Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Wenden und der Panslawismus.

In diesem Zusammenhange wollen wir in Kürze der Thätigkeit und der
Aufgabe des von Jmmisch geleiteten Seminars für wendische Theologen gedenken.
Diese Einrichtung geht von der selbstverständlichen Ansicht aus, daß zur Übernahme
eines wendischen Pfarramtes vor allem die Kenntnis der wendischen Sprache
gehöre, da bekanntermaßen Fehler in der Aussprache, Fehler in der Grammatik
oder in der Wahl des Ausdruckes leicht die Andacht des Zuhörers stören oder
ihm wohl gar zum religiösen Ärgernis werden können, eine Thatsache, die be¬
stehen bleibt, auch wenn der Zuhörer, weil er keine wissenschaftliche Bildung
besitzt, nicht imstande ist anzugeben, worin der gehörte Fehler bestehe. Da es
nun für einen bereits in voller Amtsthätigkeit befindlichen Geistlichen selbst bei
guter Begabung in der Regel eine Unmöglichkeit sein wird, sich die wendische
Sprache zum Gebrauche derselben in der Predigt und Seelsorge anzueignen,
weil die nötige Zeit und die geeignete Anleitung fehlt, so bezweckt Jmmischs
Seminar die Ausbildung der Geistlichen im Wendischen vor der Übernahme
einer Pfarrstelle.

Die Errichtung von Predigerseminaren für die Sprache eines kleinen Volks¬
stammes ist übrigens auch in Preußen nichts neues. Für diejenigen Gymnasiasten
in Tilsit und für diejenigen Studenten in Königsberg, die littattische Prediger
werden wollen, sind Stipendien vorhanden, und überdies ist in Königsberg zur
Einführung in den praktischen Gebrauch des littauischeu Idioms ein eigner
Dozent für diese Sprache bestellt, gegenwärtig Pastor und Professor Dr. Kurschat.
Den gleichen Zweck verfolgt das sächsisch-wendische Predigerseminar zu Göda,
in welches aus Rücksichten auf den gegenwärtigen Mangel an wendischen
Theologen auch geborne Deutsche eintreten, die das Wendische studiren, um
nachmals als Geistliche unter den Wenden wirken zu können. Schon nach
Absvlvirnng eines zweimaligen Kursus bei Jmmisch ist kürzlich ein deutscher
Student der Theologie soweit fortgeschritten, daß er in verschiednen Kirchen
aushilfsweise außer der deutscheu auch die wendische Predigt gehalten Hut. Auch
für einzelne bereits im Amte befindliche Geistlichen hat Pastor Jmmisch ans
besondern Wunsch privatim einen Kursus veranstaltet.

Die Berechtigung des von Jmmisch vertretenen Standpunktes müssen wir
durchaus anerkennen, wie ja auch das preußische Ministerium im Prinzip die¬
selbe anerkannt hat. Man muß in erster Linie bedenken, daß das Wendenvolk
und sein Verlangen nach Forterhaltung der Muttersprache durchaus nicht etwa
mit den Polen und ihrer gleichen Forderung ans eine Linie zu stellen ist. Die
Zahl der gesamten Wenden beträgt in der Ober- und Niederlausitz an 160000,
von denen etwa 1S0000 dem evangelischen, etwa 10 000 dem katholischen Be¬
kenntnisse angehören. Sie wohnen mitten unter Deutschen, in völliger, seit
Jahrhunderten zu keiner Zeit getrübter Einigkeit und innigem Verkehr. Nie
haben sie sich gegen den Staat und seine Ordnungen empört oder auch nur die
Gewalt des Staates widerwillig und murrend ertragen. Vielmehr ist gerade


Die Wenden und der Panslawismus.

In diesem Zusammenhange wollen wir in Kürze der Thätigkeit und der
Aufgabe des von Jmmisch geleiteten Seminars für wendische Theologen gedenken.
Diese Einrichtung geht von der selbstverständlichen Ansicht aus, daß zur Übernahme
eines wendischen Pfarramtes vor allem die Kenntnis der wendischen Sprache
gehöre, da bekanntermaßen Fehler in der Aussprache, Fehler in der Grammatik
oder in der Wahl des Ausdruckes leicht die Andacht des Zuhörers stören oder
ihm wohl gar zum religiösen Ärgernis werden können, eine Thatsache, die be¬
stehen bleibt, auch wenn der Zuhörer, weil er keine wissenschaftliche Bildung
besitzt, nicht imstande ist anzugeben, worin der gehörte Fehler bestehe. Da es
nun für einen bereits in voller Amtsthätigkeit befindlichen Geistlichen selbst bei
guter Begabung in der Regel eine Unmöglichkeit sein wird, sich die wendische
Sprache zum Gebrauche derselben in der Predigt und Seelsorge anzueignen,
weil die nötige Zeit und die geeignete Anleitung fehlt, so bezweckt Jmmischs
Seminar die Ausbildung der Geistlichen im Wendischen vor der Übernahme
einer Pfarrstelle.

Die Errichtung von Predigerseminaren für die Sprache eines kleinen Volks¬
stammes ist übrigens auch in Preußen nichts neues. Für diejenigen Gymnasiasten
in Tilsit und für diejenigen Studenten in Königsberg, die littattische Prediger
werden wollen, sind Stipendien vorhanden, und überdies ist in Königsberg zur
Einführung in den praktischen Gebrauch des littauischeu Idioms ein eigner
Dozent für diese Sprache bestellt, gegenwärtig Pastor und Professor Dr. Kurschat.
Den gleichen Zweck verfolgt das sächsisch-wendische Predigerseminar zu Göda,
in welches aus Rücksichten auf den gegenwärtigen Mangel an wendischen
Theologen auch geborne Deutsche eintreten, die das Wendische studiren, um
nachmals als Geistliche unter den Wenden wirken zu können. Schon nach
Absvlvirnng eines zweimaligen Kursus bei Jmmisch ist kürzlich ein deutscher
Student der Theologie soweit fortgeschritten, daß er in verschiednen Kirchen
aushilfsweise außer der deutscheu auch die wendische Predigt gehalten Hut. Auch
für einzelne bereits im Amte befindliche Geistlichen hat Pastor Jmmisch ans
besondern Wunsch privatim einen Kursus veranstaltet.

Die Berechtigung des von Jmmisch vertretenen Standpunktes müssen wir
durchaus anerkennen, wie ja auch das preußische Ministerium im Prinzip die¬
selbe anerkannt hat. Man muß in erster Linie bedenken, daß das Wendenvolk
und sein Verlangen nach Forterhaltung der Muttersprache durchaus nicht etwa
mit den Polen und ihrer gleichen Forderung ans eine Linie zu stellen ist. Die
Zahl der gesamten Wenden beträgt in der Ober- und Niederlausitz an 160000,
von denen etwa 1S0000 dem evangelischen, etwa 10 000 dem katholischen Be¬
kenntnisse angehören. Sie wohnen mitten unter Deutschen, in völliger, seit
Jahrhunderten zu keiner Zeit getrübter Einigkeit und innigem Verkehr. Nie
haben sie sich gegen den Staat und seine Ordnungen empört oder auch nur die
Gewalt des Staates widerwillig und murrend ertragen. Vielmehr ist gerade


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195574"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Wenden und der Panslawismus.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_632"> In diesem Zusammenhange wollen wir in Kürze der Thätigkeit und der<lb/>
Aufgabe des von Jmmisch geleiteten Seminars für wendische Theologen gedenken.<lb/>
Diese Einrichtung geht von der selbstverständlichen Ansicht aus, daß zur Übernahme<lb/>
eines wendischen Pfarramtes vor allem die Kenntnis der wendischen Sprache<lb/>
gehöre, da bekanntermaßen Fehler in der Aussprache, Fehler in der Grammatik<lb/>
oder in der Wahl des Ausdruckes leicht die Andacht des Zuhörers stören oder<lb/>
ihm wohl gar zum religiösen Ärgernis werden können, eine Thatsache, die be¬<lb/>
stehen bleibt, auch wenn der Zuhörer, weil er keine wissenschaftliche Bildung<lb/>
besitzt, nicht imstande ist anzugeben, worin der gehörte Fehler bestehe. Da es<lb/>
nun für einen bereits in voller Amtsthätigkeit befindlichen Geistlichen selbst bei<lb/>
guter Begabung in der Regel eine Unmöglichkeit sein wird, sich die wendische<lb/>
Sprache zum Gebrauche derselben in der Predigt und Seelsorge anzueignen,<lb/>
weil die nötige Zeit und die geeignete Anleitung fehlt, so bezweckt Jmmischs<lb/>
Seminar die Ausbildung der Geistlichen im Wendischen vor der Übernahme<lb/>
einer Pfarrstelle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_633"> Die Errichtung von Predigerseminaren für die Sprache eines kleinen Volks¬<lb/>
stammes ist übrigens auch in Preußen nichts neues. Für diejenigen Gymnasiasten<lb/>
in Tilsit und für diejenigen Studenten in Königsberg, die littattische Prediger<lb/>
werden wollen, sind Stipendien vorhanden, und überdies ist in Königsberg zur<lb/>
Einführung in den praktischen Gebrauch des littauischeu Idioms ein eigner<lb/>
Dozent für diese Sprache bestellt, gegenwärtig Pastor und Professor Dr. Kurschat.<lb/>
Den gleichen Zweck verfolgt das sächsisch-wendische Predigerseminar zu Göda,<lb/>
in welches aus Rücksichten auf den gegenwärtigen Mangel an wendischen<lb/>
Theologen auch geborne Deutsche eintreten, die das Wendische studiren, um<lb/>
nachmals als Geistliche unter den Wenden wirken zu können. Schon nach<lb/>
Absvlvirnng eines zweimaligen Kursus bei Jmmisch ist kürzlich ein deutscher<lb/>
Student der Theologie soweit fortgeschritten, daß er in verschiednen Kirchen<lb/>
aushilfsweise außer der deutscheu auch die wendische Predigt gehalten Hut. Auch<lb/>
für einzelne bereits im Amte befindliche Geistlichen hat Pastor Jmmisch ans<lb/>
besondern Wunsch privatim einen Kursus veranstaltet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_634" next="#ID_635"> Die Berechtigung des von Jmmisch vertretenen Standpunktes müssen wir<lb/>
durchaus anerkennen, wie ja auch das preußische Ministerium im Prinzip die¬<lb/>
selbe anerkannt hat. Man muß in erster Linie bedenken, daß das Wendenvolk<lb/>
und sein Verlangen nach Forterhaltung der Muttersprache durchaus nicht etwa<lb/>
mit den Polen und ihrer gleichen Forderung ans eine Linie zu stellen ist. Die<lb/>
Zahl der gesamten Wenden beträgt in der Ober- und Niederlausitz an 160000,<lb/>
von denen etwa 1S0000 dem evangelischen, etwa 10 000 dem katholischen Be¬<lb/>
kenntnisse angehören. Sie wohnen mitten unter Deutschen, in völliger, seit<lb/>
Jahrhunderten zu keiner Zeit getrübter Einigkeit und innigem Verkehr. Nie<lb/>
haben sie sich gegen den Staat und seine Ordnungen empört oder auch nur die<lb/>
Gewalt des Staates widerwillig und murrend ertragen.  Vielmehr ist gerade</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Die Wenden und der Panslawismus. In diesem Zusammenhange wollen wir in Kürze der Thätigkeit und der Aufgabe des von Jmmisch geleiteten Seminars für wendische Theologen gedenken. Diese Einrichtung geht von der selbstverständlichen Ansicht aus, daß zur Übernahme eines wendischen Pfarramtes vor allem die Kenntnis der wendischen Sprache gehöre, da bekanntermaßen Fehler in der Aussprache, Fehler in der Grammatik oder in der Wahl des Ausdruckes leicht die Andacht des Zuhörers stören oder ihm wohl gar zum religiösen Ärgernis werden können, eine Thatsache, die be¬ stehen bleibt, auch wenn der Zuhörer, weil er keine wissenschaftliche Bildung besitzt, nicht imstande ist anzugeben, worin der gehörte Fehler bestehe. Da es nun für einen bereits in voller Amtsthätigkeit befindlichen Geistlichen selbst bei guter Begabung in der Regel eine Unmöglichkeit sein wird, sich die wendische Sprache zum Gebrauche derselben in der Predigt und Seelsorge anzueignen, weil die nötige Zeit und die geeignete Anleitung fehlt, so bezweckt Jmmischs Seminar die Ausbildung der Geistlichen im Wendischen vor der Übernahme einer Pfarrstelle. Die Errichtung von Predigerseminaren für die Sprache eines kleinen Volks¬ stammes ist übrigens auch in Preußen nichts neues. Für diejenigen Gymnasiasten in Tilsit und für diejenigen Studenten in Königsberg, die littattische Prediger werden wollen, sind Stipendien vorhanden, und überdies ist in Königsberg zur Einführung in den praktischen Gebrauch des littauischeu Idioms ein eigner Dozent für diese Sprache bestellt, gegenwärtig Pastor und Professor Dr. Kurschat. Den gleichen Zweck verfolgt das sächsisch-wendische Predigerseminar zu Göda, in welches aus Rücksichten auf den gegenwärtigen Mangel an wendischen Theologen auch geborne Deutsche eintreten, die das Wendische studiren, um nachmals als Geistliche unter den Wenden wirken zu können. Schon nach Absvlvirnng eines zweimaligen Kursus bei Jmmisch ist kürzlich ein deutscher Student der Theologie soweit fortgeschritten, daß er in verschiednen Kirchen aushilfsweise außer der deutscheu auch die wendische Predigt gehalten Hut. Auch für einzelne bereits im Amte befindliche Geistlichen hat Pastor Jmmisch ans besondern Wunsch privatim einen Kursus veranstaltet. Die Berechtigung des von Jmmisch vertretenen Standpunktes müssen wir durchaus anerkennen, wie ja auch das preußische Ministerium im Prinzip die¬ selbe anerkannt hat. Man muß in erster Linie bedenken, daß das Wendenvolk und sein Verlangen nach Forterhaltung der Muttersprache durchaus nicht etwa mit den Polen und ihrer gleichen Forderung ans eine Linie zu stellen ist. Die Zahl der gesamten Wenden beträgt in der Ober- und Niederlausitz an 160000, von denen etwa 1S0000 dem evangelischen, etwa 10 000 dem katholischen Be¬ kenntnisse angehören. Sie wohnen mitten unter Deutschen, in völliger, seit Jahrhunderten zu keiner Zeit getrübter Einigkeit und innigem Verkehr. Nie haben sie sich gegen den Staat und seine Ordnungen empört oder auch nur die Gewalt des Staates widerwillig und murrend ertragen. Vielmehr ist gerade

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/185>, abgerufen am 22.07.2024.