dreißigerkommission, also ohne wirkliche Entscheidung; am wenigsten mit dem Rücktritt des Erzherzogs, der die Depu¬ tation mit einer kühl ausweichenden, thatsächlich ablehnenden Antwort ent¬ lassen hatte.") Auch die nächstei, Tage brachte:? diese Entscheidung noch nicht. Am 11. Mai wurden sämtliche Anträge des Drcißigerausschusscs u. a. auf die folgende Sitzung (12. Mai) vertagt; in dieser fand dann nur der Backhaussche Antrag auf Ver- eitung aller Landwehren und Bürgcrwchren in den Staaten, welche die Reichs- verfassung angenommen hatten, Zustimmung; die weitergehenden der Majorität des Ausschusses aus Vereitung der Versammlung selbst, auf Bildung eines Reichsheeres zur Durchführung der Verfassung u. s. f. wurden zurückgezogen. Da tauchte bei N. noch einmal ein schwacher Schimmer von Hoffnung auf. „Die heutige Sitzung, schreibt er an? 12. Mai, ist im ganzen ruhig verlaufen. Aber freilich haben wir noch keine Entscheidung. Noch hat der Reichsverweser ein Ministerium nicht gebildet, es läßt sich also auch noch nicht sagen, ob und wann zwischen der Nationalversammlung und dem Reichsverweser ein Konflikt eintreten wird. Mein Entschluß steht fest, gegen den Reichsverweser nicht mit aufzutreten und das von diesem gebildete Ministerium zu unterstützen, oder, wenn ich das aus Grundsatz nicht thun kann, Frankfurt zu verlassen. Mein sehnlichster Wunsch ist, daß die Regierungen der größern Staaten auf den Weg einlenken, welchen gestern der wahrscheinlich nächstens hervortretende Minister- Präsident von Hermann (München) in einem Antrage bezeichnet hatte."") Ich hoffe, daß unterdes die zum Äußersten drängende Partei, schon durch die Dresdner Ereignisse gewarnt, mich von andern Seiten her Anlaß erhalten wird, sich auf das Mögliche zu beschränken. Ich gestehe, daß ich heute etwas freier atme." In dieser Stimmung besuchte er am 13. Mai Heidelberg, herzlich froh, einmal um Politik sich garnicht kümmern zu müssen, obwohl er dem Schau- Platze des Aufstandes in Rheinbaiern sehr nahe war. „Ein republikanisches Zeitungsblatt, das mir in die Hände fiel, war so widerlich gemein, daß ich es sofort wieder auf die Seite warf. Nun treibt mich meine Pflicht freilich wieder M den Schmutz der Politik hinein." *) „Das sind Prinzipien. Sie handeln nach Ihren, ich nach meine»; darüber können wir keine Polemik führen," entgegnete er auf jene Frage. Stenographischer Bericht IX, 6S09. 5") Nach seinem Antrage sollte die Gewalt des Rcichsoberhauptes provisorisch ans den Reichsverweser übertragen werden, der nächste Reichstag befugt sein, Änderungen an der Reichsverfassung vorzunehmen und die Einzelstaaten das Recht haben, dazu Vorschlage zu wachen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/304>, abgerufen am 22.07.2024.