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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments,

Revolution. Der verhängnisvolle Augenblick, w v das Parlament nur noch die
Wahl hatte, entweder seine Ohnmacht einzugestehen oder sich in einen Konvent
zu verwandeln und den Bürgerkrieg zu beginnen, war da.

Daß man, falls nicht im letzten Augenblicke die Regierungen einlenkten,
vor dem Ausbruche der Revolution stehe, das verbarg sich auch N. nicht.
"Wir sind in bewegte Tage eingetreten, so beginnt er ein Schreiben vom
24. April. Gestern haben die Verhandlungen über den Bericht des Drcißiger-
ausschusscs begonnen. Es sind für diese Beratungen nicht weniger als sieben-
undvierzig Redner angemeldet, sodaß, wenn man die drei Berichterstatter noch
hinzurechnet, gerade ein halbes Hundert herauskommt. Von dieser Menge sind
in der gestrigen Sitzung erst fünf zu Worte gekommen. Da es nun unter den
gegenwärtigen Verhältnissen weit weniger auf Worte als auf thatkräftiges
Handeln ankommt, so wird heute schon der Schluß der Debatte verlangt und
wahrscheinlich auch durchgesetzt werden. Die Ereignisse drängen uns immer ge¬
waltiger zur Entscheidung hin. Das Zögern der größern deutschen Staaten,
die Reichsverfassung anzuerkennen, bewirkt ein immer bedenklicheres Schwanken
aller Verhältnisse, eine steigende Gährung und Aufregung im Volke, und wenn
nicht bald eine volksfreundliche Staatsweisheit das Ruder ergreift, so ist nicht
abzusehen, was werden soll. In Würtemberg ist infolge der Weigerung des
Königs die Aufregung grenzenlos; mit einer beispiellosen Einmütigkeit steht hier
das ganze Volk seinem Herrscher gegenüber; hier scheint nur eins von beiden
möglich, falls der König auf seiner Weigerung verharrt: Resignation des Königs
oder Revolution! Nicht viel besser steht es in Baiern. Wenn nun wirklich
noch die Nachricht sich bestätigt, daß auch die preußische Regierung die Reichs-
verfassung in ihrer jetzigen Gestalt nicht wolle, so können wir uns ans alles
gefaßt machen. In der Nationalversammlung geht die Mehrheit fortwährend
mit großer Mäßigung vorwärts. Aber sie geht doch vorwärts, und wird im
Kampfe für die Verfassung gewiß keine retrograde Bewegung machen. Wenn
also die größern Regierungen die Verfassung nicht anerkennen, so ist ein Zu¬
sammenstoß unvermeidlich. Alle Besonnenen wünschen ihn zu vermeiden, und er
wäre wirklich zu verhüten, wenn auch auf der andern Seite die Besonnenheit
waltete. Daß die Nationalversammlung auch im schlimmsten Falle nicht Bürger¬
krieg predigen wird, das versteht sich; aber ihre Auflösung kann das Ärgste zur
Folge haben. Nur ein Blinder kaun verkennen, daß gerade jetzt der Geist der
Demokratie ungeheure Fortschritte macht. Ich gehöre übrigens zu der großen
Majorität derer, welche die Reichsverfassung in ihrer gegenwärtigen Gestalt
aufrecht erhalten wollen, ebensowohl den Fürsten gegenüber als im Widerstreit
mit den alles überstürzenden Republikanern in der Versammlung."

Am Nachmittage berichtet er dann über den Verlauf der Verhandlungen
dieses Morgens folgendes: "Die heutige Sitzung war eine sehr bewegte. Gleich
anfangs wurde eine Adresse der würtembergischen Kammer der Abgeordneten vor-


Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments,

Revolution. Der verhängnisvolle Augenblick, w v das Parlament nur noch die
Wahl hatte, entweder seine Ohnmacht einzugestehen oder sich in einen Konvent
zu verwandeln und den Bürgerkrieg zu beginnen, war da.

Daß man, falls nicht im letzten Augenblicke die Regierungen einlenkten,
vor dem Ausbruche der Revolution stehe, das verbarg sich auch N. nicht.
„Wir sind in bewegte Tage eingetreten, so beginnt er ein Schreiben vom
24. April. Gestern haben die Verhandlungen über den Bericht des Drcißiger-
ausschusscs begonnen. Es sind für diese Beratungen nicht weniger als sieben-
undvierzig Redner angemeldet, sodaß, wenn man die drei Berichterstatter noch
hinzurechnet, gerade ein halbes Hundert herauskommt. Von dieser Menge sind
in der gestrigen Sitzung erst fünf zu Worte gekommen. Da es nun unter den
gegenwärtigen Verhältnissen weit weniger auf Worte als auf thatkräftiges
Handeln ankommt, so wird heute schon der Schluß der Debatte verlangt und
wahrscheinlich auch durchgesetzt werden. Die Ereignisse drängen uns immer ge¬
waltiger zur Entscheidung hin. Das Zögern der größern deutschen Staaten,
die Reichsverfassung anzuerkennen, bewirkt ein immer bedenklicheres Schwanken
aller Verhältnisse, eine steigende Gährung und Aufregung im Volke, und wenn
nicht bald eine volksfreundliche Staatsweisheit das Ruder ergreift, so ist nicht
abzusehen, was werden soll. In Würtemberg ist infolge der Weigerung des
Königs die Aufregung grenzenlos; mit einer beispiellosen Einmütigkeit steht hier
das ganze Volk seinem Herrscher gegenüber; hier scheint nur eins von beiden
möglich, falls der König auf seiner Weigerung verharrt: Resignation des Königs
oder Revolution! Nicht viel besser steht es in Baiern. Wenn nun wirklich
noch die Nachricht sich bestätigt, daß auch die preußische Regierung die Reichs-
verfassung in ihrer jetzigen Gestalt nicht wolle, so können wir uns ans alles
gefaßt machen. In der Nationalversammlung geht die Mehrheit fortwährend
mit großer Mäßigung vorwärts. Aber sie geht doch vorwärts, und wird im
Kampfe für die Verfassung gewiß keine retrograde Bewegung machen. Wenn
also die größern Regierungen die Verfassung nicht anerkennen, so ist ein Zu¬
sammenstoß unvermeidlich. Alle Besonnenen wünschen ihn zu vermeiden, und er
wäre wirklich zu verhüten, wenn auch auf der andern Seite die Besonnenheit
waltete. Daß die Nationalversammlung auch im schlimmsten Falle nicht Bürger¬
krieg predigen wird, das versteht sich; aber ihre Auflösung kann das Ärgste zur
Folge haben. Nur ein Blinder kaun verkennen, daß gerade jetzt der Geist der
Demokratie ungeheure Fortschritte macht. Ich gehöre übrigens zu der großen
Majorität derer, welche die Reichsverfassung in ihrer gegenwärtigen Gestalt
aufrecht erhalten wollen, ebensowohl den Fürsten gegenüber als im Widerstreit
mit den alles überstürzenden Republikanern in der Versammlung."

Am Nachmittage berichtet er dann über den Verlauf der Verhandlungen
dieses Morgens folgendes: „Die heutige Sitzung war eine sehr bewegte. Gleich
anfangs wurde eine Adresse der würtembergischen Kammer der Abgeordneten vor-


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[0249] Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments, Revolution. Der verhängnisvolle Augenblick, w v das Parlament nur noch die Wahl hatte, entweder seine Ohnmacht einzugestehen oder sich in einen Konvent zu verwandeln und den Bürgerkrieg zu beginnen, war da. Daß man, falls nicht im letzten Augenblicke die Regierungen einlenkten, vor dem Ausbruche der Revolution stehe, das verbarg sich auch N. nicht. „Wir sind in bewegte Tage eingetreten, so beginnt er ein Schreiben vom 24. April. Gestern haben die Verhandlungen über den Bericht des Drcißiger- ausschusscs begonnen. Es sind für diese Beratungen nicht weniger als sieben- undvierzig Redner angemeldet, sodaß, wenn man die drei Berichterstatter noch hinzurechnet, gerade ein halbes Hundert herauskommt. Von dieser Menge sind in der gestrigen Sitzung erst fünf zu Worte gekommen. Da es nun unter den gegenwärtigen Verhältnissen weit weniger auf Worte als auf thatkräftiges Handeln ankommt, so wird heute schon der Schluß der Debatte verlangt und wahrscheinlich auch durchgesetzt werden. Die Ereignisse drängen uns immer ge¬ waltiger zur Entscheidung hin. Das Zögern der größern deutschen Staaten, die Reichsverfassung anzuerkennen, bewirkt ein immer bedenklicheres Schwanken aller Verhältnisse, eine steigende Gährung und Aufregung im Volke, und wenn nicht bald eine volksfreundliche Staatsweisheit das Ruder ergreift, so ist nicht abzusehen, was werden soll. In Würtemberg ist infolge der Weigerung des Königs die Aufregung grenzenlos; mit einer beispiellosen Einmütigkeit steht hier das ganze Volk seinem Herrscher gegenüber; hier scheint nur eins von beiden möglich, falls der König auf seiner Weigerung verharrt: Resignation des Königs oder Revolution! Nicht viel besser steht es in Baiern. Wenn nun wirklich noch die Nachricht sich bestätigt, daß auch die preußische Regierung die Reichs- verfassung in ihrer jetzigen Gestalt nicht wolle, so können wir uns ans alles gefaßt machen. In der Nationalversammlung geht die Mehrheit fortwährend mit großer Mäßigung vorwärts. Aber sie geht doch vorwärts, und wird im Kampfe für die Verfassung gewiß keine retrograde Bewegung machen. Wenn also die größern Regierungen die Verfassung nicht anerkennen, so ist ein Zu¬ sammenstoß unvermeidlich. Alle Besonnenen wünschen ihn zu vermeiden, und er wäre wirklich zu verhüten, wenn auch auf der andern Seite die Besonnenheit waltete. Daß die Nationalversammlung auch im schlimmsten Falle nicht Bürger¬ krieg predigen wird, das versteht sich; aber ihre Auflösung kann das Ärgste zur Folge haben. Nur ein Blinder kaun verkennen, daß gerade jetzt der Geist der Demokratie ungeheure Fortschritte macht. Ich gehöre übrigens zu der großen Majorität derer, welche die Reichsverfassung in ihrer gegenwärtigen Gestalt aufrecht erhalten wollen, ebensowohl den Fürsten gegenüber als im Widerstreit mit den alles überstürzenden Republikanern in der Versammlung." Am Nachmittage berichtet er dann über den Verlauf der Verhandlungen dieses Morgens folgendes: „Die heutige Sitzung war eine sehr bewegte. Gleich anfangs wurde eine Adresse der würtembergischen Kammer der Abgeordneten vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/249>, abgerufen am 22.07.2024.