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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die musikalischen Jubiläen des Jahres 51.835.

Bach? In Daniel Schubarts "Ideen zur Tonkunst" (Wien, 1806), einem seiner
Zeit die Ästhetik beherrschenden Werke, werden "die mächtige Faust," die "Ver¬
dienste um den Fingersatz," die Gabe "eine Duodecime zu spannen" als Bachs
Vorzüge hervorgehoben. Von dem Komponisten Bach kannte der sonst nicht
kleinliche Verfasser, der bekannte Märtyrer vom Hohenasperg, nichts -- oder
über das, was er kannte, glaubte er den schonenden Mantel des Schweigens
decken zu müssen. Im Jahrgange 1301 der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung,"
die durchaus kein flaches Blatt war, macht ein Ungenannter auf das "Wohl-
temperirte Klavier" als auf ein Werk aufmerksam, "welches öffentliche Bekannt¬
machung verdient," und bedauert bei dieser Gelegenheit, "daß niemand Bach
etwas Schönes zutraue." Diese beiden Zeugnisse genügen, um uns über die
Stellung der Bachschen Kunst zu Aufang unsers Jahrhunderts zu orientiren.
Nur in den Orgelschulen hatte man vor Bach noch Respekt -- in der Regel
aber einen geistlosen. Die Mehrzahl derer, welche die wenigen in Umlauf be¬
findlichen Klavier- und Orgelkompositionen des großen Tonsetzers kannten,
faßten sie als Produkte des "Rechen- und Fugenmeisters" auf, ganz nach der
Parole des leichtfertigsten Jtalienertums. Diejenigen Männer, welche in Bach
eine geistige Größe erkannten, wie Forkel, Zelter, Beethoven und Goethe -- um
die bekanntesten Namen anzuführen --, bildeten Ausnahmen.

Mit Recht betrachtet man die bekannte Berliner Aufführung der Matthäus¬
passion vom Jahre 1829 als dasjenige Ereignis, von welchem eine bessere all¬
gemeine Würdigung der Kunst Bachs datirt. Es scheint uns aber eine Pflicht
der Dankbarkeit zu sein, daß auch einmal wieder der Männer gedacht werde,
welche schon vorher in hervorragender Weise für Bach arbeiteten und praktisch
eintraten. Viele sind es allerdings nicht, und Zelter gehört nicht zu ihnen. Nach
seinen Aussprüchen in den Briefen an Goethe darf man zwar nicht daran
zweifeln, daß er von einer ehrlichen Begeisterung für den großen Sebastian
erfüllt war. Aber obwohl er als Direktor der Berliner Singakademie viel hätte
thun können, machte er von seiner Begeisterung keinen öffentlichen Gebrauch.
Er erwarb die Partitur der Matthäuspassion als Makulatur bei einem Käse¬
händler -- das Werk aufzuführen besaß er nicht den Mut, und für den Fall,
daß es doch einmal so kommen sollte, hatte er vorsorglicherweise die Rezitative
und Chöre in Graunscher Manier umkomponirt, wie unser Gewährsmann
A. B. Marx, der die Stimmen gesehen haben will, versichert. Wohl aber
verdient der Name von Friedrich Rochlitz in der Geschichte der Bachschen Kunst
mit Ehren genannt zu werden. Als Historiker ist Rochlitz durch die neuere
Forschung stark kompromittirt worden. Wir sollten aber darüber nicht vergessen,
was er als Kritiker war. Er erkannte das Bedeutende und trat dafür ein. So
stellte er sich ans Beethovens Seite zu einer Zeit, wo dessen Größe noch be-
stritten wurde, und mit gleichem oder noch größerm Eifer war er auch für
Bach bemüht. Mit dem Bilde des Meisters schmückte er die erste Nummer


Die musikalischen Jubiläen des Jahres 51.835.

Bach? In Daniel Schubarts „Ideen zur Tonkunst" (Wien, 1806), einem seiner
Zeit die Ästhetik beherrschenden Werke, werden „die mächtige Faust," die „Ver¬
dienste um den Fingersatz," die Gabe „eine Duodecime zu spannen" als Bachs
Vorzüge hervorgehoben. Von dem Komponisten Bach kannte der sonst nicht
kleinliche Verfasser, der bekannte Märtyrer vom Hohenasperg, nichts — oder
über das, was er kannte, glaubte er den schonenden Mantel des Schweigens
decken zu müssen. Im Jahrgange 1301 der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung,"
die durchaus kein flaches Blatt war, macht ein Ungenannter auf das „Wohl-
temperirte Klavier" als auf ein Werk aufmerksam, „welches öffentliche Bekannt¬
machung verdient," und bedauert bei dieser Gelegenheit, „daß niemand Bach
etwas Schönes zutraue." Diese beiden Zeugnisse genügen, um uns über die
Stellung der Bachschen Kunst zu Aufang unsers Jahrhunderts zu orientiren.
Nur in den Orgelschulen hatte man vor Bach noch Respekt — in der Regel
aber einen geistlosen. Die Mehrzahl derer, welche die wenigen in Umlauf be¬
findlichen Klavier- und Orgelkompositionen des großen Tonsetzers kannten,
faßten sie als Produkte des „Rechen- und Fugenmeisters" auf, ganz nach der
Parole des leichtfertigsten Jtalienertums. Diejenigen Männer, welche in Bach
eine geistige Größe erkannten, wie Forkel, Zelter, Beethoven und Goethe — um
die bekanntesten Namen anzuführen —, bildeten Ausnahmen.

Mit Recht betrachtet man die bekannte Berliner Aufführung der Matthäus¬
passion vom Jahre 1829 als dasjenige Ereignis, von welchem eine bessere all¬
gemeine Würdigung der Kunst Bachs datirt. Es scheint uns aber eine Pflicht
der Dankbarkeit zu sein, daß auch einmal wieder der Männer gedacht werde,
welche schon vorher in hervorragender Weise für Bach arbeiteten und praktisch
eintraten. Viele sind es allerdings nicht, und Zelter gehört nicht zu ihnen. Nach
seinen Aussprüchen in den Briefen an Goethe darf man zwar nicht daran
zweifeln, daß er von einer ehrlichen Begeisterung für den großen Sebastian
erfüllt war. Aber obwohl er als Direktor der Berliner Singakademie viel hätte
thun können, machte er von seiner Begeisterung keinen öffentlichen Gebrauch.
Er erwarb die Partitur der Matthäuspassion als Makulatur bei einem Käse¬
händler — das Werk aufzuführen besaß er nicht den Mut, und für den Fall,
daß es doch einmal so kommen sollte, hatte er vorsorglicherweise die Rezitative
und Chöre in Graunscher Manier umkomponirt, wie unser Gewährsmann
A. B. Marx, der die Stimmen gesehen haben will, versichert. Wohl aber
verdient der Name von Friedrich Rochlitz in der Geschichte der Bachschen Kunst
mit Ehren genannt zu werden. Als Historiker ist Rochlitz durch die neuere
Forschung stark kompromittirt worden. Wir sollten aber darüber nicht vergessen,
was er als Kritiker war. Er erkannte das Bedeutende und trat dafür ein. So
stellte er sich ans Beethovens Seite zu einer Zeit, wo dessen Größe noch be-
stritten wurde, und mit gleichem oder noch größerm Eifer war er auch für
Bach bemüht. Mit dem Bilde des Meisters schmückte er die erste Nummer


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[0205] Die musikalischen Jubiläen des Jahres 51.835. Bach? In Daniel Schubarts „Ideen zur Tonkunst" (Wien, 1806), einem seiner Zeit die Ästhetik beherrschenden Werke, werden „die mächtige Faust," die „Ver¬ dienste um den Fingersatz," die Gabe „eine Duodecime zu spannen" als Bachs Vorzüge hervorgehoben. Von dem Komponisten Bach kannte der sonst nicht kleinliche Verfasser, der bekannte Märtyrer vom Hohenasperg, nichts — oder über das, was er kannte, glaubte er den schonenden Mantel des Schweigens decken zu müssen. Im Jahrgange 1301 der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung," die durchaus kein flaches Blatt war, macht ein Ungenannter auf das „Wohl- temperirte Klavier" als auf ein Werk aufmerksam, „welches öffentliche Bekannt¬ machung verdient," und bedauert bei dieser Gelegenheit, „daß niemand Bach etwas Schönes zutraue." Diese beiden Zeugnisse genügen, um uns über die Stellung der Bachschen Kunst zu Aufang unsers Jahrhunderts zu orientiren. Nur in den Orgelschulen hatte man vor Bach noch Respekt — in der Regel aber einen geistlosen. Die Mehrzahl derer, welche die wenigen in Umlauf be¬ findlichen Klavier- und Orgelkompositionen des großen Tonsetzers kannten, faßten sie als Produkte des „Rechen- und Fugenmeisters" auf, ganz nach der Parole des leichtfertigsten Jtalienertums. Diejenigen Männer, welche in Bach eine geistige Größe erkannten, wie Forkel, Zelter, Beethoven und Goethe — um die bekanntesten Namen anzuführen —, bildeten Ausnahmen. Mit Recht betrachtet man die bekannte Berliner Aufführung der Matthäus¬ passion vom Jahre 1829 als dasjenige Ereignis, von welchem eine bessere all¬ gemeine Würdigung der Kunst Bachs datirt. Es scheint uns aber eine Pflicht der Dankbarkeit zu sein, daß auch einmal wieder der Männer gedacht werde, welche schon vorher in hervorragender Weise für Bach arbeiteten und praktisch eintraten. Viele sind es allerdings nicht, und Zelter gehört nicht zu ihnen. Nach seinen Aussprüchen in den Briefen an Goethe darf man zwar nicht daran zweifeln, daß er von einer ehrlichen Begeisterung für den großen Sebastian erfüllt war. Aber obwohl er als Direktor der Berliner Singakademie viel hätte thun können, machte er von seiner Begeisterung keinen öffentlichen Gebrauch. Er erwarb die Partitur der Matthäuspassion als Makulatur bei einem Käse¬ händler — das Werk aufzuführen besaß er nicht den Mut, und für den Fall, daß es doch einmal so kommen sollte, hatte er vorsorglicherweise die Rezitative und Chöre in Graunscher Manier umkomponirt, wie unser Gewährsmann A. B. Marx, der die Stimmen gesehen haben will, versichert. Wohl aber verdient der Name von Friedrich Rochlitz in der Geschichte der Bachschen Kunst mit Ehren genannt zu werden. Als Historiker ist Rochlitz durch die neuere Forschung stark kompromittirt worden. Wir sollten aber darüber nicht vergessen, was er als Kritiker war. Er erkannte das Bedeutende und trat dafür ein. So stellte er sich ans Beethovens Seite zu einer Zeit, wo dessen Größe noch be- stritten wurde, und mit gleichem oder noch größerm Eifer war er auch für Bach bemüht. Mit dem Bilde des Meisters schmückte er die erste Nummer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/205>, abgerufen am 22.07.2024.