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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Das Material dazu entnehmen wir dem Tagebuche und den Briefen eines
jetzt verstorbenen sächsischen Abgeordneten, der erst Ende März 1849 an die
Stelle des bisherigen Vertreters seines Kreises gewählt worden war und sich
zur gemäßigten Linken des "Deutschen Hofes" hielt. Von warmer Vaterlands¬
liebe erfüllt, aber durchaus maßvoll und besonnen, eine ticfgemütvolle, milde
Natur, war er in jener Partei eigentlich garnicht an seinem Platze und über¬
haupt für die heftigen Kämpfe parlamentarischer Leidenschaften im gründe sehr
wenig geschaffen. So hat er es weder erstrebt uoch vermocht, sich zu besondrer
Geltung zu bringen. Nichtsdestoweniger hat er seine Pflicht redlich erfüllt
und treu ausgehalten, bis die Linke den Weg offner Revolution betrat. That¬
sächlich neues wird man somit in seinen Aufzeichnungen uicht zu finden erwarten.
Ihr Wert liegt wesentlich in der frischen, treuen Wiedergabe der Wechselnden
Stimmungen und Urteile unmittelbar aus erschütternden Ereignissen heraus,
die ihn binnen wenigen Wochen von der frohen Hoffnung auf endliches Ge¬
lingen des Verfassungswerkes bis zu der trostlosen Einsicht in die Unvermeidlich¬
keit seines Scheiterns führten. Daß er die allgemeinen Irrtümer vieler der
besten Männer seiner Zeit teilte, daß er die Macht der Regierungen unter¬
schätzte und demnach auch den Beschlüssen der Nationalversammlung eine größere
Geltung beimaß, als ihnen thatsächlich innewohnte, daß er namentlich an ihrer
Souveränität festhielt und so dem Standpunkte der Regierungen, namentlich
der preußischen, uicht gerecht zu werden vermochte, das alles wird man begreif¬
lich finden. Für die beschlossene Reichsverfassung war er uicht eben begeistert
-- "das ganze preußische Erbkaisertum kann ich vor der Hand noch für kein
Glück halten," schrieb er am 10. April --, aber er war fest entschlossen, ihrer
Verwirklichung seine Kraft zu widmen, weil nur sie aus endlosem Wirrsal herauf¬
zuführen schien.

Es würde nun wohl unnütz sein, im folgende" die Äußerungen unsers
Abgeordneten einfach aueinanderzureiheu. Denn da die Geschichte des Frank¬
furter Parlaments wenig allgemein bekannt ist, viel weniger, als sie es verdient,
und auch das populärste Werk darüber, das treffliche Buch von Heinrich Laube,
über seine letzten Wochen so kurz hinweggeht, so wäre damit der Mehrzahl der
Leser schwerlich gedient. Da bleibt wohl nichts andres übrig, als vornehmlich
auf Grund des "stenographischen Berichts über die Verhandlungen der deutschen
koustituireuden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, herausgegeben von
F. Wigard" (8. und 9. Band), soviel hinzuzufügen, als zum Verständnis not¬
wendig erscheint.

Unser Gewährsmann -- wir wollen ihn im folgende,: der Kürze halber mit
dem neutralen Buchstaben N. bezeichnen -- langte über Leipzig und Eisenach rei¬
send und den letzten Teil des Weges von dort ans über Marksuhl, Vacha, Hünfeld,
Fulda und Heman im Postwagen zurücklegend am 4. April (Mittwoch vor Ostern)
1849 früh unter strömendem Regen in Frankfurt an. Noch an demselben Vor-


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

Das Material dazu entnehmen wir dem Tagebuche und den Briefen eines
jetzt verstorbenen sächsischen Abgeordneten, der erst Ende März 1849 an die
Stelle des bisherigen Vertreters seines Kreises gewählt worden war und sich
zur gemäßigten Linken des „Deutschen Hofes" hielt. Von warmer Vaterlands¬
liebe erfüllt, aber durchaus maßvoll und besonnen, eine ticfgemütvolle, milde
Natur, war er in jener Partei eigentlich garnicht an seinem Platze und über¬
haupt für die heftigen Kämpfe parlamentarischer Leidenschaften im gründe sehr
wenig geschaffen. So hat er es weder erstrebt uoch vermocht, sich zu besondrer
Geltung zu bringen. Nichtsdestoweniger hat er seine Pflicht redlich erfüllt
und treu ausgehalten, bis die Linke den Weg offner Revolution betrat. That¬
sächlich neues wird man somit in seinen Aufzeichnungen uicht zu finden erwarten.
Ihr Wert liegt wesentlich in der frischen, treuen Wiedergabe der Wechselnden
Stimmungen und Urteile unmittelbar aus erschütternden Ereignissen heraus,
die ihn binnen wenigen Wochen von der frohen Hoffnung auf endliches Ge¬
lingen des Verfassungswerkes bis zu der trostlosen Einsicht in die Unvermeidlich¬
keit seines Scheiterns führten. Daß er die allgemeinen Irrtümer vieler der
besten Männer seiner Zeit teilte, daß er die Macht der Regierungen unter¬
schätzte und demnach auch den Beschlüssen der Nationalversammlung eine größere
Geltung beimaß, als ihnen thatsächlich innewohnte, daß er namentlich an ihrer
Souveränität festhielt und so dem Standpunkte der Regierungen, namentlich
der preußischen, uicht gerecht zu werden vermochte, das alles wird man begreif¬
lich finden. Für die beschlossene Reichsverfassung war er uicht eben begeistert
— „das ganze preußische Erbkaisertum kann ich vor der Hand noch für kein
Glück halten," schrieb er am 10. April —, aber er war fest entschlossen, ihrer
Verwirklichung seine Kraft zu widmen, weil nur sie aus endlosem Wirrsal herauf¬
zuführen schien.

Es würde nun wohl unnütz sein, im folgende» die Äußerungen unsers
Abgeordneten einfach aueinanderzureiheu. Denn da die Geschichte des Frank¬
furter Parlaments wenig allgemein bekannt ist, viel weniger, als sie es verdient,
und auch das populärste Werk darüber, das treffliche Buch von Heinrich Laube,
über seine letzten Wochen so kurz hinweggeht, so wäre damit der Mehrzahl der
Leser schwerlich gedient. Da bleibt wohl nichts andres übrig, als vornehmlich
auf Grund des „stenographischen Berichts über die Verhandlungen der deutschen
koustituireuden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, herausgegeben von
F. Wigard" (8. und 9. Band), soviel hinzuzufügen, als zum Verständnis not¬
wendig erscheint.

Unser Gewährsmann — wir wollen ihn im folgende,: der Kürze halber mit
dem neutralen Buchstaben N. bezeichnen — langte über Leipzig und Eisenach rei¬
send und den letzten Teil des Weges von dort ans über Marksuhl, Vacha, Hünfeld,
Fulda und Heman im Postwagen zurücklegend am 4. April (Mittwoch vor Ostern)
1849 früh unter strömendem Regen in Frankfurt an. Noch an demselben Vor-


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[0243] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. Das Material dazu entnehmen wir dem Tagebuche und den Briefen eines jetzt verstorbenen sächsischen Abgeordneten, der erst Ende März 1849 an die Stelle des bisherigen Vertreters seines Kreises gewählt worden war und sich zur gemäßigten Linken des „Deutschen Hofes" hielt. Von warmer Vaterlands¬ liebe erfüllt, aber durchaus maßvoll und besonnen, eine ticfgemütvolle, milde Natur, war er in jener Partei eigentlich garnicht an seinem Platze und über¬ haupt für die heftigen Kämpfe parlamentarischer Leidenschaften im gründe sehr wenig geschaffen. So hat er es weder erstrebt uoch vermocht, sich zu besondrer Geltung zu bringen. Nichtsdestoweniger hat er seine Pflicht redlich erfüllt und treu ausgehalten, bis die Linke den Weg offner Revolution betrat. That¬ sächlich neues wird man somit in seinen Aufzeichnungen uicht zu finden erwarten. Ihr Wert liegt wesentlich in der frischen, treuen Wiedergabe der Wechselnden Stimmungen und Urteile unmittelbar aus erschütternden Ereignissen heraus, die ihn binnen wenigen Wochen von der frohen Hoffnung auf endliches Ge¬ lingen des Verfassungswerkes bis zu der trostlosen Einsicht in die Unvermeidlich¬ keit seines Scheiterns führten. Daß er die allgemeinen Irrtümer vieler der besten Männer seiner Zeit teilte, daß er die Macht der Regierungen unter¬ schätzte und demnach auch den Beschlüssen der Nationalversammlung eine größere Geltung beimaß, als ihnen thatsächlich innewohnte, daß er namentlich an ihrer Souveränität festhielt und so dem Standpunkte der Regierungen, namentlich der preußischen, uicht gerecht zu werden vermochte, das alles wird man begreif¬ lich finden. Für die beschlossene Reichsverfassung war er uicht eben begeistert — „das ganze preußische Erbkaisertum kann ich vor der Hand noch für kein Glück halten," schrieb er am 10. April —, aber er war fest entschlossen, ihrer Verwirklichung seine Kraft zu widmen, weil nur sie aus endlosem Wirrsal herauf¬ zuführen schien. Es würde nun wohl unnütz sein, im folgende» die Äußerungen unsers Abgeordneten einfach aueinanderzureiheu. Denn da die Geschichte des Frank¬ furter Parlaments wenig allgemein bekannt ist, viel weniger, als sie es verdient, und auch das populärste Werk darüber, das treffliche Buch von Heinrich Laube, über seine letzten Wochen so kurz hinweggeht, so wäre damit der Mehrzahl der Leser schwerlich gedient. Da bleibt wohl nichts andres übrig, als vornehmlich auf Grund des „stenographischen Berichts über die Verhandlungen der deutschen koustituireuden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, herausgegeben von F. Wigard" (8. und 9. Band), soviel hinzuzufügen, als zum Verständnis not¬ wendig erscheint. Unser Gewährsmann — wir wollen ihn im folgende,: der Kürze halber mit dem neutralen Buchstaben N. bezeichnen — langte über Leipzig und Eisenach rei¬ send und den letzten Teil des Weges von dort ans über Marksuhl, Vacha, Hünfeld, Fulda und Heman im Postwagen zurücklegend am 4. April (Mittwoch vor Ostern) 1849 früh unter strömendem Regen in Frankfurt an. Noch an demselben Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/243>, abgerufen am 22.07.2024.