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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

gelesen, worin dieselbe die Nationalversammlung auffordert, unverrückt an der
Reichsverfassung festzuhalten, sowie sie selbst die Verfassung als unverbrüch¬
liches Gesetz für Würtemberg ansehe und jeden Angriff ans dieselbe als ein
Verbrechen beurteilen werde. Die Versammlung der Paulskirche erhob sich wie
ein Mann, um dadurch der würtembergischen Kammer und dem würtembergischen
Volke ihre Anerkennung auszudrücken. Solche Momente haben etwas ungemein
erhebendes. Übrigens kommen Zustimmungsadressen aus allen Teilen Deutsch¬
lands scharenweise an. Heute habe ich mit andern den Antrag gestellt,*) es solle
die Reichsversammlung mit allen Mitteln wirken, daß überall in den deutscheu
Ländern die Landtage einberufen werden, damit die einzelnen deutschen Staaten
durch ihre gesetzlichen Vertreter über die Annahme der Reichsverfassung sich
erklären können und so überall den Regierungen gegenüber eine imposante
Mehrheit zu gunsten derselben sich erhebe." Es war die letzte schwache Mög¬
lichkeit, auf legalem Wege etwas zu erreichen.

Anders die äußerste Linke unter Vogt, der das erste Minoritütsgntachten
befürwortete. "Er sprach mit überwältigender Kraft, sodaß zuletzt das ganze Haus
(mit Ausnahme der rechten Seite) mit stürmischem Beifall sich erhob." Von
seiten der Gemäßigten kann dieser Beifall wohl nur dem leidenschaftlichen Pathos
des Redners gegolten haben, nicht seinem Standpunkte, denn mit packender
Gewalt wies er nach, daß die Versammlung mir noch die Wahl habe, ihr Werk
aufzugeben oder die Revolution zu organisiren und sich an ihre Spitze zu
stellen. Insofern brachte er besser als jeder andre den furchtbaren Ernst der
Lage zum Bewußtsein.**)

Im Verlaufe des nächsten Tages kam die Nachricht, der König von
Würtemberg habe nachgegeben! Unter diesem belebenden Eindruck schritt das
Haus am 26. April zur Abstimmung. Sie war "ein vollständiger Sieg der
matten Majorität," aber allerdings nicht des Kierulffschcn Mehrheitsgutachtens.
Unveränderte Annahme fanden nur sein erster und vierter Satz, der dritte wurde
verschärft durch den Zusatz, daß die Zentralgewalt gehalten sein solle, bis zum
3. Mai über das Ergebnis ihres Vorgehens Bericht zu erstatten, und der zweite
ersetzt durch eine etwas dringendere Fassung des Nappardschen Antrags, die von
Schubert (Königsberg) ausging,***) im gründe das einzige praktische Ergebnis der
langen und mit sovielen Kraftaufwande geführten Debatte. "Von: Montag bis
zum Donnerstag hatten wir Tag für Tag Sitzung, um endlich zu beschließen,





Gemeine ist der Zusatzautrag RappardS eventuell zu dem Raveauxschcn Minvritäts-
gutachtcn. Er wurde von 26 Mitgliedern unterstützt. (S. Stenogr. Bericht VIII, S. 6279.)
""") S. Stenogr. Bericht VIII, 6264 -- 73. Vogt nennt beilttnfig unter den entschie¬
densten Gegnern des Parlaments in Preuszcu von Bismarck, S. 6271, wohl dus erste- und
letztem"!, daß dieser Name in der Paulskirche gehört ward.
*"°") A, a, O. S. 6327, vergl, S. 6234.
Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

gelesen, worin dieselbe die Nationalversammlung auffordert, unverrückt an der
Reichsverfassung festzuhalten, sowie sie selbst die Verfassung als unverbrüch¬
liches Gesetz für Würtemberg ansehe und jeden Angriff ans dieselbe als ein
Verbrechen beurteilen werde. Die Versammlung der Paulskirche erhob sich wie
ein Mann, um dadurch der würtembergischen Kammer und dem würtembergischen
Volke ihre Anerkennung auszudrücken. Solche Momente haben etwas ungemein
erhebendes. Übrigens kommen Zustimmungsadressen aus allen Teilen Deutsch¬
lands scharenweise an. Heute habe ich mit andern den Antrag gestellt,*) es solle
die Reichsversammlung mit allen Mitteln wirken, daß überall in den deutscheu
Ländern die Landtage einberufen werden, damit die einzelnen deutschen Staaten
durch ihre gesetzlichen Vertreter über die Annahme der Reichsverfassung sich
erklären können und so überall den Regierungen gegenüber eine imposante
Mehrheit zu gunsten derselben sich erhebe." Es war die letzte schwache Mög¬
lichkeit, auf legalem Wege etwas zu erreichen.

Anders die äußerste Linke unter Vogt, der das erste Minoritütsgntachten
befürwortete. „Er sprach mit überwältigender Kraft, sodaß zuletzt das ganze Haus
(mit Ausnahme der rechten Seite) mit stürmischem Beifall sich erhob." Von
seiten der Gemäßigten kann dieser Beifall wohl nur dem leidenschaftlichen Pathos
des Redners gegolten haben, nicht seinem Standpunkte, denn mit packender
Gewalt wies er nach, daß die Versammlung mir noch die Wahl habe, ihr Werk
aufzugeben oder die Revolution zu organisiren und sich an ihre Spitze zu
stellen. Insofern brachte er besser als jeder andre den furchtbaren Ernst der
Lage zum Bewußtsein.**)

Im Verlaufe des nächsten Tages kam die Nachricht, der König von
Würtemberg habe nachgegeben! Unter diesem belebenden Eindruck schritt das
Haus am 26. April zur Abstimmung. Sie war „ein vollständiger Sieg der
matten Majorität," aber allerdings nicht des Kierulffschcn Mehrheitsgutachtens.
Unveränderte Annahme fanden nur sein erster und vierter Satz, der dritte wurde
verschärft durch den Zusatz, daß die Zentralgewalt gehalten sein solle, bis zum
3. Mai über das Ergebnis ihres Vorgehens Bericht zu erstatten, und der zweite
ersetzt durch eine etwas dringendere Fassung des Nappardschen Antrags, die von
Schubert (Königsberg) ausging,***) im gründe das einzige praktische Ergebnis der
langen und mit sovielen Kraftaufwande geführten Debatte. „Von: Montag bis
zum Donnerstag hatten wir Tag für Tag Sitzung, um endlich zu beschließen,





Gemeine ist der Zusatzautrag RappardS eventuell zu dem Raveauxschcn Minvritäts-
gutachtcn. Er wurde von 26 Mitgliedern unterstützt. (S. Stenogr. Bericht VIII, S. 6279.)
""") S. Stenogr. Bericht VIII, 6264 — 73. Vogt nennt beilttnfig unter den entschie¬
densten Gegnern des Parlaments in Preuszcu von Bismarck, S. 6271, wohl dus erste- und
letztem«!, daß dieser Name in der Paulskirche gehört ward.
*"°») A, a, O. S. 6327, vergl, S. 6234.
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[0250] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. gelesen, worin dieselbe die Nationalversammlung auffordert, unverrückt an der Reichsverfassung festzuhalten, sowie sie selbst die Verfassung als unverbrüch¬ liches Gesetz für Würtemberg ansehe und jeden Angriff ans dieselbe als ein Verbrechen beurteilen werde. Die Versammlung der Paulskirche erhob sich wie ein Mann, um dadurch der würtembergischen Kammer und dem würtembergischen Volke ihre Anerkennung auszudrücken. Solche Momente haben etwas ungemein erhebendes. Übrigens kommen Zustimmungsadressen aus allen Teilen Deutsch¬ lands scharenweise an. Heute habe ich mit andern den Antrag gestellt,*) es solle die Reichsversammlung mit allen Mitteln wirken, daß überall in den deutscheu Ländern die Landtage einberufen werden, damit die einzelnen deutschen Staaten durch ihre gesetzlichen Vertreter über die Annahme der Reichsverfassung sich erklären können und so überall den Regierungen gegenüber eine imposante Mehrheit zu gunsten derselben sich erhebe." Es war die letzte schwache Mög¬ lichkeit, auf legalem Wege etwas zu erreichen. Anders die äußerste Linke unter Vogt, der das erste Minoritütsgntachten befürwortete. „Er sprach mit überwältigender Kraft, sodaß zuletzt das ganze Haus (mit Ausnahme der rechten Seite) mit stürmischem Beifall sich erhob." Von seiten der Gemäßigten kann dieser Beifall wohl nur dem leidenschaftlichen Pathos des Redners gegolten haben, nicht seinem Standpunkte, denn mit packender Gewalt wies er nach, daß die Versammlung mir noch die Wahl habe, ihr Werk aufzugeben oder die Revolution zu organisiren und sich an ihre Spitze zu stellen. Insofern brachte er besser als jeder andre den furchtbaren Ernst der Lage zum Bewußtsein.**) Im Verlaufe des nächsten Tages kam die Nachricht, der König von Würtemberg habe nachgegeben! Unter diesem belebenden Eindruck schritt das Haus am 26. April zur Abstimmung. Sie war „ein vollständiger Sieg der matten Majorität," aber allerdings nicht des Kierulffschcn Mehrheitsgutachtens. Unveränderte Annahme fanden nur sein erster und vierter Satz, der dritte wurde verschärft durch den Zusatz, daß die Zentralgewalt gehalten sein solle, bis zum 3. Mai über das Ergebnis ihres Vorgehens Bericht zu erstatten, und der zweite ersetzt durch eine etwas dringendere Fassung des Nappardschen Antrags, die von Schubert (Königsberg) ausging,***) im gründe das einzige praktische Ergebnis der langen und mit sovielen Kraftaufwande geführten Debatte. „Von: Montag bis zum Donnerstag hatten wir Tag für Tag Sitzung, um endlich zu beschließen, Gemeine ist der Zusatzautrag RappardS eventuell zu dem Raveauxschcn Minvritäts- gutachtcn. Er wurde von 26 Mitgliedern unterstützt. (S. Stenogr. Bericht VIII, S. 6279.) """) S. Stenogr. Bericht VIII, 6264 — 73. Vogt nennt beilttnfig unter den entschie¬ densten Gegnern des Parlaments in Preuszcu von Bismarck, S. 6271, wohl dus erste- und letztem«!, daß dieser Name in der Paulskirche gehört ward. *"°») A, a, O. S. 6327, vergl, S. 6234.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/250>, abgerufen am 22.07.2024.