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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Englands Mittel zur Verteidigung Indiens.

Orte 58 Stunden, Askabad ist von Sarachs am Herirud 250 Werst entfernt,
und ebensoweit ist es von Sarachs bis Herat. Wird gehörig für die Ver¬
mehrung der Bahnwaggons und der Transportdampfcr gesorgt, so kann man
binnen drei Wochen 30- bis 36 000 Mann nebst Zubehör ans dem Kaukasus
nach den Endpunkten der russischen Positionen in Zentralasicn befördern, und
in weiteren vier bis fünf Wochen können diesen Truppen 40 000 Mann nach¬
geschoben werden.

Das Waffenglück läßt sich nicht berechnen; soweit aber nicht der Zufall,
sondern konkrete militärische Faktoren in Betracht gezogen werden, die Intelli¬
genz der Führer, die Ausbildung und die Gewöhnung der Truppen an die Ver¬
hältnisse der betreffenden Gegenden, die Abhärtung und Anspruchslosigkeit der¬
selben und ihre Anstelligkeit lind Behendigkeit bei den Operationen kleiner mo¬
biler Kolonnen, endlich die Zweckmäßigkeit in der Beschaffenheit und der Zu¬
sammenstellung des Kriegsmaterials, sind die Russen den Engländern unzweifel¬
haft überlegen. Die Generale der letzteren haben seit vielen Jahren sich fast
immer als recht mittelmäßige Strategen bewiesen, die Soldaten zwar als tapfere,
aber schwerfällige und bedürfnisvolle Leute. Bei Sebastopol waren die britischen
Truppen zuweilen mehr ein Ballast als eine wirkliche Unterstützung ihrer fran¬
zösischen Verbündeten, und was die Engländer in dem letzten Jahrzehnt militärisch
geleistet haben, ist nicht geeignet, die Erinnerung an jenen argen Mißstand aus¬
zulöschen. Ihre Niederlagen im Zululandc und in den Drakenbcrgen, wo ihnen
dort wilde Kassern, hier Bauern ohne Kanonen mit Erfolg die Spitze boten,
ihre klägliche Kriegführung im Sudan riefen allenthalben auf dem Festlande
ein Lächeln der Geringschätzung hervor, und wenn ihr "einziger Feldherr" Wol-
selcy bei Tel El Kebir die in Uniform gesteckten Kameeltreiber und Fellachen
Arabis besiegte, so war das keine hochzupreiseude Kriegsthat, auch wenn das
Gerücht nicht wahr sein sollte, der Herr General habe hier mehr mit goldnen
als mit bleiernen Kugeln schießen lassen. Und daneben die Nüssen. Die können
allerdings ein paar Schlappen erleiden, was ihnen in Mittelasien schon begegnet
ist, aber dauernden Schaden werden sie dann nicht davon haben. Ihre weit
größere Zahl, ihre zweckmäßigere Organisation, ihre Zähigkeit und Beweglich¬
keit werden ihnen immer bald wieder auf die Beine helfen. Ihre Abgänge
werden anch in cisenbahnloser Gegend leichter ergänzt werden als die der um¬
ständlichen und unbeholfenen Gegner.

Kommt es jetzt zum Kampfe, so braucht Rußland noch keinen Krieg mit
weitreichenden Zielen zu führen, noch nicht direkt auf eine Eroberung ganz Af¬
ghanistans oder gar schon Indiens zu denken. Es kann nur das Vorspiel zu
diesem Drama im Auge haben, d. h. die Einnahme der Oase Herat und den
Besitz der Stadt dieses Namens erstreben. Die Basis, von der man auf dieses
nächste Objekt hin operiren würde, ist von diesem nicht allzu entlegen. Die
Verbindungen zwischen beiden können durch Erdwälle und Blockhäuser gedeckt


Englands Mittel zur Verteidigung Indiens.

Orte 58 Stunden, Askabad ist von Sarachs am Herirud 250 Werst entfernt,
und ebensoweit ist es von Sarachs bis Herat. Wird gehörig für die Ver¬
mehrung der Bahnwaggons und der Transportdampfcr gesorgt, so kann man
binnen drei Wochen 30- bis 36 000 Mann nebst Zubehör ans dem Kaukasus
nach den Endpunkten der russischen Positionen in Zentralasicn befördern, und
in weiteren vier bis fünf Wochen können diesen Truppen 40 000 Mann nach¬
geschoben werden.

Das Waffenglück läßt sich nicht berechnen; soweit aber nicht der Zufall,
sondern konkrete militärische Faktoren in Betracht gezogen werden, die Intelli¬
genz der Führer, die Ausbildung und die Gewöhnung der Truppen an die Ver¬
hältnisse der betreffenden Gegenden, die Abhärtung und Anspruchslosigkeit der¬
selben und ihre Anstelligkeit lind Behendigkeit bei den Operationen kleiner mo¬
biler Kolonnen, endlich die Zweckmäßigkeit in der Beschaffenheit und der Zu¬
sammenstellung des Kriegsmaterials, sind die Russen den Engländern unzweifel¬
haft überlegen. Die Generale der letzteren haben seit vielen Jahren sich fast
immer als recht mittelmäßige Strategen bewiesen, die Soldaten zwar als tapfere,
aber schwerfällige und bedürfnisvolle Leute. Bei Sebastopol waren die britischen
Truppen zuweilen mehr ein Ballast als eine wirkliche Unterstützung ihrer fran¬
zösischen Verbündeten, und was die Engländer in dem letzten Jahrzehnt militärisch
geleistet haben, ist nicht geeignet, die Erinnerung an jenen argen Mißstand aus¬
zulöschen. Ihre Niederlagen im Zululandc und in den Drakenbcrgen, wo ihnen
dort wilde Kassern, hier Bauern ohne Kanonen mit Erfolg die Spitze boten,
ihre klägliche Kriegführung im Sudan riefen allenthalben auf dem Festlande
ein Lächeln der Geringschätzung hervor, und wenn ihr „einziger Feldherr" Wol-
selcy bei Tel El Kebir die in Uniform gesteckten Kameeltreiber und Fellachen
Arabis besiegte, so war das keine hochzupreiseude Kriegsthat, auch wenn das
Gerücht nicht wahr sein sollte, der Herr General habe hier mehr mit goldnen
als mit bleiernen Kugeln schießen lassen. Und daneben die Nüssen. Die können
allerdings ein paar Schlappen erleiden, was ihnen in Mittelasien schon begegnet
ist, aber dauernden Schaden werden sie dann nicht davon haben. Ihre weit
größere Zahl, ihre zweckmäßigere Organisation, ihre Zähigkeit und Beweglich¬
keit werden ihnen immer bald wieder auf die Beine helfen. Ihre Abgänge
werden anch in cisenbahnloser Gegend leichter ergänzt werden als die der um¬
ständlichen und unbeholfenen Gegner.

Kommt es jetzt zum Kampfe, so braucht Rußland noch keinen Krieg mit
weitreichenden Zielen zu führen, noch nicht direkt auf eine Eroberung ganz Af¬
ghanistans oder gar schon Indiens zu denken. Es kann nur das Vorspiel zu
diesem Drama im Auge haben, d. h. die Einnahme der Oase Herat und den
Besitz der Stadt dieses Namens erstreben. Die Basis, von der man auf dieses
nächste Objekt hin operiren würde, ist von diesem nicht allzu entlegen. Die
Verbindungen zwischen beiden können durch Erdwälle und Blockhäuser gedeckt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/178>, abgerufen am 22.07.2024.