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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

einem glücklicheren Momente eine zweite Kaiserdeputation nach Versailles zu
fuhren. Inzwischen schien sich die Lage zu klären. Einerseits traten die öster¬
reichischen Abgeordneten, teils eignem Antriebe, teils einer direkten Anforderung
ihrer Negierung folgend, in Masse aus dem Parlament ans, wo schlechterdings
kein Raum mehr fiir sie war, seitdem sich gezeigt hatte, daß Osterreich an einem
deutschen Bundesstaate weder teilnehmen könne noch wolle; andrerseits stellten
sich am 14. April 28 deutsche Regierungen auf den Boden der Reichsver-
fassung, freilich noch keine der größeren, mit alleiniger Ausnahme der badischen.
Allein von allen Seiten kamen Erklärungen der Abgeordnetenkammern, welche
die Hoffnung belebten, auch die noch zurückgebliebenen, vor allem die vier König¬
reiche, zu gewinnen, und auch die Versuche, Friedrich Wilhelm deu Vierte"
selbst noch umzustimmen, worauf schließlich alles ankam, schienen nicht ganz aus¬
sichtslos. So konnte N. am Ill. April, freilich zu optimistisch, nach der Heimat
schreiben: "Wir gehen großen Entscheidungen entgegen. Ich hoffe die Freude
zu erleben, an der endlichen Festgründung des deutschen Vundesstaates werk¬
thätigen Anteil nehmen zu können. Nie sind die Aussichten zu siegreicher
Durchführung der großen Grundsätze, durch welche Deutschland einig, frei und
mächtig werden soll, weniger getrübt gewesen als gegenwärtig; man kann zu¬
frieden sein, wenn man nicht mehr als das Mögliche erstrebt. Die Parteien
der Nationalversammlung haben sich genähert; alle Besonnenen scharen sich um
die Fahne der Reichsverfassung." Und er fügt hinzu: "Das prachtvoll ge¬
bundene Originalexemplar derselben habe ich vorigen Sonnabend (14. April)
unterschrieben. Ich werde diese Stunde immer als eine der bedeutungsschwerste"
meines Lebens ansehen."

In solcher Stimmung setzte das Parlament seine Beratungen ruhig fort
und fand Zeit, sich mit einer Petition des Stadtrats in Homburg vor der
Höhe gegen die auf den 1. Mai angesetzte Schließung der Spielbanken, mit
einer Eingabe aus Altona, die Ausstellung von Kaperbriefen gegen die Dänen,
sogar mit der Stellung Deutschlands zur italienischen Bewegung zu beschäftigen,
und wieder leuchtete der schöne Idealismus unsers Volkes glänzend hervor in
der scharfen Zurückweisung jener beiden Petitionen und in der Debatte über
den Antrag NauwerckS (Berlin): "Die deutsche Nationalversammlung erklärt, daß
das deutsche Reich das Recht der italienischen Nation auf Unabhängigkeit und
selbständige Entwicklung anerkennt und achtet und dieselben in keiner Weise
hemmen oder erschweren wird." Den Antrag hatte N. mit zwölf andern unter¬
stützt, doch fand er keine Mehrheit.

In derselben Sitzung aber, am 19. April, kam eine preußische und eine
österreichische Note zur Verlesung. Jene erklärte, bis jetzt seien die deutschen
Regierungen der Aufforderung vom 3. April noch nicht nachgekommen, der
König habe sich deshalb entschlossen, ihnen eine weitere Frist zu stellen. Diese
wars in hochfahrenden und verletzenden Tone der Versammlung vor, sie habe


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

einem glücklicheren Momente eine zweite Kaiserdeputation nach Versailles zu
fuhren. Inzwischen schien sich die Lage zu klären. Einerseits traten die öster¬
reichischen Abgeordneten, teils eignem Antriebe, teils einer direkten Anforderung
ihrer Negierung folgend, in Masse aus dem Parlament ans, wo schlechterdings
kein Raum mehr fiir sie war, seitdem sich gezeigt hatte, daß Osterreich an einem
deutschen Bundesstaate weder teilnehmen könne noch wolle; andrerseits stellten
sich am 14. April 28 deutsche Regierungen auf den Boden der Reichsver-
fassung, freilich noch keine der größeren, mit alleiniger Ausnahme der badischen.
Allein von allen Seiten kamen Erklärungen der Abgeordnetenkammern, welche
die Hoffnung belebten, auch die noch zurückgebliebenen, vor allem die vier König¬
reiche, zu gewinnen, und auch die Versuche, Friedrich Wilhelm deu Vierte»
selbst noch umzustimmen, worauf schließlich alles ankam, schienen nicht ganz aus¬
sichtslos. So konnte N. am Ill. April, freilich zu optimistisch, nach der Heimat
schreiben: „Wir gehen großen Entscheidungen entgegen. Ich hoffe die Freude
zu erleben, an der endlichen Festgründung des deutschen Vundesstaates werk¬
thätigen Anteil nehmen zu können. Nie sind die Aussichten zu siegreicher
Durchführung der großen Grundsätze, durch welche Deutschland einig, frei und
mächtig werden soll, weniger getrübt gewesen als gegenwärtig; man kann zu¬
frieden sein, wenn man nicht mehr als das Mögliche erstrebt. Die Parteien
der Nationalversammlung haben sich genähert; alle Besonnenen scharen sich um
die Fahne der Reichsverfassung." Und er fügt hinzu: „Das prachtvoll ge¬
bundene Originalexemplar derselben habe ich vorigen Sonnabend (14. April)
unterschrieben. Ich werde diese Stunde immer als eine der bedeutungsschwerste»
meines Lebens ansehen."

In solcher Stimmung setzte das Parlament seine Beratungen ruhig fort
und fand Zeit, sich mit einer Petition des Stadtrats in Homburg vor der
Höhe gegen die auf den 1. Mai angesetzte Schließung der Spielbanken, mit
einer Eingabe aus Altona, die Ausstellung von Kaperbriefen gegen die Dänen,
sogar mit der Stellung Deutschlands zur italienischen Bewegung zu beschäftigen,
und wieder leuchtete der schöne Idealismus unsers Volkes glänzend hervor in
der scharfen Zurückweisung jener beiden Petitionen und in der Debatte über
den Antrag NauwerckS (Berlin): „Die deutsche Nationalversammlung erklärt, daß
das deutsche Reich das Recht der italienischen Nation auf Unabhängigkeit und
selbständige Entwicklung anerkennt und achtet und dieselben in keiner Weise
hemmen oder erschweren wird." Den Antrag hatte N. mit zwölf andern unter¬
stützt, doch fand er keine Mehrheit.

In derselben Sitzung aber, am 19. April, kam eine preußische und eine
österreichische Note zur Verlesung. Jene erklärte, bis jetzt seien die deutschen
Regierungen der Aufforderung vom 3. April noch nicht nachgekommen, der
König habe sich deshalb entschlossen, ihnen eine weitere Frist zu stellen. Diese
wars in hochfahrenden und verletzenden Tone der Versammlung vor, sie habe


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[0247] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. einem glücklicheren Momente eine zweite Kaiserdeputation nach Versailles zu fuhren. Inzwischen schien sich die Lage zu klären. Einerseits traten die öster¬ reichischen Abgeordneten, teils eignem Antriebe, teils einer direkten Anforderung ihrer Negierung folgend, in Masse aus dem Parlament ans, wo schlechterdings kein Raum mehr fiir sie war, seitdem sich gezeigt hatte, daß Osterreich an einem deutschen Bundesstaate weder teilnehmen könne noch wolle; andrerseits stellten sich am 14. April 28 deutsche Regierungen auf den Boden der Reichsver- fassung, freilich noch keine der größeren, mit alleiniger Ausnahme der badischen. Allein von allen Seiten kamen Erklärungen der Abgeordnetenkammern, welche die Hoffnung belebten, auch die noch zurückgebliebenen, vor allem die vier König¬ reiche, zu gewinnen, und auch die Versuche, Friedrich Wilhelm deu Vierte» selbst noch umzustimmen, worauf schließlich alles ankam, schienen nicht ganz aus¬ sichtslos. So konnte N. am Ill. April, freilich zu optimistisch, nach der Heimat schreiben: „Wir gehen großen Entscheidungen entgegen. Ich hoffe die Freude zu erleben, an der endlichen Festgründung des deutschen Vundesstaates werk¬ thätigen Anteil nehmen zu können. Nie sind die Aussichten zu siegreicher Durchführung der großen Grundsätze, durch welche Deutschland einig, frei und mächtig werden soll, weniger getrübt gewesen als gegenwärtig; man kann zu¬ frieden sein, wenn man nicht mehr als das Mögliche erstrebt. Die Parteien der Nationalversammlung haben sich genähert; alle Besonnenen scharen sich um die Fahne der Reichsverfassung." Und er fügt hinzu: „Das prachtvoll ge¬ bundene Originalexemplar derselben habe ich vorigen Sonnabend (14. April) unterschrieben. Ich werde diese Stunde immer als eine der bedeutungsschwerste» meines Lebens ansehen." In solcher Stimmung setzte das Parlament seine Beratungen ruhig fort und fand Zeit, sich mit einer Petition des Stadtrats in Homburg vor der Höhe gegen die auf den 1. Mai angesetzte Schließung der Spielbanken, mit einer Eingabe aus Altona, die Ausstellung von Kaperbriefen gegen die Dänen, sogar mit der Stellung Deutschlands zur italienischen Bewegung zu beschäftigen, und wieder leuchtete der schöne Idealismus unsers Volkes glänzend hervor in der scharfen Zurückweisung jener beiden Petitionen und in der Debatte über den Antrag NauwerckS (Berlin): „Die deutsche Nationalversammlung erklärt, daß das deutsche Reich das Recht der italienischen Nation auf Unabhängigkeit und selbständige Entwicklung anerkennt und achtet und dieselben in keiner Weise hemmen oder erschweren wird." Den Antrag hatte N. mit zwölf andern unter¬ stützt, doch fand er keine Mehrheit. In derselben Sitzung aber, am 19. April, kam eine preußische und eine österreichische Note zur Verlesung. Jene erklärte, bis jetzt seien die deutschen Regierungen der Aufforderung vom 3. April noch nicht nachgekommen, der König habe sich deshalb entschlossen, ihnen eine weitere Frist zu stellen. Diese wars in hochfahrenden und verletzenden Tone der Versammlung vor, sie habe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/247>, abgerufen am 22.07.2024.