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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Friedcnsaussichten und die Times.

Alles das mußte den Eindruck machen, daß der Krieg zwischen England
und Rußland so ziemlich vor der Thür stehe und nächstens von ersterem das
übliche Ultimatum zu erwarten sei. Dennoch sind wir der Ansicht, daß es noch
nicht soweit ist, ja daß noch mancher Monat ins Land gehen wird, bevor in
der Sache statt der Noten die Kanonen sprechen werden. England hat jetzt
nicht die Mittel und Kräfte, um mit Rußland einen Krieg mit Aussicht auf
Erfolg wagen zu können, und letzteres erstrebt den Besitz Herats, um den es sich
zunächst handeln würde, für heute und morgen noch nicht. Es verlangt nur
eine Ausdehnung seiner Grenze im Turkmenenlande zwischen dem Margab und
Herirud, für die es gute Gründe anführen kann, und die ihm cnglischerseits,
wenn auch zögernd und schweren Herzens, zugestanden werden wird, da man
gegenwärtig außer Stande ist, sie zu verhindern. Die Streitkräfte, die deu Eng¬
ländern gegen die Russen zur Verfügung stehen, sind in Wirklichkeit noch un¬
genügender, als sie im vorigen Hefte angegeben wurden. Statt der 50000
Mann, die im Nordwesten Indiens zum Einmarsch in Afghanistan bereit stehen
sollten, sind kaum 20 000 vorhanden, und diese sind noch weit davon ent¬
fernt, mit dem ungeheuern Troß von Dienern, Kcuncelen, Packpferden und Trag¬
achsen versehen zu sein, den ein angloindisches Heer zu einem Feldzuge bedarf.
Die Afghanen sind viel unzuverlässiger, als die Londoner Blätter zugeben.
Ehe der Vizckönig von Indien eine Armee von 40000 Mann in Herat ein¬
rücken lassen könnte, würden mindestens fünf Monate und vielleicht acht vergehen.
Die britische Flotte könnte den Russen an der Ostsee so gut wie gar nichts und
um den Küsten des Schwarzen Meeres nur dann etwas anhaben, wenn der Sultan
ihr gegen die Verträge die Dardanellen und deu Bosporus öffnete. Dafür, daß
dies nicht geschieht, bürgt wohl die Klugheit der Türke", die sich mit etwaigem
ägyptischen Köder nicht täuschen lassen wird, und andernfalls würden Mächte
darein zu reden haben, die nicht wünschen können, daß der europäische Friede
gefährdet werde, und die nicht zaudern würden, ihrem Rate Befolgung zu ver¬
schaffen.") Dafür endlich, daß die Durchfahrt nicht erzwungen werden kann, wird
man durch Torpedos sorgen, bei deren Legung es nicht an erfahrenen Rat¬
gebern und Leitern mangeln würde. Will England seine asiatischen Interessen
gegen Nußland mit den Waffen vertreten, so darf dies einzig und allein auf
asiatischem Boden geschehen. Europa darf davon keinen Schaden haben. Es
hat durch den Krimkrieg, dessen Resultate nur den Engländern zugute kamen,
genug gelitten, um sich weitere Schädigung seiner Lebensinteressen zu gunsten
einer Sache, die ihm gleichgiltig sein kann, allen Ernstes zu verbitten.

Die Russen beanspruchen jetzt nur Ausdehnung ihrer Grenze über einen
Landstrich, den die Engländer als nordwestliche Ecke Afghanistans betrachtet wissen
wollen, und die Gründe, die man in Petersburg für sein Verlangen angiebt,



* D. Red. ) Der Rat ist depens erteilt wen'den,
Friedcnsaussichten und die Times.

Alles das mußte den Eindruck machen, daß der Krieg zwischen England
und Rußland so ziemlich vor der Thür stehe und nächstens von ersterem das
übliche Ultimatum zu erwarten sei. Dennoch sind wir der Ansicht, daß es noch
nicht soweit ist, ja daß noch mancher Monat ins Land gehen wird, bevor in
der Sache statt der Noten die Kanonen sprechen werden. England hat jetzt
nicht die Mittel und Kräfte, um mit Rußland einen Krieg mit Aussicht auf
Erfolg wagen zu können, und letzteres erstrebt den Besitz Herats, um den es sich
zunächst handeln würde, für heute und morgen noch nicht. Es verlangt nur
eine Ausdehnung seiner Grenze im Turkmenenlande zwischen dem Margab und
Herirud, für die es gute Gründe anführen kann, und die ihm cnglischerseits,
wenn auch zögernd und schweren Herzens, zugestanden werden wird, da man
gegenwärtig außer Stande ist, sie zu verhindern. Die Streitkräfte, die deu Eng¬
ländern gegen die Russen zur Verfügung stehen, sind in Wirklichkeit noch un¬
genügender, als sie im vorigen Hefte angegeben wurden. Statt der 50000
Mann, die im Nordwesten Indiens zum Einmarsch in Afghanistan bereit stehen
sollten, sind kaum 20 000 vorhanden, und diese sind noch weit davon ent¬
fernt, mit dem ungeheuern Troß von Dienern, Kcuncelen, Packpferden und Trag¬
achsen versehen zu sein, den ein angloindisches Heer zu einem Feldzuge bedarf.
Die Afghanen sind viel unzuverlässiger, als die Londoner Blätter zugeben.
Ehe der Vizckönig von Indien eine Armee von 40000 Mann in Herat ein¬
rücken lassen könnte, würden mindestens fünf Monate und vielleicht acht vergehen.
Die britische Flotte könnte den Russen an der Ostsee so gut wie gar nichts und
um den Küsten des Schwarzen Meeres nur dann etwas anhaben, wenn der Sultan
ihr gegen die Verträge die Dardanellen und deu Bosporus öffnete. Dafür, daß
dies nicht geschieht, bürgt wohl die Klugheit der Türke», die sich mit etwaigem
ägyptischen Köder nicht täuschen lassen wird, und andernfalls würden Mächte
darein zu reden haben, die nicht wünschen können, daß der europäische Friede
gefährdet werde, und die nicht zaudern würden, ihrem Rate Befolgung zu ver¬
schaffen.") Dafür endlich, daß die Durchfahrt nicht erzwungen werden kann, wird
man durch Torpedos sorgen, bei deren Legung es nicht an erfahrenen Rat¬
gebern und Leitern mangeln würde. Will England seine asiatischen Interessen
gegen Nußland mit den Waffen vertreten, so darf dies einzig und allein auf
asiatischem Boden geschehen. Europa darf davon keinen Schaden haben. Es
hat durch den Krimkrieg, dessen Resultate nur den Engländern zugute kamen,
genug gelitten, um sich weitere Schädigung seiner Lebensinteressen zu gunsten
einer Sache, die ihm gleichgiltig sein kann, allen Ernstes zu verbitten.

Die Russen beanspruchen jetzt nur Ausdehnung ihrer Grenze über einen
Landstrich, den die Engländer als nordwestliche Ecke Afghanistans betrachtet wissen
wollen, und die Gründe, die man in Petersburg für sein Verlangen angiebt,



* D. Red. ) Der Rat ist depens erteilt wen'den,
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[0223] Friedcnsaussichten und die Times. Alles das mußte den Eindruck machen, daß der Krieg zwischen England und Rußland so ziemlich vor der Thür stehe und nächstens von ersterem das übliche Ultimatum zu erwarten sei. Dennoch sind wir der Ansicht, daß es noch nicht soweit ist, ja daß noch mancher Monat ins Land gehen wird, bevor in der Sache statt der Noten die Kanonen sprechen werden. England hat jetzt nicht die Mittel und Kräfte, um mit Rußland einen Krieg mit Aussicht auf Erfolg wagen zu können, und letzteres erstrebt den Besitz Herats, um den es sich zunächst handeln würde, für heute und morgen noch nicht. Es verlangt nur eine Ausdehnung seiner Grenze im Turkmenenlande zwischen dem Margab und Herirud, für die es gute Gründe anführen kann, und die ihm cnglischerseits, wenn auch zögernd und schweren Herzens, zugestanden werden wird, da man gegenwärtig außer Stande ist, sie zu verhindern. Die Streitkräfte, die deu Eng¬ ländern gegen die Russen zur Verfügung stehen, sind in Wirklichkeit noch un¬ genügender, als sie im vorigen Hefte angegeben wurden. Statt der 50000 Mann, die im Nordwesten Indiens zum Einmarsch in Afghanistan bereit stehen sollten, sind kaum 20 000 vorhanden, und diese sind noch weit davon ent¬ fernt, mit dem ungeheuern Troß von Dienern, Kcuncelen, Packpferden und Trag¬ achsen versehen zu sein, den ein angloindisches Heer zu einem Feldzuge bedarf. Die Afghanen sind viel unzuverlässiger, als die Londoner Blätter zugeben. Ehe der Vizckönig von Indien eine Armee von 40000 Mann in Herat ein¬ rücken lassen könnte, würden mindestens fünf Monate und vielleicht acht vergehen. Die britische Flotte könnte den Russen an der Ostsee so gut wie gar nichts und um den Küsten des Schwarzen Meeres nur dann etwas anhaben, wenn der Sultan ihr gegen die Verträge die Dardanellen und deu Bosporus öffnete. Dafür, daß dies nicht geschieht, bürgt wohl die Klugheit der Türke», die sich mit etwaigem ägyptischen Köder nicht täuschen lassen wird, und andernfalls würden Mächte darein zu reden haben, die nicht wünschen können, daß der europäische Friede gefährdet werde, und die nicht zaudern würden, ihrem Rate Befolgung zu ver¬ schaffen.") Dafür endlich, daß die Durchfahrt nicht erzwungen werden kann, wird man durch Torpedos sorgen, bei deren Legung es nicht an erfahrenen Rat¬ gebern und Leitern mangeln würde. Will England seine asiatischen Interessen gegen Nußland mit den Waffen vertreten, so darf dies einzig und allein auf asiatischem Boden geschehen. Europa darf davon keinen Schaden haben. Es hat durch den Krimkrieg, dessen Resultate nur den Engländern zugute kamen, genug gelitten, um sich weitere Schädigung seiner Lebensinteressen zu gunsten einer Sache, die ihm gleichgiltig sein kann, allen Ernstes zu verbitten. Die Russen beanspruchen jetzt nur Ausdehnung ihrer Grenze über einen Landstrich, den die Engländer als nordwestliche Ecke Afghanistans betrachtet wissen wollen, und die Gründe, die man in Petersburg für sein Verlangen angiebt, * D. Red. ) Der Rat ist depens erteilt wen'den,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/223>, abgerufen am 22.07.2024.