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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Als er abends nach Frankfurt zurückkehrte, fand er "die erschreckenden Nachrichten
aus Sachsen" vor.

Sie setzten die Stadt und das Parlament in "unbeschreibliche Aufregung."
"Die Zeit ist furchtbar ernst geworden und der (allgemeine) Bürgerkrieg fast
nicht zu verhüten," schrieb er unter dem frischen Eindruck am 7. Mai. "Möchte
die Nationalversammlung in diesen entscheidenden Tagen Festigkeit und Mäßigung
stets in der rechten Weise zu verbinden wissen! Ich fürchte, es wird nicht mehr
lange möglich sein."

Bereits die Sitzung dieses Tages gab ihm Recht. "Heute schon gerieten
die Leidenschaften heftig aneinander; selbst Heinrich von Gagern vergaß sich und
mußte zur Ordnung gerufen werden." Aber er fügte sich: "niemals stand er
sittlich höher als in diesem Momente."") Unter diesem Eindrucke fiel wenigstens
der Antrag Wesendoncks, sämtliche deutsche Truppen ans die Reichsverfassung zu
vereitelt und einem von der Zentralgewalt zu ernennenden Oberbefehlshaber zu
unterstellen, mit 209 gegen 140 Stimmen; aber als dann eine Zuschrift der
provisorischen sächsischen Regierung vom 4. Mai, welche ihre Konstituirung
meldete und sich unter deu Schutz der Reichsverfassung stellte, zur Verlesung
kam, stieg die Aufregung wieder aufs Höchste. Nicht weniger als vier Anträge
meist sächsischer Abgeordneten drängten sich zur Debatte. Den relativ gemäßigtsten
von Hensel hatte auch N. mit unterstützt; er forderte die Zentralgewalt auf,
Sachsen, das sich für die Reichsverfassung erhoben, gegen fremdes militärisches
Einschreiten (Preußens) zu schützen. Aber nach heftiger Debatte nahm doch
das Haus deu Antrag Soirous an, welcher sämtliche Anträge der Zentral-
verwaltung zur Ergreifung der nötigen Maßregeln überwies und dadurch be¬
denkliche Beschlüsse verhütete.

Freilich nur noch für deu Augenblick. "Es fehlt nur wenig noch, so
stürzt dieses Ministerium; dann ist auch die Zentralgewalt haltungslos und
die Auflösung der Nationalversammlung unvermeidlich. Die Folge könnte nur '
das Hervortreten einer zu allem entschlossenen Partei, die Entzündung des
wildesten Kampfes sein. Ich werde nicht mit den Leidenschaftlichen gehen; in
einem Bürgerkriege ist für mich kein Platz, kann ich keine Rolle spielen." Drei
Tage nachher kam, was N. vorausgesehen.

Am 8. Mai fand nur eine kurze Sitzung statt, "die schon nach einer halben
Stunde unter entsetzlicher Verwirrung vom Vizepräsidenten Bauer geschlossen
werden mußte." Der "Deutsche Hof" beschloß darauf ausdrücklich, Mäßigung
zu beobachten, aber in der nun folgenden außerordentlichen Sitzung desselben
Tages drängten sich ungestüme Interpellationen und Anträge der Linken betreffs



*) Als er gegenüber dem Drängen der äußersten Linken erklärt hatte, er werde sich
im Falle eines gewaltsamen Zusammenstoßes selber zwischen die Bajonette werfen, und die
Linke darüber lachte, rief er ihr anßer sich zu: "Buben lache" darüber." (Stenographischer
Bericht IX, 6458.)
Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Als er abends nach Frankfurt zurückkehrte, fand er „die erschreckenden Nachrichten
aus Sachsen" vor.

Sie setzten die Stadt und das Parlament in „unbeschreibliche Aufregung."
„Die Zeit ist furchtbar ernst geworden und der (allgemeine) Bürgerkrieg fast
nicht zu verhüten," schrieb er unter dem frischen Eindruck am 7. Mai. „Möchte
die Nationalversammlung in diesen entscheidenden Tagen Festigkeit und Mäßigung
stets in der rechten Weise zu verbinden wissen! Ich fürchte, es wird nicht mehr
lange möglich sein."

Bereits die Sitzung dieses Tages gab ihm Recht. „Heute schon gerieten
die Leidenschaften heftig aneinander; selbst Heinrich von Gagern vergaß sich und
mußte zur Ordnung gerufen werden." Aber er fügte sich: „niemals stand er
sittlich höher als in diesem Momente."") Unter diesem Eindrucke fiel wenigstens
der Antrag Wesendoncks, sämtliche deutsche Truppen ans die Reichsverfassung zu
vereitelt und einem von der Zentralgewalt zu ernennenden Oberbefehlshaber zu
unterstellen, mit 209 gegen 140 Stimmen; aber als dann eine Zuschrift der
provisorischen sächsischen Regierung vom 4. Mai, welche ihre Konstituirung
meldete und sich unter deu Schutz der Reichsverfassung stellte, zur Verlesung
kam, stieg die Aufregung wieder aufs Höchste. Nicht weniger als vier Anträge
meist sächsischer Abgeordneten drängten sich zur Debatte. Den relativ gemäßigtsten
von Hensel hatte auch N. mit unterstützt; er forderte die Zentralgewalt auf,
Sachsen, das sich für die Reichsverfassung erhoben, gegen fremdes militärisches
Einschreiten (Preußens) zu schützen. Aber nach heftiger Debatte nahm doch
das Haus deu Antrag Soirous an, welcher sämtliche Anträge der Zentral-
verwaltung zur Ergreifung der nötigen Maßregeln überwies und dadurch be¬
denkliche Beschlüsse verhütete.

Freilich nur noch für deu Augenblick. „Es fehlt nur wenig noch, so
stürzt dieses Ministerium; dann ist auch die Zentralgewalt haltungslos und
die Auflösung der Nationalversammlung unvermeidlich. Die Folge könnte nur '
das Hervortreten einer zu allem entschlossenen Partei, die Entzündung des
wildesten Kampfes sein. Ich werde nicht mit den Leidenschaftlichen gehen; in
einem Bürgerkriege ist für mich kein Platz, kann ich keine Rolle spielen." Drei
Tage nachher kam, was N. vorausgesehen.

Am 8. Mai fand nur eine kurze Sitzung statt, „die schon nach einer halben
Stunde unter entsetzlicher Verwirrung vom Vizepräsidenten Bauer geschlossen
werden mußte." Der „Deutsche Hof" beschloß darauf ausdrücklich, Mäßigung
zu beobachten, aber in der nun folgenden außerordentlichen Sitzung desselben
Tages drängten sich ungestüme Interpellationen und Anträge der Linken betreffs



*) Als er gegenüber dem Drängen der äußersten Linken erklärt hatte, er werde sich
im Falle eines gewaltsamen Zusammenstoßes selber zwischen die Bajonette werfen, und die
Linke darüber lachte, rief er ihr anßer sich zu: „Buben lache» darüber." (Stenographischer
Bericht IX, 6458.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/301>, abgerufen am 22.07.2024.