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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstprenßische Skizzni.

Königsberg ist der Sitz des kommandirenden Generals fiir Ost- und West¬
preußen und der ostpreußischen Division und hat eine Friedensbesatzung von
fünf- bis sechstausend Mann; zu seiner wirksamen Verteidigung im Kriege ist
allerdings ein ganzes Armeekorps erforderlich, Nun ist schon der Umstand be¬
merkenswert, daß sowohl der frühere wie der jetzige kommandirende General
ostpreußischen Adelsfamilien angehören. Unter den höhern Offizieren dürfte
sich kaum einer finden, der keine Familienverbindung mit einer derselben hat, und
unter dein Adel der Provinz selbst sowie unter den angeseheneren bürgerlichen
Gutsbesitzern ist sicherlich nicht eine einzige Familie, die des verwandtschaftlichen
Zusammenhanges mit irgendeinem Offizier der Königsberger Garnison gänzlich
entbehrte. Unzählige Gutsbesitzer find früher aktive Offiziere gewesen, und
unter den übrigen sind wenige, die nicht wenigstens Reserveoffiziere sind. So
gestalten sich denn die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen dem in Königsberg
garnisonirendcn Offizierkorps und den Bewohnern der Gutshöfe zu ungemein
lebhaften und regelmäßigen, und auch dies kommt der bei den letzteren ohnehin
in so hohem Maße vorhandenen Neigung, eine" Ausflug nach Königsberg zu
machen, sehr zu gute. Doch hat die frühere Sitte der größeren Gutsherren,
den gauzen Winter in Königsberg zuzubringen und zu diesem Zwecke hier ein
eignes Haus zu haben, fast aufgehört, wohl schon darum, weil jetzt die Eisen-
bahn den Aufenthalt daselbst, so oft man ihn wünscht, in einer billigeren Weise
als durch solche ständige Quartiere ermöglicht. Der einzige Lcuidcdelmaun,
der hente noch ein solches Haus besitzt lind vollständig benutzt, ist der ehr¬
würdige alte Graf zu Dohna-Schlvdien, zur Zeit das Haupt des ganzen ost-
preußischen Adels.

Die Universität -- sie gehört zu den bedeutenderen, aber nicht gerade zu
den durch geistige Kräfte hervorragenden -- spielt für das gesellschaftliche Leben
in Königsberg und für die Physiognomie der Stadt eine geringere Rolle, als
man annehmen sollte. Es hat dies ohne Zweifel seinen hauptsächlichsten Grund
darin, daß sie wesentlich Provinzial-Universität ist, daher den ohnehin so
stark die Provinz widerspiegelnden Gesamtcharakter Königsbergs nicht sehr zu
alteriren vermag. Bemerkenswert ist vom politischen Standpunkte, daß sie bis
heute eine Hauptträgerin der liberalen Ideen geblieben ist; die konservativen
Gutsbesitzer fangen daher auch an, sich von ihr abzuwenden. Doch beginnt
neuerdings eine andre Strömung sich geltend zu machen. Von wissenschaft¬
lich berühmten, d. h. den Durchschnitt des Universitätsprvfessors über¬
steigenden Namen hat die Universität gegenwärtig nur sehr wenige aufzuweisen,
doch zählt sie uuter ihren Lehrern einen Romancier und Dramatiker von großem
Tagcsrufe: Herrn Felix Decbr.

Die Königsberger Presse bot früher ein merkwürdiges Bild insofern, als
die drei hier erscheinenden Blätter verschiedener Richtung alle einer und der¬
selbe,? Person, dem Bankier Simon (dem sogenannten Geheimen Ober-Prvvinzial-


Gstprenßische Skizzni.

Königsberg ist der Sitz des kommandirenden Generals fiir Ost- und West¬
preußen und der ostpreußischen Division und hat eine Friedensbesatzung von
fünf- bis sechstausend Mann; zu seiner wirksamen Verteidigung im Kriege ist
allerdings ein ganzes Armeekorps erforderlich, Nun ist schon der Umstand be¬
merkenswert, daß sowohl der frühere wie der jetzige kommandirende General
ostpreußischen Adelsfamilien angehören. Unter den höhern Offizieren dürfte
sich kaum einer finden, der keine Familienverbindung mit einer derselben hat, und
unter dein Adel der Provinz selbst sowie unter den angeseheneren bürgerlichen
Gutsbesitzern ist sicherlich nicht eine einzige Familie, die des verwandtschaftlichen
Zusammenhanges mit irgendeinem Offizier der Königsberger Garnison gänzlich
entbehrte. Unzählige Gutsbesitzer find früher aktive Offiziere gewesen, und
unter den übrigen sind wenige, die nicht wenigstens Reserveoffiziere sind. So
gestalten sich denn die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen dem in Königsberg
garnisonirendcn Offizierkorps und den Bewohnern der Gutshöfe zu ungemein
lebhaften und regelmäßigen, und auch dies kommt der bei den letzteren ohnehin
in so hohem Maße vorhandenen Neigung, eine» Ausflug nach Königsberg zu
machen, sehr zu gute. Doch hat die frühere Sitte der größeren Gutsherren,
den gauzen Winter in Königsberg zuzubringen und zu diesem Zwecke hier ein
eignes Haus zu haben, fast aufgehört, wohl schon darum, weil jetzt die Eisen-
bahn den Aufenthalt daselbst, so oft man ihn wünscht, in einer billigeren Weise
als durch solche ständige Quartiere ermöglicht. Der einzige Lcuidcdelmaun,
der hente noch ein solches Haus besitzt lind vollständig benutzt, ist der ehr¬
würdige alte Graf zu Dohna-Schlvdien, zur Zeit das Haupt des ganzen ost-
preußischen Adels.

Die Universität — sie gehört zu den bedeutenderen, aber nicht gerade zu
den durch geistige Kräfte hervorragenden — spielt für das gesellschaftliche Leben
in Königsberg und für die Physiognomie der Stadt eine geringere Rolle, als
man annehmen sollte. Es hat dies ohne Zweifel seinen hauptsächlichsten Grund
darin, daß sie wesentlich Provinzial-Universität ist, daher den ohnehin so
stark die Provinz widerspiegelnden Gesamtcharakter Königsbergs nicht sehr zu
alteriren vermag. Bemerkenswert ist vom politischen Standpunkte, daß sie bis
heute eine Hauptträgerin der liberalen Ideen geblieben ist; die konservativen
Gutsbesitzer fangen daher auch an, sich von ihr abzuwenden. Doch beginnt
neuerdings eine andre Strömung sich geltend zu machen. Von wissenschaft¬
lich berühmten, d. h. den Durchschnitt des Universitätsprvfessors über¬
steigenden Namen hat die Universität gegenwärtig nur sehr wenige aufzuweisen,
doch zählt sie uuter ihren Lehrern einen Romancier und Dramatiker von großem
Tagcsrufe: Herrn Felix Decbr.

Die Königsberger Presse bot früher ein merkwürdiges Bild insofern, als
die drei hier erscheinenden Blätter verschiedener Richtung alle einer und der¬
selbe,? Person, dem Bankier Simon (dem sogenannten Geheimen Ober-Prvvinzial-


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[0237] Gstprenßische Skizzni. Königsberg ist der Sitz des kommandirenden Generals fiir Ost- und West¬ preußen und der ostpreußischen Division und hat eine Friedensbesatzung von fünf- bis sechstausend Mann; zu seiner wirksamen Verteidigung im Kriege ist allerdings ein ganzes Armeekorps erforderlich, Nun ist schon der Umstand be¬ merkenswert, daß sowohl der frühere wie der jetzige kommandirende General ostpreußischen Adelsfamilien angehören. Unter den höhern Offizieren dürfte sich kaum einer finden, der keine Familienverbindung mit einer derselben hat, und unter dein Adel der Provinz selbst sowie unter den angeseheneren bürgerlichen Gutsbesitzern ist sicherlich nicht eine einzige Familie, die des verwandtschaftlichen Zusammenhanges mit irgendeinem Offizier der Königsberger Garnison gänzlich entbehrte. Unzählige Gutsbesitzer find früher aktive Offiziere gewesen, und unter den übrigen sind wenige, die nicht wenigstens Reserveoffiziere sind. So gestalten sich denn die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen dem in Königsberg garnisonirendcn Offizierkorps und den Bewohnern der Gutshöfe zu ungemein lebhaften und regelmäßigen, und auch dies kommt der bei den letzteren ohnehin in so hohem Maße vorhandenen Neigung, eine» Ausflug nach Königsberg zu machen, sehr zu gute. Doch hat die frühere Sitte der größeren Gutsherren, den gauzen Winter in Königsberg zuzubringen und zu diesem Zwecke hier ein eignes Haus zu haben, fast aufgehört, wohl schon darum, weil jetzt die Eisen- bahn den Aufenthalt daselbst, so oft man ihn wünscht, in einer billigeren Weise als durch solche ständige Quartiere ermöglicht. Der einzige Lcuidcdelmaun, der hente noch ein solches Haus besitzt lind vollständig benutzt, ist der ehr¬ würdige alte Graf zu Dohna-Schlvdien, zur Zeit das Haupt des ganzen ost- preußischen Adels. Die Universität — sie gehört zu den bedeutenderen, aber nicht gerade zu den durch geistige Kräfte hervorragenden — spielt für das gesellschaftliche Leben in Königsberg und für die Physiognomie der Stadt eine geringere Rolle, als man annehmen sollte. Es hat dies ohne Zweifel seinen hauptsächlichsten Grund darin, daß sie wesentlich Provinzial-Universität ist, daher den ohnehin so stark die Provinz widerspiegelnden Gesamtcharakter Königsbergs nicht sehr zu alteriren vermag. Bemerkenswert ist vom politischen Standpunkte, daß sie bis heute eine Hauptträgerin der liberalen Ideen geblieben ist; die konservativen Gutsbesitzer fangen daher auch an, sich von ihr abzuwenden. Doch beginnt neuerdings eine andre Strömung sich geltend zu machen. Von wissenschaft¬ lich berühmten, d. h. den Durchschnitt des Universitätsprvfessors über¬ steigenden Namen hat die Universität gegenwärtig nur sehr wenige aufzuweisen, doch zählt sie uuter ihren Lehrern einen Romancier und Dramatiker von großem Tagcsrufe: Herrn Felix Decbr. Die Königsberger Presse bot früher ein merkwürdiges Bild insofern, als die drei hier erscheinenden Blätter verschiedener Richtung alle einer und der¬ selbe,? Person, dem Bankier Simon (dem sogenannten Geheimen Ober-Prvvinzial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/237>, abgerufen am 22.07.2024.