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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Wenden und der Pcinslawismus.

der ganzen Linie siegreich zurückgeschlagen wird. Daß diese im Interesse der
Sache nötige Verteidigungsschrift nicht schon früher erschien, war die Folge
einer schweren Krankheit, welche den Verfasser befallen hatte.

Um sich ein Urteil über die ganze Angelegenheit, die Veranlassung und
die Folgen jenes Artikels in der ,,Schlesischen Zeitung/ zu bilden, ist es nötig,
sich die ihm vorausgehenden und zu grunde liegenden Vorgänge und Umstände
zu vergegenwärtigen.

Anfang des Jahres 1881 war in der "Konferenz der preußischen wen¬
dischen Pastoren" zu Horka eine von dem Pastor Wclan in Schleife angeregte
Petition an den preußischen Kultusminister, damals von Puttkcimcr, beraten
und zur Unterschrift angenommen worden, in welcher darüber Klage geführt
wurde, daß das Wohl der wendischen Kinder durch die aus der liberalen Ära
überkommenen Anordnungen gefährdet werde; denn den wendischen Schulen
würden zum Teil rein deutsche Lehrer gegeben, während der wendischen Zunge
mächtige an rein deutsche Schulen kämen. Hierdurch werde die Jugend un¬
tauglich zu heilsamem Besuche wendischen Gottesdienstes, und der Väter Kirch¬
lichkeit, Gottesfurcht und frommer Sinn komme in Gefahr verloren zu gehen;
es sei deshalb ein dringendes Bedürfnis, daß in den wendischen Schulen
wenigstens Religion, Bibelspruch, Lied und Lesen den wendischen Kindern in
ihrer Muttersprache angeeignet werde.

Nach den eingehendsten Erörterungen der vorgesetzten Behörden traf An¬
fang 1882 auf diese etwa ein Jahr zuvor eingereichte und mit zahlreichen
Unterschriften versehene Petition die Antwort des preußischen Kultusministeriums
ein, dessen Leiter kurz nach Einreichung der genannten Petition der gegen¬
wärtige Kultusminister von Goßler geworden war. Die Antwort ist ein Meister¬
werk ruhiger, streng objektiver und doch zugleich entschiedener Haltung; wohl¬
wollendes Eingehen auf die beregten Fragen und ernste Prüfung derselben
bilden ihre Grundlage. Sie betont, daß es der Staatsregierung fernliege und
daß sie keine Veranlassung habe, die wendische Sprache ans den wendischen
Schulen verdrängen zu wollen, obgleich sie die Pflicht habe, dafür zu sorgen,
daß die nichtdeutschen Kinder mit der Kenntnis der deutschen Sprache ausge¬
rüstet aus der Schule ins Leben treten. Auch sei es von der Regierung aus¬
drücklich untersagt worden, die christlichen Hauptstücke, Sprüche und Lieder in
den wendischen Schulen deutsch lernen zu lassen, wenn sie ohne genügendes
Verständnis angeeignet würden; sollte jedoch in einzelnen Füllen abgewichen
worden sein, so wäre es den Beteiligten unbenommen gewesen, bei der Regierung
deshalb vorstellig zu werden und Remedur zu erbitten. Betreffs der An¬
stellung der wendischen Schulamtskandidaten an Schulen ihrer Muttersprache
liege es jedoch, trotz des guten Willens der Regierung, nicht in ihrer Macht,
sie für immer dort zu halten, wenn sie Gelegenheit suchten und funden, an
deutsche Schulen überzugehen.


Grenzboten II. IMS. 23
Die Wenden und der Pcinslawismus.

der ganzen Linie siegreich zurückgeschlagen wird. Daß diese im Interesse der
Sache nötige Verteidigungsschrift nicht schon früher erschien, war die Folge
einer schweren Krankheit, welche den Verfasser befallen hatte.

Um sich ein Urteil über die ganze Angelegenheit, die Veranlassung und
die Folgen jenes Artikels in der ,,Schlesischen Zeitung/ zu bilden, ist es nötig,
sich die ihm vorausgehenden und zu grunde liegenden Vorgänge und Umstände
zu vergegenwärtigen.

Anfang des Jahres 1881 war in der „Konferenz der preußischen wen¬
dischen Pastoren" zu Horka eine von dem Pastor Wclan in Schleife angeregte
Petition an den preußischen Kultusminister, damals von Puttkcimcr, beraten
und zur Unterschrift angenommen worden, in welcher darüber Klage geführt
wurde, daß das Wohl der wendischen Kinder durch die aus der liberalen Ära
überkommenen Anordnungen gefährdet werde; denn den wendischen Schulen
würden zum Teil rein deutsche Lehrer gegeben, während der wendischen Zunge
mächtige an rein deutsche Schulen kämen. Hierdurch werde die Jugend un¬
tauglich zu heilsamem Besuche wendischen Gottesdienstes, und der Väter Kirch¬
lichkeit, Gottesfurcht und frommer Sinn komme in Gefahr verloren zu gehen;
es sei deshalb ein dringendes Bedürfnis, daß in den wendischen Schulen
wenigstens Religion, Bibelspruch, Lied und Lesen den wendischen Kindern in
ihrer Muttersprache angeeignet werde.

Nach den eingehendsten Erörterungen der vorgesetzten Behörden traf An¬
fang 1882 auf diese etwa ein Jahr zuvor eingereichte und mit zahlreichen
Unterschriften versehene Petition die Antwort des preußischen Kultusministeriums
ein, dessen Leiter kurz nach Einreichung der genannten Petition der gegen¬
wärtige Kultusminister von Goßler geworden war. Die Antwort ist ein Meister¬
werk ruhiger, streng objektiver und doch zugleich entschiedener Haltung; wohl¬
wollendes Eingehen auf die beregten Fragen und ernste Prüfung derselben
bilden ihre Grundlage. Sie betont, daß es der Staatsregierung fernliege und
daß sie keine Veranlassung habe, die wendische Sprache ans den wendischen
Schulen verdrängen zu wollen, obgleich sie die Pflicht habe, dafür zu sorgen,
daß die nichtdeutschen Kinder mit der Kenntnis der deutschen Sprache ausge¬
rüstet aus der Schule ins Leben treten. Auch sei es von der Regierung aus¬
drücklich untersagt worden, die christlichen Hauptstücke, Sprüche und Lieder in
den wendischen Schulen deutsch lernen zu lassen, wenn sie ohne genügendes
Verständnis angeeignet würden; sollte jedoch in einzelnen Füllen abgewichen
worden sein, so wäre es den Beteiligten unbenommen gewesen, bei der Regierung
deshalb vorstellig zu werden und Remedur zu erbitten. Betreffs der An¬
stellung der wendischen Schulamtskandidaten an Schulen ihrer Muttersprache
liege es jedoch, trotz des guten Willens der Regierung, nicht in ihrer Macht,
sie für immer dort zu halten, wenn sie Gelegenheit suchten und funden, an
deutsche Schulen überzugehen.


Grenzboten II. IMS. 23
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[0182] Die Wenden und der Pcinslawismus. der ganzen Linie siegreich zurückgeschlagen wird. Daß diese im Interesse der Sache nötige Verteidigungsschrift nicht schon früher erschien, war die Folge einer schweren Krankheit, welche den Verfasser befallen hatte. Um sich ein Urteil über die ganze Angelegenheit, die Veranlassung und die Folgen jenes Artikels in der ,,Schlesischen Zeitung/ zu bilden, ist es nötig, sich die ihm vorausgehenden und zu grunde liegenden Vorgänge und Umstände zu vergegenwärtigen. Anfang des Jahres 1881 war in der „Konferenz der preußischen wen¬ dischen Pastoren" zu Horka eine von dem Pastor Wclan in Schleife angeregte Petition an den preußischen Kultusminister, damals von Puttkcimcr, beraten und zur Unterschrift angenommen worden, in welcher darüber Klage geführt wurde, daß das Wohl der wendischen Kinder durch die aus der liberalen Ära überkommenen Anordnungen gefährdet werde; denn den wendischen Schulen würden zum Teil rein deutsche Lehrer gegeben, während der wendischen Zunge mächtige an rein deutsche Schulen kämen. Hierdurch werde die Jugend un¬ tauglich zu heilsamem Besuche wendischen Gottesdienstes, und der Väter Kirch¬ lichkeit, Gottesfurcht und frommer Sinn komme in Gefahr verloren zu gehen; es sei deshalb ein dringendes Bedürfnis, daß in den wendischen Schulen wenigstens Religion, Bibelspruch, Lied und Lesen den wendischen Kindern in ihrer Muttersprache angeeignet werde. Nach den eingehendsten Erörterungen der vorgesetzten Behörden traf An¬ fang 1882 auf diese etwa ein Jahr zuvor eingereichte und mit zahlreichen Unterschriften versehene Petition die Antwort des preußischen Kultusministeriums ein, dessen Leiter kurz nach Einreichung der genannten Petition der gegen¬ wärtige Kultusminister von Goßler geworden war. Die Antwort ist ein Meister¬ werk ruhiger, streng objektiver und doch zugleich entschiedener Haltung; wohl¬ wollendes Eingehen auf die beregten Fragen und ernste Prüfung derselben bilden ihre Grundlage. Sie betont, daß es der Staatsregierung fernliege und daß sie keine Veranlassung habe, die wendische Sprache ans den wendischen Schulen verdrängen zu wollen, obgleich sie die Pflicht habe, dafür zu sorgen, daß die nichtdeutschen Kinder mit der Kenntnis der deutschen Sprache ausge¬ rüstet aus der Schule ins Leben treten. Auch sei es von der Regierung aus¬ drücklich untersagt worden, die christlichen Hauptstücke, Sprüche und Lieder in den wendischen Schulen deutsch lernen zu lassen, wenn sie ohne genügendes Verständnis angeeignet würden; sollte jedoch in einzelnen Füllen abgewichen worden sein, so wäre es den Beteiligten unbenommen gewesen, bei der Regierung deshalb vorstellig zu werden und Remedur zu erbitten. Betreffs der An¬ stellung der wendischen Schulamtskandidaten an Schulen ihrer Muttersprache liege es jedoch, trotz des guten Willens der Regierung, nicht in ihrer Macht, sie für immer dort zu halten, wenn sie Gelegenheit suchten und funden, an deutsche Schulen überzugehen. Grenzboten II. IMS. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/182>, abgerufen am 22.07.2024.