Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Heilung des jetzigen Übelstandes versucht werden. Der Vorschlag des mehr¬ Es macht zunächst einen sonderbaren Eindruck, wen" z. B. bei der Be¬ Heilung des jetzigen Übelstandes versucht werden. Der Vorschlag des mehr¬ Es macht zunächst einen sonderbaren Eindruck, wen» z. B. bei der Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195668"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_998" prev="#ID_997"> Heilung des jetzigen Übelstandes versucht werden. Der Vorschlag des mehr¬<lb/> jährigen Etats ist abgelehnt, weil man fürchtet, daß dann nicht alle Jahre eine<lb/> Zusammenberufung der Reichs- oder der Landesvertretung stattfinden werde.<lb/> Es bleibt also nnr eine intensivere Behandlung der Vorlagen übrig, welche<lb/> weniger Wert auf große und schöne Reden legt, als auf Unterdrückung alles<lb/> dessen, was nicht unbedingt zur Sache gehört. So könnte es beispielsweise<lb/> genügen, wenn der Standpunkt der einzelnen Parteien zu einer Vorlage nur<lb/> bei eiuer Lesung und nicht wiederholt womöglich bei allen drei Lesungen<lb/> dargelegt würde; jede Partei weiß ja doch, daß sie die andre nicht überzeugt;<lb/> es ist nicht erforderlich, diese oder jene theoretische Frage, welche seit Jahren<lb/> erörtert ist, immer von neuem so gründlich als möglich durchzuarbeiten, z. B.<lb/> die Währungsfrage, den Kulturkampf, deu Gegensatz von Schutzzoll oder Frei¬<lb/> handel u. s. w. Aber ganz besonders dürfte bei den Etatsberatungen an Zeit<lb/> gespart werden können, und zwar in doppelter Beziehung.</p><lb/> <p xml:id="ID_999" next="#ID_1000"> Es macht zunächst einen sonderbaren Eindruck, wen» z. B. bei der Be¬<lb/> ratung von Organisationsgcsetzen bestimmt wird, daß gewisse Behörden mit einer<lb/> festgesetzten Anzahl von Mitgliedern, deren Gehalt sogar gesetzlich geregelt ist,<lb/> bestehen sollen, und nun alle Jahre von neuem bewilligt werden muß, daß much<lb/> diese gesetzlich feststehenden Summen ausgezahlt werden dürfen, während nie¬<lb/> mand daran denkt, das diesen Ausgaben zu gründe liegende Gesetz zum Gegen¬<lb/> stande der Anfechtung zu mache». Man denke sich einmal die Konsequenzen!<lb/> Gesetzt, die betreffende Ausgabe, beispielsweise für einen Gerichtshof, würde nicht<lb/> bewilligt, wäre damit die Notwendigkeit zur Bestreitung der für diese Behörde<lb/> bestimmten Ausgaben für den Staat beseitigt? Mit Nichten; jedes Mitglied<lb/> derselben hat durch den mit Annahme der Anstellung abgeschlossenen Vertrag das<lb/> Recht auf den Bezug seines Gehaltes gewonnen und kann den Fiskus auf<lb/> Zahlung dieses Gehaltes verklagen, sodaß die Debatte über die Bewilligung<lb/> des fraglichen Etatspostens streng genommen zur Komödie wird. Nur grenzen¬<lb/> lose politische Naivität war es, daß man seiner Zeit die Mittel für die große<lb/> Hecresorganisation nur auf ein Jahr verwilligte und später wieder streichen<lb/> wollte, als wenn man alle daraufhin ernannten Offiziere, alle infolge davon<lb/> abgeschlossenen Verträge über Erbauung neuer Kasernen, Beschaffung neuen<lb/> Kriegsmaterials n. f. w., durch die Verweigerung der Mittel hätte nicht existent<lb/> machen tonnen. Hat der Staat Verpflichtungen übernommen, so muß er sie<lb/> halten wie ein Privatmann, welchen: es auch nicht freisteht, durch Änderung<lb/> seines Jahresbudgets rechtlich übernommene Verpflichtungen, etwa seine Woh¬<lb/> nungsmiete, zu beseitigen. Steht dies aber sest, siud die Verpflichtungen des<lb/> Staates bis zur Beseitigung der Gesetze, auf welchen diese Verpflichtungen be¬<lb/> ruhen, giltig, dann bedarf es auch deren Beratung im Etat nicht, so lange<lb/> man nicht die grundlegenden Gesetze anfechten will. Es könnten deshalb alle<lb/> die Etntsposten, welche auf solche» gesetzlichen Verpflichtungen beruhen, der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
Heilung des jetzigen Übelstandes versucht werden. Der Vorschlag des mehr¬
jährigen Etats ist abgelehnt, weil man fürchtet, daß dann nicht alle Jahre eine
Zusammenberufung der Reichs- oder der Landesvertretung stattfinden werde.
Es bleibt also nnr eine intensivere Behandlung der Vorlagen übrig, welche
weniger Wert auf große und schöne Reden legt, als auf Unterdrückung alles
dessen, was nicht unbedingt zur Sache gehört. So könnte es beispielsweise
genügen, wenn der Standpunkt der einzelnen Parteien zu einer Vorlage nur
bei eiuer Lesung und nicht wiederholt womöglich bei allen drei Lesungen
dargelegt würde; jede Partei weiß ja doch, daß sie die andre nicht überzeugt;
es ist nicht erforderlich, diese oder jene theoretische Frage, welche seit Jahren
erörtert ist, immer von neuem so gründlich als möglich durchzuarbeiten, z. B.
die Währungsfrage, den Kulturkampf, deu Gegensatz von Schutzzoll oder Frei¬
handel u. s. w. Aber ganz besonders dürfte bei den Etatsberatungen an Zeit
gespart werden können, und zwar in doppelter Beziehung.
Es macht zunächst einen sonderbaren Eindruck, wen» z. B. bei der Be¬
ratung von Organisationsgcsetzen bestimmt wird, daß gewisse Behörden mit einer
festgesetzten Anzahl von Mitgliedern, deren Gehalt sogar gesetzlich geregelt ist,
bestehen sollen, und nun alle Jahre von neuem bewilligt werden muß, daß much
diese gesetzlich feststehenden Summen ausgezahlt werden dürfen, während nie¬
mand daran denkt, das diesen Ausgaben zu gründe liegende Gesetz zum Gegen¬
stande der Anfechtung zu mache». Man denke sich einmal die Konsequenzen!
Gesetzt, die betreffende Ausgabe, beispielsweise für einen Gerichtshof, würde nicht
bewilligt, wäre damit die Notwendigkeit zur Bestreitung der für diese Behörde
bestimmten Ausgaben für den Staat beseitigt? Mit Nichten; jedes Mitglied
derselben hat durch den mit Annahme der Anstellung abgeschlossenen Vertrag das
Recht auf den Bezug seines Gehaltes gewonnen und kann den Fiskus auf
Zahlung dieses Gehaltes verklagen, sodaß die Debatte über die Bewilligung
des fraglichen Etatspostens streng genommen zur Komödie wird. Nur grenzen¬
lose politische Naivität war es, daß man seiner Zeit die Mittel für die große
Hecresorganisation nur auf ein Jahr verwilligte und später wieder streichen
wollte, als wenn man alle daraufhin ernannten Offiziere, alle infolge davon
abgeschlossenen Verträge über Erbauung neuer Kasernen, Beschaffung neuen
Kriegsmaterials n. f. w., durch die Verweigerung der Mittel hätte nicht existent
machen tonnen. Hat der Staat Verpflichtungen übernommen, so muß er sie
halten wie ein Privatmann, welchen: es auch nicht freisteht, durch Änderung
seines Jahresbudgets rechtlich übernommene Verpflichtungen, etwa seine Woh¬
nungsmiete, zu beseitigen. Steht dies aber sest, siud die Verpflichtungen des
Staates bis zur Beseitigung der Gesetze, auf welchen diese Verpflichtungen be¬
ruhen, giltig, dann bedarf es auch deren Beratung im Etat nicht, so lange
man nicht die grundlegenden Gesetze anfechten will. Es könnten deshalb alle
die Etntsposten, welche auf solche» gesetzlichen Verpflichtungen beruhen, der
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