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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Dreiszigerausschusses einen ungewissen Sieg. Es begnügte sich damit, die selb¬
ständige Ausschreibung der Wahlen zum Reichstage sür den 13. Juli, seines
Zusammentritts für den 22. August zu empfehlen, indem es dabei prinzipiell
an der preußischen Spitze festhielt. "Der gestrige Tag war ein sehr stürmischer,
berichtet am 6. Mai N. über diese Vorgänge. Wir haben von früh 9 Uhr
bis abends halb 10 Uhr mit geringen Unterbrechungen Sitzung gehabt. Die
Versammlung war teilweise in fast fieberhafter Aufregung, die dichtbesetzten
Tribünen nahmen einen höchst leidenschaftlichen Anteil an den Verhandlungen
und Abstimmungen, sodaß der Präsident wiederholt seine drohende Stimme er¬
heben mußte. Die Umgebungen der Paulskirche waren auch abends noch er¬
füllt von Abgeordneten, welche frische Luft schöpften, und von Volkshaufen,
welche die Neugierde herbeiführte. Als ich selbst gegen 9 Uhr mit zwei
andern Deputaten vor der Kirche über die letzte Abstimmung mich unterhielt,
Scharte sich um uns eine Menschenmasse, die in lautloser Stille jedes unsrer
Worte auffing. Nachdem endlich die Sitzung zu Ende war und die Massen
aus der Kirche auf den Pcmlsplatz sich ergossen, erhob sich auf der einen Seite
ein so tolles Pfeifen, anf der andern ein so ungestümes Bravorufen, endlich ein
so kecker Gesang, daß eine österreichische Patrouille anmarschirte, woraus sich die
Menge allmählich verlief." Er fügt noch hinzu: "Ju acht Tagen wird mein
Schicksal als Nationalvertreter entschieden sein. Nimmt unser König die Reichs¬
verfassung nicht an, so werden jedenfalls die sächsischen Abgeordneten sofort die
Aufforderung erhalten, Frankfurt zu verlassen. Gleiches geschieht vielleicht schon
in den nächsten Tagen von der preußischen, vielleicht auch von der bairischen
Regierung."

Als er diese Zeilen schrieb, war in seiner Heimat schon die erwartete Ent¬
scheidung gefallen, Dresden im Aufstand, der König geflüchtet, eine provisorische
Regierung gebildet, das erste Blut im Straßenkampfe geflossen. Auch ohne
daß die Nationalversammlung sich an die Spitze gestellt Hütte, war das, was er
längst gefürchtet hatte, eingetreten: der Bürgerkrieg.

Noch ohne eine Ahnung davon hatte er den Sonntag (6. Mai) zu einem
Ausfluge in den Taunus benutzt, und in der Freude über die herrliche Land¬
schaft, die im hellsten Glänze der Maiensonne vor ihm ausgebreitet lag, des
leidenschaftlichen Getriebes der Paulskirche auf einige Stunden vergessen. Ganz
freilich blieb ihm die Erinnerung an die drohenden Verhältnisse doch nicht er¬
spart, er erzählt selbst darüber mit einer gewissen Laune folgendes: "Als ich
zur Burg Königstein emporkletterte, umringte mich ein Rudel dienstfertiger
Jungen, die mich groß anstaunten, als sie endlich herausgebracht hatten, daß
ich ein Mitglied des Parlaments sei. Sie versicherten, daß, wenn das Parla¬
ment in Frankfurt von den Preußen angegriffen würde, die ganze Bürgerwehr
von Königstein und halb Nassau nach Frankfurt eilen würde. Nachher sah ich
die genannte Bürgerwehr mit Flinten und Lanzen auf den Übungsplatz ziehen."


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Dreiszigerausschusses einen ungewissen Sieg. Es begnügte sich damit, die selb¬
ständige Ausschreibung der Wahlen zum Reichstage sür den 13. Juli, seines
Zusammentritts für den 22. August zu empfehlen, indem es dabei prinzipiell
an der preußischen Spitze festhielt. „Der gestrige Tag war ein sehr stürmischer,
berichtet am 6. Mai N. über diese Vorgänge. Wir haben von früh 9 Uhr
bis abends halb 10 Uhr mit geringen Unterbrechungen Sitzung gehabt. Die
Versammlung war teilweise in fast fieberhafter Aufregung, die dichtbesetzten
Tribünen nahmen einen höchst leidenschaftlichen Anteil an den Verhandlungen
und Abstimmungen, sodaß der Präsident wiederholt seine drohende Stimme er¬
heben mußte. Die Umgebungen der Paulskirche waren auch abends noch er¬
füllt von Abgeordneten, welche frische Luft schöpften, und von Volkshaufen,
welche die Neugierde herbeiführte. Als ich selbst gegen 9 Uhr mit zwei
andern Deputaten vor der Kirche über die letzte Abstimmung mich unterhielt,
Scharte sich um uns eine Menschenmasse, die in lautloser Stille jedes unsrer
Worte auffing. Nachdem endlich die Sitzung zu Ende war und die Massen
aus der Kirche auf den Pcmlsplatz sich ergossen, erhob sich auf der einen Seite
ein so tolles Pfeifen, anf der andern ein so ungestümes Bravorufen, endlich ein
so kecker Gesang, daß eine österreichische Patrouille anmarschirte, woraus sich die
Menge allmählich verlief." Er fügt noch hinzu: „Ju acht Tagen wird mein
Schicksal als Nationalvertreter entschieden sein. Nimmt unser König die Reichs¬
verfassung nicht an, so werden jedenfalls die sächsischen Abgeordneten sofort die
Aufforderung erhalten, Frankfurt zu verlassen. Gleiches geschieht vielleicht schon
in den nächsten Tagen von der preußischen, vielleicht auch von der bairischen
Regierung."

Als er diese Zeilen schrieb, war in seiner Heimat schon die erwartete Ent¬
scheidung gefallen, Dresden im Aufstand, der König geflüchtet, eine provisorische
Regierung gebildet, das erste Blut im Straßenkampfe geflossen. Auch ohne
daß die Nationalversammlung sich an die Spitze gestellt Hütte, war das, was er
längst gefürchtet hatte, eingetreten: der Bürgerkrieg.

Noch ohne eine Ahnung davon hatte er den Sonntag (6. Mai) zu einem
Ausfluge in den Taunus benutzt, und in der Freude über die herrliche Land¬
schaft, die im hellsten Glänze der Maiensonne vor ihm ausgebreitet lag, des
leidenschaftlichen Getriebes der Paulskirche auf einige Stunden vergessen. Ganz
freilich blieb ihm die Erinnerung an die drohenden Verhältnisse doch nicht er¬
spart, er erzählt selbst darüber mit einer gewissen Laune folgendes: „Als ich
zur Burg Königstein emporkletterte, umringte mich ein Rudel dienstfertiger
Jungen, die mich groß anstaunten, als sie endlich herausgebracht hatten, daß
ich ein Mitglied des Parlaments sei. Sie versicherten, daß, wenn das Parla¬
ment in Frankfurt von den Preußen angegriffen würde, die ganze Bürgerwehr
von Königstein und halb Nassau nach Frankfurt eilen würde. Nachher sah ich
die genannte Bürgerwehr mit Flinten und Lanzen auf den Übungsplatz ziehen."


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[0300] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. Dreiszigerausschusses einen ungewissen Sieg. Es begnügte sich damit, die selb¬ ständige Ausschreibung der Wahlen zum Reichstage sür den 13. Juli, seines Zusammentritts für den 22. August zu empfehlen, indem es dabei prinzipiell an der preußischen Spitze festhielt. „Der gestrige Tag war ein sehr stürmischer, berichtet am 6. Mai N. über diese Vorgänge. Wir haben von früh 9 Uhr bis abends halb 10 Uhr mit geringen Unterbrechungen Sitzung gehabt. Die Versammlung war teilweise in fast fieberhafter Aufregung, die dichtbesetzten Tribünen nahmen einen höchst leidenschaftlichen Anteil an den Verhandlungen und Abstimmungen, sodaß der Präsident wiederholt seine drohende Stimme er¬ heben mußte. Die Umgebungen der Paulskirche waren auch abends noch er¬ füllt von Abgeordneten, welche frische Luft schöpften, und von Volkshaufen, welche die Neugierde herbeiführte. Als ich selbst gegen 9 Uhr mit zwei andern Deputaten vor der Kirche über die letzte Abstimmung mich unterhielt, Scharte sich um uns eine Menschenmasse, die in lautloser Stille jedes unsrer Worte auffing. Nachdem endlich die Sitzung zu Ende war und die Massen aus der Kirche auf den Pcmlsplatz sich ergossen, erhob sich auf der einen Seite ein so tolles Pfeifen, anf der andern ein so ungestümes Bravorufen, endlich ein so kecker Gesang, daß eine österreichische Patrouille anmarschirte, woraus sich die Menge allmählich verlief." Er fügt noch hinzu: „Ju acht Tagen wird mein Schicksal als Nationalvertreter entschieden sein. Nimmt unser König die Reichs¬ verfassung nicht an, so werden jedenfalls die sächsischen Abgeordneten sofort die Aufforderung erhalten, Frankfurt zu verlassen. Gleiches geschieht vielleicht schon in den nächsten Tagen von der preußischen, vielleicht auch von der bairischen Regierung." Als er diese Zeilen schrieb, war in seiner Heimat schon die erwartete Ent¬ scheidung gefallen, Dresden im Aufstand, der König geflüchtet, eine provisorische Regierung gebildet, das erste Blut im Straßenkampfe geflossen. Auch ohne daß die Nationalversammlung sich an die Spitze gestellt Hütte, war das, was er längst gefürchtet hatte, eingetreten: der Bürgerkrieg. Noch ohne eine Ahnung davon hatte er den Sonntag (6. Mai) zu einem Ausfluge in den Taunus benutzt, und in der Freude über die herrliche Land¬ schaft, die im hellsten Glänze der Maiensonne vor ihm ausgebreitet lag, des leidenschaftlichen Getriebes der Paulskirche auf einige Stunden vergessen. Ganz freilich blieb ihm die Erinnerung an die drohenden Verhältnisse doch nicht er¬ spart, er erzählt selbst darüber mit einer gewissen Laune folgendes: „Als ich zur Burg Königstein emporkletterte, umringte mich ein Rudel dienstfertiger Jungen, die mich groß anstaunten, als sie endlich herausgebracht hatten, daß ich ein Mitglied des Parlaments sei. Sie versicherten, daß, wenn das Parla¬ ment in Frankfurt von den Preußen angegriffen würde, die ganze Bürgerwehr von Königstein und halb Nassau nach Frankfurt eilen würde. Nachher sah ich die genannte Bürgerwehr mit Flinten und Lanzen auf den Übungsplatz ziehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/300>, abgerufen am 22.07.2024.