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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Mittage gelang es ihm durch freundliche Vermittlung eines andern sächsischen
Abgeordneten einer Sitzung des Parlaments in der Paulskirche als Zuhörer
im Saale selbst beizuwohnen. "Eine Reihe von Rednern bestieg die Tribüne,
Heinrich von Gagern ^damals Präsident des Neichsministeriums^ saß etwa zehn
Schritte von mir; manche andre ausgezeichnete Männer lernte ich jetzt kennen.
Die Verhandlungen selbst waren etwas konfus, ohne Würde, machte!: also auf
mich keinen erfreulichen Eindruck."

Die Lage selbst schien hoffnungsvoll. Das Ergebnis des Antrages der
Kaiserdeputation in Berlin, die bereits am Tage vorher, am 3. April, die that¬
sächlich ablehnende Antwort des Königs erhalten hatte, war in diesem Angen-
blicke der Versammlung noch nicht bekannt, denn man lebte noch nicht im Zeit¬
alter des elektrischen Telegraphen, und der optische fungirte natürlich nur höchst
unvollkommen. Noch also durfte man die Hoffnung auf Annahme der Kaiser¬
krone hegen, und auch sonst schienen die Aussichten keineswegs ungünstig. Der
Krieg in Schleswig-Holstein war mit mehr als genügenden Streitkräften
-- 60 000 Mann Reichstruppen neben den Schleswig-Holsteinern -- eröffnet;
Osterreich, das seinen Ausschluß ans dem engern deutschen Bundesstaate durch
die Oktrvhirung der einheitsstaatlichen Verfassung von Kremsicr thatsächlich
ausgesprochen hatte, schien durch den siegreichen ungarischen Aufstand
völlig gelähmt, und wie feindselig Rußland und Frankreich der Neugestaltung
Deutschlands gegenüberstanden, darüber war man sich in Frankfurt nicht recht
klar. So teilte auch N. die zuversichtliche Stimmung der Mehrzahl. Er hatte
die Heimat in der frohen Hoffnung verlassen, demnächst einer Kaiserkrönung in
Frankfurt beiwohnen zu können, denn er lebte des festen Glaubens, eine Ab¬
lehnung der Krone sei unmöglich. Er schrieb damals: "Wenn mich etwas über
die Trennung von den Meinigen tröstet, so ist es der Gedanke, daß ich jetzt,
wo Deutschlands Schicksal sich entscheiden muß und die Reichsversammlung
eine unendlich bedeutsame Stellung einnimmt, am Orte der Entscheidung mich
befinde und thatkräftig mit eingreifen kann. Die nächsten Wochen können,
müssen außerordentliche Dinge bringen. Ich sehe mit höchster Spannung in
die Zukunft." Doch konnte er sich anch wieder eines gewissen Gefühls der Un¬
sicherheit nicht ganz erwehren, denn ein solches sieht doch ans den folgenden
scheinbar so zuversichtlich klingenden Worten hervor: "Die Reichsversammlung
ist gerade gegenwärtig durch die allgemeinen Verhältnisse mehr als jemals sicher¬
gestellt. Die Fürsten werden sie nicht zu sprengen versuchen, dies wäre das
Signal zu einer neuen Revolution; das Volk aber erkennt, daß es in der
Reichsversammlung gerade jetzt seine kräftigste und letzte Schutzwehr hat." Zu¬
weilen steigert sich das Bewußtsein der Ungewißheit schon bis zu gucileuder
Spannung; "der schwankende Zustand, schrieb er am 7. April in sein sonst sehr
knapp gehaltenes Tagebuch, bei dem Gefühle, daß Großes kommen muß, ist
unerträglich." Die längere Pause in den Verhandlungen des Parlaments, das


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Mittage gelang es ihm durch freundliche Vermittlung eines andern sächsischen
Abgeordneten einer Sitzung des Parlaments in der Paulskirche als Zuhörer
im Saale selbst beizuwohnen. „Eine Reihe von Rednern bestieg die Tribüne,
Heinrich von Gagern ^damals Präsident des Neichsministeriums^ saß etwa zehn
Schritte von mir; manche andre ausgezeichnete Männer lernte ich jetzt kennen.
Die Verhandlungen selbst waren etwas konfus, ohne Würde, machte!: also auf
mich keinen erfreulichen Eindruck."

Die Lage selbst schien hoffnungsvoll. Das Ergebnis des Antrages der
Kaiserdeputation in Berlin, die bereits am Tage vorher, am 3. April, die that¬
sächlich ablehnende Antwort des Königs erhalten hatte, war in diesem Angen-
blicke der Versammlung noch nicht bekannt, denn man lebte noch nicht im Zeit¬
alter des elektrischen Telegraphen, und der optische fungirte natürlich nur höchst
unvollkommen. Noch also durfte man die Hoffnung auf Annahme der Kaiser¬
krone hegen, und auch sonst schienen die Aussichten keineswegs ungünstig. Der
Krieg in Schleswig-Holstein war mit mehr als genügenden Streitkräften
— 60 000 Mann Reichstruppen neben den Schleswig-Holsteinern — eröffnet;
Osterreich, das seinen Ausschluß ans dem engern deutschen Bundesstaate durch
die Oktrvhirung der einheitsstaatlichen Verfassung von Kremsicr thatsächlich
ausgesprochen hatte, schien durch den siegreichen ungarischen Aufstand
völlig gelähmt, und wie feindselig Rußland und Frankreich der Neugestaltung
Deutschlands gegenüberstanden, darüber war man sich in Frankfurt nicht recht
klar. So teilte auch N. die zuversichtliche Stimmung der Mehrzahl. Er hatte
die Heimat in der frohen Hoffnung verlassen, demnächst einer Kaiserkrönung in
Frankfurt beiwohnen zu können, denn er lebte des festen Glaubens, eine Ab¬
lehnung der Krone sei unmöglich. Er schrieb damals: „Wenn mich etwas über
die Trennung von den Meinigen tröstet, so ist es der Gedanke, daß ich jetzt,
wo Deutschlands Schicksal sich entscheiden muß und die Reichsversammlung
eine unendlich bedeutsame Stellung einnimmt, am Orte der Entscheidung mich
befinde und thatkräftig mit eingreifen kann. Die nächsten Wochen können,
müssen außerordentliche Dinge bringen. Ich sehe mit höchster Spannung in
die Zukunft." Doch konnte er sich anch wieder eines gewissen Gefühls der Un¬
sicherheit nicht ganz erwehren, denn ein solches sieht doch ans den folgenden
scheinbar so zuversichtlich klingenden Worten hervor: „Die Reichsversammlung
ist gerade gegenwärtig durch die allgemeinen Verhältnisse mehr als jemals sicher¬
gestellt. Die Fürsten werden sie nicht zu sprengen versuchen, dies wäre das
Signal zu einer neuen Revolution; das Volk aber erkennt, daß es in der
Reichsversammlung gerade jetzt seine kräftigste und letzte Schutzwehr hat." Zu¬
weilen steigert sich das Bewußtsein der Ungewißheit schon bis zu gucileuder
Spannung; „der schwankende Zustand, schrieb er am 7. April in sein sonst sehr
knapp gehaltenes Tagebuch, bei dem Gefühle, daß Großes kommen muß, ist
unerträglich." Die längere Pause in den Verhandlungen des Parlaments, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/244>, abgerufen am 22.07.2024.