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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

Die Neapolitanerin starrte wie geistesabwesend.

Du hast endlich, fuhr der Lakai fort, du hast endlich, endlich einmal Feuer
gefangen! Lvviva, sage ich da: wir wollen ihn nicht umsonst in deine Schuld
geraten sein lassen. Hier aus diesem hübschen kleinen Stübchen, um das dich
Unzählige beneiden, willst du fort; gut, es werden sich Mittel und Wege finden
lassen, daß ihr euch anderswo wiedersehen könnt. Er ist frei, ist reich, ist
kein Duckmäuser. Ich werde für dich thun, was ich kann, Medusa. Aber Lei¬
stung gegen Leistung: du bist mein Hörrohr. Verstanden?

Die Ncapolitanerin war lebhaft errötet, dann erbleicht, dann wieder bis
unter die Stirnhaare errötet. Sie warf sich auf die Ottomane, und ihr Busen
hob sich wie in wildem innern Kampfe.

Der Lakai war während dessen an die Zahlbank getreten, um an der über
derselben hängenden Lampe nach einer etwaigen Inschrift des Ringlcins zu
forschen. Dasselbe hatten schon Coka und die Neapolitanerin gethan. Aber
beide waren des Lesens nicht soweit kundig, daß sie auch mit gothischen
Buchstaben vertraut gewesen wären. Und nach der aus Mailand herüberge¬
kommenen Mode der Goldschmiede hatte das Ringlein eine Inschrift in go¬
thischen Lettern. Das Gesicht des Lakaien ward beim Enträtseln der halbverwischtcn
Namen, aus denen sie bestand, von einem Frcndenschimmer Übergossen, der ihn
fast völlig verwandelte. "Florida Buonacolsi" hatte er herausgebracht, dazu eine
Jahreszahl, die ungefähr auf das Firmclungsjahr der Tochter des letzten Buona¬
colsi passen mochte. Ein Firmelungs-Andenken! Zwischen ihr und Giuseppe
Gonzaga bestand also eine nahe Beziehung! Ihretwegen war er in Mantua,
hielt er sich verborgen!

Und Vitalicmo reiste, während so unerhörte Dinge sich zutrugen, wegen
einer -- Zehe Muhameds nach der Dogeustadt!

Der Adjunkt des Sbirreuchefs blähte sich wie ein Segel, in welches der
Wind ans vollen Backen bläst.

Aber Medusa durfte nicht erfahren, daß ihm die Entzifferung des Ringes
gelungen war. Er zog sein Gesicht daher in mißmutige Falten, schob den
Ring in die Tasche und wandte sich zu der noch ans der Ottomane mit ihren
innern Stürmen stöhnend ringenden.

Ich gehe, sagte er, indem er ihre Schulter berührte.

Sie richtete sich auf. Ihre Wimpern tropften noch, aber ihre Wangen
glühten, und in ihren Augen blitzte es sonnig.

Auf die Schwelle welches Paradieses habt Ihr mich Arme gestellt, Signor
Antonio Maria! rief sie mit vor Bewegung zitternder Stimme. Ich bin wie
verwirrt. Und Ihr meint wirklich -- seht doch wie ich in diesem Käfig herab-
gekommen bin, alle meine Kleider sind mir zu weit und meine Wangen scheinen
mir so schlaff wie die Blätter einer verwelkten Rose --, Ihr meint wirklich,
er werde mich um sich dulden wollen? O wenn er es doch thäte! Ich habe


Grenzboten II. 18SS. 97
Um eine Perle.

Die Neapolitanerin starrte wie geistesabwesend.

Du hast endlich, fuhr der Lakai fort, du hast endlich, endlich einmal Feuer
gefangen! Lvviva, sage ich da: wir wollen ihn nicht umsonst in deine Schuld
geraten sein lassen. Hier aus diesem hübschen kleinen Stübchen, um das dich
Unzählige beneiden, willst du fort; gut, es werden sich Mittel und Wege finden
lassen, daß ihr euch anderswo wiedersehen könnt. Er ist frei, ist reich, ist
kein Duckmäuser. Ich werde für dich thun, was ich kann, Medusa. Aber Lei¬
stung gegen Leistung: du bist mein Hörrohr. Verstanden?

Die Ncapolitanerin war lebhaft errötet, dann erbleicht, dann wieder bis
unter die Stirnhaare errötet. Sie warf sich auf die Ottomane, und ihr Busen
hob sich wie in wildem innern Kampfe.

Der Lakai war während dessen an die Zahlbank getreten, um an der über
derselben hängenden Lampe nach einer etwaigen Inschrift des Ringlcins zu
forschen. Dasselbe hatten schon Coka und die Neapolitanerin gethan. Aber
beide waren des Lesens nicht soweit kundig, daß sie auch mit gothischen
Buchstaben vertraut gewesen wären. Und nach der aus Mailand herüberge¬
kommenen Mode der Goldschmiede hatte das Ringlein eine Inschrift in go¬
thischen Lettern. Das Gesicht des Lakaien ward beim Enträtseln der halbverwischtcn
Namen, aus denen sie bestand, von einem Frcndenschimmer Übergossen, der ihn
fast völlig verwandelte. „Florida Buonacolsi" hatte er herausgebracht, dazu eine
Jahreszahl, die ungefähr auf das Firmclungsjahr der Tochter des letzten Buona¬
colsi passen mochte. Ein Firmelungs-Andenken! Zwischen ihr und Giuseppe
Gonzaga bestand also eine nahe Beziehung! Ihretwegen war er in Mantua,
hielt er sich verborgen!

Und Vitalicmo reiste, während so unerhörte Dinge sich zutrugen, wegen
einer — Zehe Muhameds nach der Dogeustadt!

Der Adjunkt des Sbirreuchefs blähte sich wie ein Segel, in welches der
Wind ans vollen Backen bläst.

Aber Medusa durfte nicht erfahren, daß ihm die Entzifferung des Ringes
gelungen war. Er zog sein Gesicht daher in mißmutige Falten, schob den
Ring in die Tasche und wandte sich zu der noch ans der Ottomane mit ihren
innern Stürmen stöhnend ringenden.

Ich gehe, sagte er, indem er ihre Schulter berührte.

Sie richtete sich auf. Ihre Wimpern tropften noch, aber ihre Wangen
glühten, und in ihren Augen blitzte es sonnig.

Auf die Schwelle welches Paradieses habt Ihr mich Arme gestellt, Signor
Antonio Maria! rief sie mit vor Bewegung zitternder Stimme. Ich bin wie
verwirrt. Und Ihr meint wirklich — seht doch wie ich in diesem Käfig herab-
gekommen bin, alle meine Kleider sind mir zu weit und meine Wangen scheinen
mir so schlaff wie die Blätter einer verwelkten Rose —, Ihr meint wirklich,
er werde mich um sich dulden wollen? O wenn er es doch thäte! Ich habe


Grenzboten II. 18SS. 97
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[0214] Um eine Perle. Die Neapolitanerin starrte wie geistesabwesend. Du hast endlich, fuhr der Lakai fort, du hast endlich, endlich einmal Feuer gefangen! Lvviva, sage ich da: wir wollen ihn nicht umsonst in deine Schuld geraten sein lassen. Hier aus diesem hübschen kleinen Stübchen, um das dich Unzählige beneiden, willst du fort; gut, es werden sich Mittel und Wege finden lassen, daß ihr euch anderswo wiedersehen könnt. Er ist frei, ist reich, ist kein Duckmäuser. Ich werde für dich thun, was ich kann, Medusa. Aber Lei¬ stung gegen Leistung: du bist mein Hörrohr. Verstanden? Die Ncapolitanerin war lebhaft errötet, dann erbleicht, dann wieder bis unter die Stirnhaare errötet. Sie warf sich auf die Ottomane, und ihr Busen hob sich wie in wildem innern Kampfe. Der Lakai war während dessen an die Zahlbank getreten, um an der über derselben hängenden Lampe nach einer etwaigen Inschrift des Ringlcins zu forschen. Dasselbe hatten schon Coka und die Neapolitanerin gethan. Aber beide waren des Lesens nicht soweit kundig, daß sie auch mit gothischen Buchstaben vertraut gewesen wären. Und nach der aus Mailand herüberge¬ kommenen Mode der Goldschmiede hatte das Ringlein eine Inschrift in go¬ thischen Lettern. Das Gesicht des Lakaien ward beim Enträtseln der halbverwischtcn Namen, aus denen sie bestand, von einem Frcndenschimmer Übergossen, der ihn fast völlig verwandelte. „Florida Buonacolsi" hatte er herausgebracht, dazu eine Jahreszahl, die ungefähr auf das Firmclungsjahr der Tochter des letzten Buona¬ colsi passen mochte. Ein Firmelungs-Andenken! Zwischen ihr und Giuseppe Gonzaga bestand also eine nahe Beziehung! Ihretwegen war er in Mantua, hielt er sich verborgen! Und Vitalicmo reiste, während so unerhörte Dinge sich zutrugen, wegen einer — Zehe Muhameds nach der Dogeustadt! Der Adjunkt des Sbirreuchefs blähte sich wie ein Segel, in welches der Wind ans vollen Backen bläst. Aber Medusa durfte nicht erfahren, daß ihm die Entzifferung des Ringes gelungen war. Er zog sein Gesicht daher in mißmutige Falten, schob den Ring in die Tasche und wandte sich zu der noch ans der Ottomane mit ihren innern Stürmen stöhnend ringenden. Ich gehe, sagte er, indem er ihre Schulter berührte. Sie richtete sich auf. Ihre Wimpern tropften noch, aber ihre Wangen glühten, und in ihren Augen blitzte es sonnig. Auf die Schwelle welches Paradieses habt Ihr mich Arme gestellt, Signor Antonio Maria! rief sie mit vor Bewegung zitternder Stimme. Ich bin wie verwirrt. Und Ihr meint wirklich — seht doch wie ich in diesem Käfig herab- gekommen bin, alle meine Kleider sind mir zu weit und meine Wangen scheinen mir so schlaff wie die Blätter einer verwelkten Rose —, Ihr meint wirklich, er werde mich um sich dulden wollen? O wenn er es doch thäte! Ich habe Grenzboten II. 18SS. 97

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/214>, abgerufen am 22.07.2024.