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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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George Sand im Uriegsjcchre !^37v.

Frankreich mißhandeln müsse, um es zu erwecken. Glaubt das nicht. Ihr wißt
zu Paris nichts von der Art, wie Frankreich regiert worden ist. Welche Dinge
werde ich euch zu sagen haben. Kommt, kommt schnell, so bald ihr Paris
verlassen könnt!" Im Ton gesteigerter Entrüstung verurteilt sie aufs schärfste
"die Schamlosigkeit, zu sagen, daß der Krieg kaum ernsthaft begonnen habe.
Wie viel arme Kinder hat man seit drei Monaten dem Frost, den: Elend, dein
Hunger, dem Mangel an Kleidern, den unmöglichen Lagerstätten, der Krank¬
heit, dem Mangel an allem, der Fahrlässigkeit der Führer, der Unfähigkeit der
Generale geopfert, und das heißt ein Versuch! In drei Monaten hat man
nichts zu machen gewußt als unnütze Ausgaben, Verbrauch von Menschen und
Hilfsmitteln aller Art!" Sie scheut sich nicht, in dem als möglich vorausgesetzten
Kampfe zwischen der friedlich gestimmten Negierung in Paris und zwischen
Gambcttci von vornherein ans die Seite der erstern zu treten, und sie macht
ihrem gepreßten Herzen in dem Ausrufe gegen Gambetta Luft: "Ach, dieser
unselige Großsprecher hat die Republik getötet."

Nach allen Schicksalsfällcn und Schmerzen der letzten Monate ist Friede
George Sands Losung. Sie erscheint zurückgekehrt zu der Auffassung, welche
sie beim Beginn des unheilvollen Halbjahrs ausgesprochen und bethätigt hatte,
sie tröstet ihre Pariser Freunde über die Kapitulation: "Ihr habt alle eure
Schuldigkeit gethan, und die ganze Welt, selbst die Nation, welche gegen euch
gekämpft hat, zollt euch Ehre und Gerechtigkeit. Das Unglück besudelt nicht,
und liegt Frankreich im Blut, so liegt es doch uicht im Kot. . . . Jetzt muß mau
Frieden machen, den bestmöglichen zustande bringen, aber sich nicht auf den
Krieg aus Wut und zur Rache für unser Unglück versteifen." Und während
die gesundere und klarere Auffassung der Dichterin im Juli 1870 eine isolirte
blieb, war sie diesmal uur der Ausdruck der Empfindung von Millionen Fran¬
zosen. Die Briefe, welche George Sand weiterhin bis zum völligen Abschluß
des Friedens und während der entsetzlichen Kommune-Episode schreibt, sind nicht
minder interessant und charakteristisch, für die Bricfftcllerin wie für die Zeit,
als die mitgeteilten; doch es würde zu weit führen, der geistvollen Frau auch
weiterhin durch alle Wechsel ihrer Erlebnisse und Stimmungen zu folgen. Das
Mitgeteilte ist jedenfalls ein interessanter Beitrag zur innern Geschichte Frank¬
reichs während des großen deutsch-französischen Krieges.




George Sand im Uriegsjcchre !^37v.

Frankreich mißhandeln müsse, um es zu erwecken. Glaubt das nicht. Ihr wißt
zu Paris nichts von der Art, wie Frankreich regiert worden ist. Welche Dinge
werde ich euch zu sagen haben. Kommt, kommt schnell, so bald ihr Paris
verlassen könnt!" Im Ton gesteigerter Entrüstung verurteilt sie aufs schärfste
„die Schamlosigkeit, zu sagen, daß der Krieg kaum ernsthaft begonnen habe.
Wie viel arme Kinder hat man seit drei Monaten dem Frost, den: Elend, dein
Hunger, dem Mangel an Kleidern, den unmöglichen Lagerstätten, der Krank¬
heit, dem Mangel an allem, der Fahrlässigkeit der Führer, der Unfähigkeit der
Generale geopfert, und das heißt ein Versuch! In drei Monaten hat man
nichts zu machen gewußt als unnütze Ausgaben, Verbrauch von Menschen und
Hilfsmitteln aller Art!" Sie scheut sich nicht, in dem als möglich vorausgesetzten
Kampfe zwischen der friedlich gestimmten Negierung in Paris und zwischen
Gambcttci von vornherein ans die Seite der erstern zu treten, und sie macht
ihrem gepreßten Herzen in dem Ausrufe gegen Gambetta Luft: „Ach, dieser
unselige Großsprecher hat die Republik getötet."

Nach allen Schicksalsfällcn und Schmerzen der letzten Monate ist Friede
George Sands Losung. Sie erscheint zurückgekehrt zu der Auffassung, welche
sie beim Beginn des unheilvollen Halbjahrs ausgesprochen und bethätigt hatte,
sie tröstet ihre Pariser Freunde über die Kapitulation: „Ihr habt alle eure
Schuldigkeit gethan, und die ganze Welt, selbst die Nation, welche gegen euch
gekämpft hat, zollt euch Ehre und Gerechtigkeit. Das Unglück besudelt nicht,
und liegt Frankreich im Blut, so liegt es doch uicht im Kot. . . . Jetzt muß mau
Frieden machen, den bestmöglichen zustande bringen, aber sich nicht auf den
Krieg aus Wut und zur Rache für unser Unglück versteifen." Und während
die gesundere und klarere Auffassung der Dichterin im Juli 1870 eine isolirte
blieb, war sie diesmal uur der Ausdruck der Empfindung von Millionen Fran¬
zosen. Die Briefe, welche George Sand weiterhin bis zum völligen Abschluß
des Friedens und während der entsetzlichen Kommune-Episode schreibt, sind nicht
minder interessant und charakteristisch, für die Bricfftcllerin wie für die Zeit,
als die mitgeteilten; doch es würde zu weit führen, der geistvollen Frau auch
weiterhin durch alle Wechsel ihrer Erlebnisse und Stimmungen zu folgen. Das
Mitgeteilte ist jedenfalls ein interessanter Beitrag zur innern Geschichte Frank¬
reichs während des großen deutsch-französischen Krieges.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/260>, abgerufen am 22.07.2024.