Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
George Sand im Ariegsjcihro ^3?0.

aufrichtig ist, ist Paris toll. Ich verstehe den Chauvinismus, wenn es sich
darum handelt, ein Laud zu befreien wie Polen oder Italien, aber zwischen
Frankreich und Preußen giebt es in diesem Augenblicke nur eine Frage der
Eigenliebe, mau will wissen, wer das beste Gewehr hat. Die Ehre Frankreichs
ist in dem diplomatischen Zwischenfall nicht engagirt, ich meine und ich würde
darauf schwören, daß es nur die Polizei ist, welche die Marseillaise in euern
Straßen anstimme, und die Gimpel pfeifen ihr nach. Ich bin nicht der Dupe
deiner politischen Bvrnrteile, schöner Herr, du läufst einer Dirne nach, nichts
weiter. Thue, was dir gefällt, aber treib's nicht zu weit, belustige dich rasch
und erwache rasch!" Und in weniger burschikosen Tone ließ sie sich an demselben
Tage gegen Madame Edmond Adam in Paris vernehmen: "Plauchnt schreibt
mir, daß Paris vor Begeisterung brülle. Das ist in der Provinz nicht der
Fall. Man ist betroffen, man läßt sich nicht irreführen, man sieht nicht die
Spur einer nationalen Ehrenfrage, aber ein thörichtes und widriges Gelüst die
Flinten zu versuchen, ein Fürsteuspiel. Die Familien zittern für ihre Kinder,
und die jungen Leute werden nicht durch die Überzeugung begeistert, daß das
Vaterland in Gefahr sei. Die Marseillaise in der Luft des Kaiserreichs singen
dünkt uns eine Entweihung. Nun, wir werden ja sehen, aber ich weissage viel
Schlimmes von dem Drama, das sich vorbereitet, und ich sehe ganz das
Gegenteil eines Schrittes zum Bessern. Ich bin sehr traurig, und diesmal regen
sich mein alter Patriotismus und meine Vorliebe für den Tambour uicht. Die
Republikaner, welche Fehler auf Fehler häufen, haben die Regierung zu einem
Exzeß der Reizbarkeit getrieben, welcher leicht zu deren und nicht zu ihrem
Vorteil ausschlagen kann. Jedermann wird betrogen sein. Man muß seine
Stellung nehmen und die Schande bis ans die Hefe leeren. Wenn die Schale
trocken sein wird, wird sie sich mit neuem Wein füllen, ich zweifle nicht daran,
ich zweifle uicht an der Zukunft, aber die Gegenwart ist sehr häßlich, und mau
braucht Mut, um sich zu fügen, ohne zu lästern."

Man merkt diesen Ausrufen an, daß die bedeutende Frau von einer dop¬
pelten Empfindung bewegt ward. Sie fühlte die widersinnige Frivolität des
Kriegsvorwandes, die Gemachtheit des Pariser Siegesrausches, die Unwahrheit
des angeblichen nationalen Aufschwung.es. Daneben kannte sie ihre Landsleute,
sie wußte, daß eine siegreiche Schlacht am Rhein, der Erlverb auch nur von
Luxemburg und einem Stück Rheinbaiern den Kaiser wieder in einen allmäch¬
tigen Trinmphator verwandelt hätten. Sie wußte uicht, wie es auf deutscher
Seite stand, und daß selbst von einem solchen mäßigen Erfolge nicht die Rede
sein könne. Aber einer bösen Ahnung erwehrte sie sich umsoweniger, als sie
auch in: Sieg uur ein Übel sah. Die Zeit schien ihr nicht zum Kriegführeu
angethan. Am 26. Juli meldete sie ihrem Freunde und Kollegen Gustave
Flaubert ans Nohant: "Wir haben hier 40 bis 60 Grad Wärme im Schatten.
Man zündet die Wälder an, eine zweite barbarische Dummheit jder Krieg war


Grmzbowl U. 1885. 32
George Sand im Ariegsjcihro ^3?0.

aufrichtig ist, ist Paris toll. Ich verstehe den Chauvinismus, wenn es sich
darum handelt, ein Laud zu befreien wie Polen oder Italien, aber zwischen
Frankreich und Preußen giebt es in diesem Augenblicke nur eine Frage der
Eigenliebe, mau will wissen, wer das beste Gewehr hat. Die Ehre Frankreichs
ist in dem diplomatischen Zwischenfall nicht engagirt, ich meine und ich würde
darauf schwören, daß es nur die Polizei ist, welche die Marseillaise in euern
Straßen anstimme, und die Gimpel pfeifen ihr nach. Ich bin nicht der Dupe
deiner politischen Bvrnrteile, schöner Herr, du läufst einer Dirne nach, nichts
weiter. Thue, was dir gefällt, aber treib's nicht zu weit, belustige dich rasch
und erwache rasch!" Und in weniger burschikosen Tone ließ sie sich an demselben
Tage gegen Madame Edmond Adam in Paris vernehmen: „Plauchnt schreibt
mir, daß Paris vor Begeisterung brülle. Das ist in der Provinz nicht der
Fall. Man ist betroffen, man läßt sich nicht irreführen, man sieht nicht die
Spur einer nationalen Ehrenfrage, aber ein thörichtes und widriges Gelüst die
Flinten zu versuchen, ein Fürsteuspiel. Die Familien zittern für ihre Kinder,
und die jungen Leute werden nicht durch die Überzeugung begeistert, daß das
Vaterland in Gefahr sei. Die Marseillaise in der Luft des Kaiserreichs singen
dünkt uns eine Entweihung. Nun, wir werden ja sehen, aber ich weissage viel
Schlimmes von dem Drama, das sich vorbereitet, und ich sehe ganz das
Gegenteil eines Schrittes zum Bessern. Ich bin sehr traurig, und diesmal regen
sich mein alter Patriotismus und meine Vorliebe für den Tambour uicht. Die
Republikaner, welche Fehler auf Fehler häufen, haben die Regierung zu einem
Exzeß der Reizbarkeit getrieben, welcher leicht zu deren und nicht zu ihrem
Vorteil ausschlagen kann. Jedermann wird betrogen sein. Man muß seine
Stellung nehmen und die Schande bis ans die Hefe leeren. Wenn die Schale
trocken sein wird, wird sie sich mit neuem Wein füllen, ich zweifle nicht daran,
ich zweifle uicht an der Zukunft, aber die Gegenwart ist sehr häßlich, und mau
braucht Mut, um sich zu fügen, ohne zu lästern."

Man merkt diesen Ausrufen an, daß die bedeutende Frau von einer dop¬
pelten Empfindung bewegt ward. Sie fühlte die widersinnige Frivolität des
Kriegsvorwandes, die Gemachtheit des Pariser Siegesrausches, die Unwahrheit
des angeblichen nationalen Aufschwung.es. Daneben kannte sie ihre Landsleute,
sie wußte, daß eine siegreiche Schlacht am Rhein, der Erlverb auch nur von
Luxemburg und einem Stück Rheinbaiern den Kaiser wieder in einen allmäch¬
tigen Trinmphator verwandelt hätten. Sie wußte uicht, wie es auf deutscher
Seite stand, und daß selbst von einem solchen mäßigen Erfolge nicht die Rede
sein könne. Aber einer bösen Ahnung erwehrte sie sich umsoweniger, als sie
auch in: Sieg uur ein Übel sah. Die Zeit schien ihr nicht zum Kriegführeu
angethan. Am 26. Juli meldete sie ihrem Freunde und Kollegen Gustave
Flaubert ans Nohant: „Wir haben hier 40 bis 60 Grad Wärme im Schatten.
Man zündet die Wälder an, eine zweite barbarische Dummheit jder Krieg war


Grmzbowl U. 1885. 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195643"/>
          <fw type="header" place="top"> George Sand im Ariegsjcihro ^3?0.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877"> aufrichtig ist, ist Paris toll. Ich verstehe den Chauvinismus, wenn es sich<lb/>
darum handelt, ein Laud zu befreien wie Polen oder Italien, aber zwischen<lb/>
Frankreich und Preußen giebt es in diesem Augenblicke nur eine Frage der<lb/>
Eigenliebe, mau will wissen, wer das beste Gewehr hat. Die Ehre Frankreichs<lb/>
ist in dem diplomatischen Zwischenfall nicht engagirt, ich meine und ich würde<lb/>
darauf schwören, daß es nur die Polizei ist, welche die Marseillaise in euern<lb/>
Straßen anstimme, und die Gimpel pfeifen ihr nach. Ich bin nicht der Dupe<lb/>
deiner politischen Bvrnrteile, schöner Herr, du läufst einer Dirne nach, nichts<lb/>
weiter. Thue, was dir gefällt, aber treib's nicht zu weit, belustige dich rasch<lb/>
und erwache rasch!" Und in weniger burschikosen Tone ließ sie sich an demselben<lb/>
Tage gegen Madame Edmond Adam in Paris vernehmen: &#x201E;Plauchnt schreibt<lb/>
mir, daß Paris vor Begeisterung brülle. Das ist in der Provinz nicht der<lb/>
Fall. Man ist betroffen, man läßt sich nicht irreführen, man sieht nicht die<lb/>
Spur einer nationalen Ehrenfrage, aber ein thörichtes und widriges Gelüst die<lb/>
Flinten zu versuchen, ein Fürsteuspiel. Die Familien zittern für ihre Kinder,<lb/>
und die jungen Leute werden nicht durch die Überzeugung begeistert, daß das<lb/>
Vaterland in Gefahr sei. Die Marseillaise in der Luft des Kaiserreichs singen<lb/>
dünkt uns eine Entweihung. Nun, wir werden ja sehen, aber ich weissage viel<lb/>
Schlimmes von dem Drama, das sich vorbereitet, und ich sehe ganz das<lb/>
Gegenteil eines Schrittes zum Bessern. Ich bin sehr traurig, und diesmal regen<lb/>
sich mein alter Patriotismus und meine Vorliebe für den Tambour uicht. Die<lb/>
Republikaner, welche Fehler auf Fehler häufen, haben die Regierung zu einem<lb/>
Exzeß der Reizbarkeit getrieben, welcher leicht zu deren und nicht zu ihrem<lb/>
Vorteil ausschlagen kann. Jedermann wird betrogen sein. Man muß seine<lb/>
Stellung nehmen und die Schande bis ans die Hefe leeren. Wenn die Schale<lb/>
trocken sein wird, wird sie sich mit neuem Wein füllen, ich zweifle nicht daran,<lb/>
ich zweifle uicht an der Zukunft, aber die Gegenwart ist sehr häßlich, und mau<lb/>
braucht Mut, um sich zu fügen, ohne zu lästern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Man merkt diesen Ausrufen an, daß die bedeutende Frau von einer dop¬<lb/>
pelten Empfindung bewegt ward. Sie fühlte die widersinnige Frivolität des<lb/>
Kriegsvorwandes, die Gemachtheit des Pariser Siegesrausches, die Unwahrheit<lb/>
des angeblichen nationalen Aufschwung.es. Daneben kannte sie ihre Landsleute,<lb/>
sie wußte, daß eine siegreiche Schlacht am Rhein, der Erlverb auch nur von<lb/>
Luxemburg und einem Stück Rheinbaiern den Kaiser wieder in einen allmäch¬<lb/>
tigen Trinmphator verwandelt hätten. Sie wußte uicht, wie es auf deutscher<lb/>
Seite stand, und daß selbst von einem solchen mäßigen Erfolge nicht die Rede<lb/>
sein könne. Aber einer bösen Ahnung erwehrte sie sich umsoweniger, als sie<lb/>
auch in: Sieg uur ein Übel sah. Die Zeit schien ihr nicht zum Kriegführeu<lb/>
angethan. Am 26. Juli meldete sie ihrem Freunde und Kollegen Gustave<lb/>
Flaubert ans Nohant: &#x201E;Wir haben hier 40 bis 60 Grad Wärme im Schatten.<lb/>
Man zündet die Wälder an, eine zweite barbarische Dummheit jder Krieg war</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbowl U. 1885. 32</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] George Sand im Ariegsjcihro ^3?0. aufrichtig ist, ist Paris toll. Ich verstehe den Chauvinismus, wenn es sich darum handelt, ein Laud zu befreien wie Polen oder Italien, aber zwischen Frankreich und Preußen giebt es in diesem Augenblicke nur eine Frage der Eigenliebe, mau will wissen, wer das beste Gewehr hat. Die Ehre Frankreichs ist in dem diplomatischen Zwischenfall nicht engagirt, ich meine und ich würde darauf schwören, daß es nur die Polizei ist, welche die Marseillaise in euern Straßen anstimme, und die Gimpel pfeifen ihr nach. Ich bin nicht der Dupe deiner politischen Bvrnrteile, schöner Herr, du läufst einer Dirne nach, nichts weiter. Thue, was dir gefällt, aber treib's nicht zu weit, belustige dich rasch und erwache rasch!" Und in weniger burschikosen Tone ließ sie sich an demselben Tage gegen Madame Edmond Adam in Paris vernehmen: „Plauchnt schreibt mir, daß Paris vor Begeisterung brülle. Das ist in der Provinz nicht der Fall. Man ist betroffen, man läßt sich nicht irreführen, man sieht nicht die Spur einer nationalen Ehrenfrage, aber ein thörichtes und widriges Gelüst die Flinten zu versuchen, ein Fürsteuspiel. Die Familien zittern für ihre Kinder, und die jungen Leute werden nicht durch die Überzeugung begeistert, daß das Vaterland in Gefahr sei. Die Marseillaise in der Luft des Kaiserreichs singen dünkt uns eine Entweihung. Nun, wir werden ja sehen, aber ich weissage viel Schlimmes von dem Drama, das sich vorbereitet, und ich sehe ganz das Gegenteil eines Schrittes zum Bessern. Ich bin sehr traurig, und diesmal regen sich mein alter Patriotismus und meine Vorliebe für den Tambour uicht. Die Republikaner, welche Fehler auf Fehler häufen, haben die Regierung zu einem Exzeß der Reizbarkeit getrieben, welcher leicht zu deren und nicht zu ihrem Vorteil ausschlagen kann. Jedermann wird betrogen sein. Man muß seine Stellung nehmen und die Schande bis ans die Hefe leeren. Wenn die Schale trocken sein wird, wird sie sich mit neuem Wein füllen, ich zweifle nicht daran, ich zweifle uicht an der Zukunft, aber die Gegenwart ist sehr häßlich, und mau braucht Mut, um sich zu fügen, ohne zu lästern." Man merkt diesen Ausrufen an, daß die bedeutende Frau von einer dop¬ pelten Empfindung bewegt ward. Sie fühlte die widersinnige Frivolität des Kriegsvorwandes, die Gemachtheit des Pariser Siegesrausches, die Unwahrheit des angeblichen nationalen Aufschwung.es. Daneben kannte sie ihre Landsleute, sie wußte, daß eine siegreiche Schlacht am Rhein, der Erlverb auch nur von Luxemburg und einem Stück Rheinbaiern den Kaiser wieder in einen allmäch¬ tigen Trinmphator verwandelt hätten. Sie wußte uicht, wie es auf deutscher Seite stand, und daß selbst von einem solchen mäßigen Erfolge nicht die Rede sein könne. Aber einer bösen Ahnung erwehrte sie sich umsoweniger, als sie auch in: Sieg uur ein Übel sah. Die Zeit schien ihr nicht zum Kriegführeu angethan. Am 26. Juli meldete sie ihrem Freunde und Kollegen Gustave Flaubert ans Nohant: „Wir haben hier 40 bis 60 Grad Wärme im Schatten. Man zündet die Wälder an, eine zweite barbarische Dummheit jder Krieg war Grmzbowl U. 1885. 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/254>, abgerufen am 22.07.2024.