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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Fnedeusaussichten und die Times.

Tagen die öffentliche Meinung Englands abwechselnd machte und ausdrückte.
Man vergleiche hier Kinglales vortreffliches Buch über die Invasion der Krim.*)
Die Gesellschaft, der damals das Cityblatt gehörte, war auf den glücklichen Gedanken
gekommen, eine instinktartig keimende und sich allmählich ausbildende öffentliche
Meinung studiren und sondiren zu lassen, um sich dann ihrer zu bemächtigen, sie
in bestimmte Form zu bringen, ihr Leben und Kraft einzuhauchen und sie dann
in ihren Spalten auf den Markt zu schaffen, Einfluß damit zu üben und na¬
türlich -- Geld zu verdienen. Gut aufhorchende Leute sammelten an öffent¬
lichen Orten und in Klubs die Meinungen, die über dieses oder jenes Tagcs-
thema geäußert wurden, verglichen, addirten und fanden heraus, was vorzüglich
am Herzen lag, wie die meisten die betreffende Frage beantworteten, und lie¬
ferten das Ergebnis ihrer Rechnungen an den Chefredakteur ab, der geschickte
Journalisten beauftragte, es zuzustutzen und mit Beweisen zu versehen, in welcher
Gestalt sie dann dem Publikum servirt wurden und soviel Beifall fanden, daß
die liuuzg sehr bald eine unwiderstehliche Macht wurde. Wer sich schon eine
Ansicht gebildet hatte, sah seine Gedanken hier mit größerer Klarheit, als sie
ihm selbst zu Gebote stand, wiedergegeben und kräftig empfohlen; wer noch
keine hatte, gewann plötzlich eine, als er das Blatt, welches notorisch dem
Wechsel der Meinung und Stimmung der Mehrheit im Lande folgte, diesen
oder jenen Weg einschlagen sah. Es kam so allmählich dahin, daß die Leit¬
artikel der ?iir>68 wie Manifeste betrachtet wurden, welche das Urteil und den
Willen des Volkes Großbritanniens verkündigten. Wo die eigentliche Macht
lag, was ihre letzte Quelle war, hüllte sich in Dunkel; der eine glaubte, dieser,
der andre jener regiere, einige waren überzeugt, die große Zeitung beherrsche
ganz England, andre, England beherrsche die Zeitung. Aber gleichviel, was mau
in dieser Hinsicht dachte, ob man sich das Blatt als selbständige Macht oder
nur als belebte" und plastisch gemachten Schatten der öffentlichen Meinung
vorstellte, alle gewöhnlichen Geister verehrten und fürchteten diese Macht, und die
Minister machten davon keine Ausnahme.

Nun geschah es, daß die große Zeitung am Morgen des 15. Juni 1854
feierlich erklärte, "die praktischen Zwecke des Krieges könnten nicht eher erreicht
werden, solange Sebastopol und die russische Flotte existire; wenn aber diese
Zentralstellung der russischen Macht im Süden des Reiches vernichtet wäre,
würde das ganze Gebäude, welches die Zaren im Laufe der Jahrhunderte er¬
richtet hätten, in Trümmer zusammenfallen." Die times weissagte ferner, "die
Einnahme von Sebastopol und die Eroberung der Krim seien Ziele, deren Er¬
reichung die Kosten des Feldzuges decken und die streitigen Hauptfragen für
immer zu gunsten Englands entscheiden werde, und gleich klar und sicher sei,
daß jene Ziele mit irgendwelchen andern Mitteln nicht zu erreichen seien, well



") 'Illo Invasion ot' Äio (Ä'imsu,, Tcnichnitzsche Ausgabe III, S, 82 si.
Fnedeusaussichten und die Times.

Tagen die öffentliche Meinung Englands abwechselnd machte und ausdrückte.
Man vergleiche hier Kinglales vortreffliches Buch über die Invasion der Krim.*)
Die Gesellschaft, der damals das Cityblatt gehörte, war auf den glücklichen Gedanken
gekommen, eine instinktartig keimende und sich allmählich ausbildende öffentliche
Meinung studiren und sondiren zu lassen, um sich dann ihrer zu bemächtigen, sie
in bestimmte Form zu bringen, ihr Leben und Kraft einzuhauchen und sie dann
in ihren Spalten auf den Markt zu schaffen, Einfluß damit zu üben und na¬
türlich — Geld zu verdienen. Gut aufhorchende Leute sammelten an öffent¬
lichen Orten und in Klubs die Meinungen, die über dieses oder jenes Tagcs-
thema geäußert wurden, verglichen, addirten und fanden heraus, was vorzüglich
am Herzen lag, wie die meisten die betreffende Frage beantworteten, und lie¬
ferten das Ergebnis ihrer Rechnungen an den Chefredakteur ab, der geschickte
Journalisten beauftragte, es zuzustutzen und mit Beweisen zu versehen, in welcher
Gestalt sie dann dem Publikum servirt wurden und soviel Beifall fanden, daß
die liuuzg sehr bald eine unwiderstehliche Macht wurde. Wer sich schon eine
Ansicht gebildet hatte, sah seine Gedanken hier mit größerer Klarheit, als sie
ihm selbst zu Gebote stand, wiedergegeben und kräftig empfohlen; wer noch
keine hatte, gewann plötzlich eine, als er das Blatt, welches notorisch dem
Wechsel der Meinung und Stimmung der Mehrheit im Lande folgte, diesen
oder jenen Weg einschlagen sah. Es kam so allmählich dahin, daß die Leit¬
artikel der ?iir>68 wie Manifeste betrachtet wurden, welche das Urteil und den
Willen des Volkes Großbritanniens verkündigten. Wo die eigentliche Macht
lag, was ihre letzte Quelle war, hüllte sich in Dunkel; der eine glaubte, dieser,
der andre jener regiere, einige waren überzeugt, die große Zeitung beherrsche
ganz England, andre, England beherrsche die Zeitung. Aber gleichviel, was mau
in dieser Hinsicht dachte, ob man sich das Blatt als selbständige Macht oder
nur als belebte» und plastisch gemachten Schatten der öffentlichen Meinung
vorstellte, alle gewöhnlichen Geister verehrten und fürchteten diese Macht, und die
Minister machten davon keine Ausnahme.

Nun geschah es, daß die große Zeitung am Morgen des 15. Juni 1854
feierlich erklärte, „die praktischen Zwecke des Krieges könnten nicht eher erreicht
werden, solange Sebastopol und die russische Flotte existire; wenn aber diese
Zentralstellung der russischen Macht im Süden des Reiches vernichtet wäre,
würde das ganze Gebäude, welches die Zaren im Laufe der Jahrhunderte er¬
richtet hätten, in Trümmer zusammenfallen." Die times weissagte ferner, „die
Einnahme von Sebastopol und die Eroberung der Krim seien Ziele, deren Er¬
reichung die Kosten des Feldzuges decken und die streitigen Hauptfragen für
immer zu gunsten Englands entscheiden werde, und gleich klar und sicher sei,
daß jene Ziele mit irgendwelchen andern Mitteln nicht zu erreichen seien, well



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/226>, abgerufen am 22.07.2024.