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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Wenden und der Pcmslawismus.

ihr durch und durch loyaler Sinn über allen Zweifel erhaben und auch stets,
zuletzt noch in der Antwort des preußischen Kultusministeriums auf die Welansche
Petition, von der Regierung anerkannt worden. Ein Grund zu einer mehr
oder minder sanften Germanisirung liegt, wenigstens in den politischen Ver¬
hältnissen, durchaus nicht vor.

Ebenso ist auch das Bedürfnis der Wenden nach wendisch redende" Geist¬
lichen vielfach' anzuerkennen. Zwar werden nur wenige sehr alte Leute nicht
imstande sein, der deutscheu Predigt zu folgen, da durch die Fürsorge der
Schule und durch den lebhafteren Verkehr in den letzten Jahrzehnten die
Kenntnis der deutschen Sprache selbst in das entlegenste Wendeiidorf gedrungen
ist. Aber immerhin ist das Deutsche nicht ihre Muttersprache. Warum thuen
also die religiöse Anregung dnrch die Predigt in einem ihrem Herzen weniger
nahestehenden Idiom darbieten, da doch die Religion die unmittelbarste Herzens¬
angelegenheit eines jeden ist? Warum durch Einmischung des rein intellektuellen
Elementes, wie sie bei der Predigt in deutscher Sprache durch die notwendige
Umformung in die Ausdrucksweise der Muttersprache eintritt, die unmittelbare
Wirkung auf das Gemüt, auf den ganzen innern Menschen, also auch auf die
Wurzeln der Sittlichkeit beeinträchtigen? Und kann man es dem Geistlichen,
der es mit dem Wohle seiner Gemeindeglieder redlich meint, verargen, wenn er
sich dagegen sträubt, daß mit der Anhänglichkeit an das gute Alte, an die
Sitten und Gebräuche, an die Kleidung und vor allem an die Sprache der
Voreltern zugleich ein gut Teil der alten Frömmigkeit und Sittlichkeit ver¬
loren gehe?

Auch betreffs der Schulfrage wird mau sich ähnlichen Erwägungen nicht
verschließen können. In der mehrfach erwähnten Petition war von den Vor¬
kämpfern des Wendentums rückhaltlos zugestanden worden, daß in allen Unter¬
richtsfächern mit alleiniger Ausnahme des Religions- und Leseunterrichtes die
deutsche Sprache angewendet werden solle. Daß aber der Wunsch besteht, die
wendischen Kinder möchten wenigstens ihre Muttersprache lesen lernen, ist doch
eine billige Forderung. Selbst vom rein intellektuellen Standpunkte aus sprechen
die Erfahrungen für Beibehaltung des Unterrichtes im Wendischen auf der
untersten Stufe, da kompetente Beurteiler in den wendisch-deutschen Schulen
eine größere geistige Elastizität der Kinder beobachtet haben, als in den rein deut¬
schen Schulen, welche nur durch die Zweisprachigkeit erklärt werden kann, da diese
schon die Kinder der untersten Klasse nötigt, mit zwei Sprachen zu operiren. Ja
es lehrt die Erfahrung, daß die Kinder bei rationeller Mitcmweuduug des wendischen
Idioms bessere Fortschritte in der Erlernung des Deutschen machen, als in
solchen Schulen, in denen jedes wendische Worte verpönt ist und der deutsche
Unterricht den Kindern jahrelang als ein unnahbares Etwas unvermittelt ent¬
gegentritt. Daß auch Kinder rein deutscher Nationalität, deren Eltern in
wendischen Gemeinden zu leben genötigt sind, an diesem wendischen Anfangs-


Die Wenden und der Pcmslawismus.

ihr durch und durch loyaler Sinn über allen Zweifel erhaben und auch stets,
zuletzt noch in der Antwort des preußischen Kultusministeriums auf die Welansche
Petition, von der Regierung anerkannt worden. Ein Grund zu einer mehr
oder minder sanften Germanisirung liegt, wenigstens in den politischen Ver¬
hältnissen, durchaus nicht vor.

Ebenso ist auch das Bedürfnis der Wenden nach wendisch redende» Geist¬
lichen vielfach' anzuerkennen. Zwar werden nur wenige sehr alte Leute nicht
imstande sein, der deutscheu Predigt zu folgen, da durch die Fürsorge der
Schule und durch den lebhafteren Verkehr in den letzten Jahrzehnten die
Kenntnis der deutschen Sprache selbst in das entlegenste Wendeiidorf gedrungen
ist. Aber immerhin ist das Deutsche nicht ihre Muttersprache. Warum thuen
also die religiöse Anregung dnrch die Predigt in einem ihrem Herzen weniger
nahestehenden Idiom darbieten, da doch die Religion die unmittelbarste Herzens¬
angelegenheit eines jeden ist? Warum durch Einmischung des rein intellektuellen
Elementes, wie sie bei der Predigt in deutscher Sprache durch die notwendige
Umformung in die Ausdrucksweise der Muttersprache eintritt, die unmittelbare
Wirkung auf das Gemüt, auf den ganzen innern Menschen, also auch auf die
Wurzeln der Sittlichkeit beeinträchtigen? Und kann man es dem Geistlichen,
der es mit dem Wohle seiner Gemeindeglieder redlich meint, verargen, wenn er
sich dagegen sträubt, daß mit der Anhänglichkeit an das gute Alte, an die
Sitten und Gebräuche, an die Kleidung und vor allem an die Sprache der
Voreltern zugleich ein gut Teil der alten Frömmigkeit und Sittlichkeit ver¬
loren gehe?

Auch betreffs der Schulfrage wird mau sich ähnlichen Erwägungen nicht
verschließen können. In der mehrfach erwähnten Petition war von den Vor¬
kämpfern des Wendentums rückhaltlos zugestanden worden, daß in allen Unter¬
richtsfächern mit alleiniger Ausnahme des Religions- und Leseunterrichtes die
deutsche Sprache angewendet werden solle. Daß aber der Wunsch besteht, die
wendischen Kinder möchten wenigstens ihre Muttersprache lesen lernen, ist doch
eine billige Forderung. Selbst vom rein intellektuellen Standpunkte aus sprechen
die Erfahrungen für Beibehaltung des Unterrichtes im Wendischen auf der
untersten Stufe, da kompetente Beurteiler in den wendisch-deutschen Schulen
eine größere geistige Elastizität der Kinder beobachtet haben, als in den rein deut¬
schen Schulen, welche nur durch die Zweisprachigkeit erklärt werden kann, da diese
schon die Kinder der untersten Klasse nötigt, mit zwei Sprachen zu operiren. Ja
es lehrt die Erfahrung, daß die Kinder bei rationeller Mitcmweuduug des wendischen
Idioms bessere Fortschritte in der Erlernung des Deutschen machen, als in
solchen Schulen, in denen jedes wendische Worte verpönt ist und der deutsche
Unterricht den Kindern jahrelang als ein unnahbares Etwas unvermittelt ent¬
gegentritt. Daß auch Kinder rein deutscher Nationalität, deren Eltern in
wendischen Gemeinden zu leben genötigt sind, an diesem wendischen Anfangs-


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[0186] Die Wenden und der Pcmslawismus. ihr durch und durch loyaler Sinn über allen Zweifel erhaben und auch stets, zuletzt noch in der Antwort des preußischen Kultusministeriums auf die Welansche Petition, von der Regierung anerkannt worden. Ein Grund zu einer mehr oder minder sanften Germanisirung liegt, wenigstens in den politischen Ver¬ hältnissen, durchaus nicht vor. Ebenso ist auch das Bedürfnis der Wenden nach wendisch redende» Geist¬ lichen vielfach' anzuerkennen. Zwar werden nur wenige sehr alte Leute nicht imstande sein, der deutscheu Predigt zu folgen, da durch die Fürsorge der Schule und durch den lebhafteren Verkehr in den letzten Jahrzehnten die Kenntnis der deutschen Sprache selbst in das entlegenste Wendeiidorf gedrungen ist. Aber immerhin ist das Deutsche nicht ihre Muttersprache. Warum thuen also die religiöse Anregung dnrch die Predigt in einem ihrem Herzen weniger nahestehenden Idiom darbieten, da doch die Religion die unmittelbarste Herzens¬ angelegenheit eines jeden ist? Warum durch Einmischung des rein intellektuellen Elementes, wie sie bei der Predigt in deutscher Sprache durch die notwendige Umformung in die Ausdrucksweise der Muttersprache eintritt, die unmittelbare Wirkung auf das Gemüt, auf den ganzen innern Menschen, also auch auf die Wurzeln der Sittlichkeit beeinträchtigen? Und kann man es dem Geistlichen, der es mit dem Wohle seiner Gemeindeglieder redlich meint, verargen, wenn er sich dagegen sträubt, daß mit der Anhänglichkeit an das gute Alte, an die Sitten und Gebräuche, an die Kleidung und vor allem an die Sprache der Voreltern zugleich ein gut Teil der alten Frömmigkeit und Sittlichkeit ver¬ loren gehe? Auch betreffs der Schulfrage wird mau sich ähnlichen Erwägungen nicht verschließen können. In der mehrfach erwähnten Petition war von den Vor¬ kämpfern des Wendentums rückhaltlos zugestanden worden, daß in allen Unter¬ richtsfächern mit alleiniger Ausnahme des Religions- und Leseunterrichtes die deutsche Sprache angewendet werden solle. Daß aber der Wunsch besteht, die wendischen Kinder möchten wenigstens ihre Muttersprache lesen lernen, ist doch eine billige Forderung. Selbst vom rein intellektuellen Standpunkte aus sprechen die Erfahrungen für Beibehaltung des Unterrichtes im Wendischen auf der untersten Stufe, da kompetente Beurteiler in den wendisch-deutschen Schulen eine größere geistige Elastizität der Kinder beobachtet haben, als in den rein deut¬ schen Schulen, welche nur durch die Zweisprachigkeit erklärt werden kann, da diese schon die Kinder der untersten Klasse nötigt, mit zwei Sprachen zu operiren. Ja es lehrt die Erfahrung, daß die Kinder bei rationeller Mitcmweuduug des wendischen Idioms bessere Fortschritte in der Erlernung des Deutschen machen, als in solchen Schulen, in denen jedes wendische Worte verpönt ist und der deutsche Unterricht den Kindern jahrelang als ein unnahbares Etwas unvermittelt ent¬ gegentritt. Daß auch Kinder rein deutscher Nationalität, deren Eltern in wendischen Gemeinden zu leben genötigt sind, an diesem wendischen Anfangs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/186>, abgerufen am 22.07.2024.