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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Ministerium Brisson.

in 30. März ist in Paris das Ministerium Feriy durch die
französische Kammer gestürzt worden, nachdem es sich etwas über
zwei Jahre -- länger als alle seine Vorgänger nach dem Falle
des Kaiserreiches -- an der Spitze der Staatsverwaltung er¬
halten hatte. Das Kabinet wurde gestürzt infolge einer ungün¬
stigen Nachricht aus Tonkin, einer angeblich bedeutenden Niederlage der fran¬
zösischen Truppen bei Lang-Son, als deren wirklicher Verlust wenige Tage
nachher fünf Tote, vierzig Verwundete und ein Vermißter konstatirt wurde.

Der Sturz eines Ministeriums in Frankreich, dem gelobten Lande des
Parlamentarismus, ist an sich etwas so Alltägliches, daß mau einem solchen
Vorgange für gewöhnlich keine besondre Bedeutung beizumessen braucht; die
Art und Weise aber, wie im vorliegenden Falle dieser Sturz ins Werk gesetzt
wurde, ist für die französischen Parlamentszustände so charakteristisch, daß es
sich lohnt, diesem Vorgange etwas größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Ferry begehrte einen Kredit von 200 Millionen, um die ungenügenden
Maßregeln zur Vertretung der französischen Interessen in Judo-China ver¬
bessern, eine größere Zahl vou Truppen dorthin senden und die erhaltene
Schlappe wettmachen zu köunen. Der Kredit wurde ihm von der Kammer ver¬
weigert, und er samt dem Kabinet hierdurch zum Rücktritt von der Negierung
gezwungen, indem seine eignen Freunde, die Union rsxnblioiüno und die Union
ävnrooriiticius, ihn fallen ließen und sich mit seinen Feinden, den beiden radi¬
kalen Gruppen, zu seinein Sturze verbanden. Die Kammer hat sich nicht damit
begnügt, die verlangte Summe zu verweigern und damit deu von ihr gewollten
Erfolg des Rücktrittes des Kabinets herbeizuführen, nein, sie mußte diesen Rück¬
tritt in einer Weise iuszcniren, der einer Bande ungezogener Jungen, nicht aber


Grenzboten II. 1836. 21


Das Ministerium Brisson.

in 30. März ist in Paris das Ministerium Feriy durch die
französische Kammer gestürzt worden, nachdem es sich etwas über
zwei Jahre — länger als alle seine Vorgänger nach dem Falle
des Kaiserreiches — an der Spitze der Staatsverwaltung er¬
halten hatte. Das Kabinet wurde gestürzt infolge einer ungün¬
stigen Nachricht aus Tonkin, einer angeblich bedeutenden Niederlage der fran¬
zösischen Truppen bei Lang-Son, als deren wirklicher Verlust wenige Tage
nachher fünf Tote, vierzig Verwundete und ein Vermißter konstatirt wurde.

Der Sturz eines Ministeriums in Frankreich, dem gelobten Lande des
Parlamentarismus, ist an sich etwas so Alltägliches, daß mau einem solchen
Vorgange für gewöhnlich keine besondre Bedeutung beizumessen braucht; die
Art und Weise aber, wie im vorliegenden Falle dieser Sturz ins Werk gesetzt
wurde, ist für die französischen Parlamentszustände so charakteristisch, daß es
sich lohnt, diesem Vorgange etwas größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Ferry begehrte einen Kredit von 200 Millionen, um die ungenügenden
Maßregeln zur Vertretung der französischen Interessen in Judo-China ver¬
bessern, eine größere Zahl vou Truppen dorthin senden und die erhaltene
Schlappe wettmachen zu köunen. Der Kredit wurde ihm von der Kammer ver¬
weigert, und er samt dem Kabinet hierdurch zum Rücktritt von der Negierung
gezwungen, indem seine eignen Freunde, die Union rsxnblioiüno und die Union
ävnrooriiticius, ihn fallen ließen und sich mit seinen Feinden, den beiden radi¬
kalen Gruppen, zu seinein Sturze verbanden. Die Kammer hat sich nicht damit
begnügt, die verlangte Summe zu verweigern und damit deu von ihr gewollten
Erfolg des Rücktrittes des Kabinets herbeizuführen, nein, sie mußte diesen Rück¬
tritt in einer Weise iuszcniren, der einer Bande ungezogener Jungen, nicht aber


Grenzboten II. 1836. 21
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[0166] [Abbildung] Das Ministerium Brisson. in 30. März ist in Paris das Ministerium Feriy durch die französische Kammer gestürzt worden, nachdem es sich etwas über zwei Jahre — länger als alle seine Vorgänger nach dem Falle des Kaiserreiches — an der Spitze der Staatsverwaltung er¬ halten hatte. Das Kabinet wurde gestürzt infolge einer ungün¬ stigen Nachricht aus Tonkin, einer angeblich bedeutenden Niederlage der fran¬ zösischen Truppen bei Lang-Son, als deren wirklicher Verlust wenige Tage nachher fünf Tote, vierzig Verwundete und ein Vermißter konstatirt wurde. Der Sturz eines Ministeriums in Frankreich, dem gelobten Lande des Parlamentarismus, ist an sich etwas so Alltägliches, daß mau einem solchen Vorgange für gewöhnlich keine besondre Bedeutung beizumessen braucht; die Art und Weise aber, wie im vorliegenden Falle dieser Sturz ins Werk gesetzt wurde, ist für die französischen Parlamentszustände so charakteristisch, daß es sich lohnt, diesem Vorgange etwas größere Aufmerksamkeit zu schenken. Ferry begehrte einen Kredit von 200 Millionen, um die ungenügenden Maßregeln zur Vertretung der französischen Interessen in Judo-China ver¬ bessern, eine größere Zahl vou Truppen dorthin senden und die erhaltene Schlappe wettmachen zu köunen. Der Kredit wurde ihm von der Kammer ver¬ weigert, und er samt dem Kabinet hierdurch zum Rücktritt von der Negierung gezwungen, indem seine eignen Freunde, die Union rsxnblioiüno und die Union ävnrooriiticius, ihn fallen ließen und sich mit seinen Feinden, den beiden radi¬ kalen Gruppen, zu seinein Sturze verbanden. Die Kammer hat sich nicht damit begnügt, die verlangte Summe zu verweigern und damit deu von ihr gewollten Erfolg des Rücktrittes des Kabinets herbeizuführen, nein, sie mußte diesen Rück¬ tritt in einer Weise iuszcniren, der einer Bande ungezogener Jungen, nicht aber Grenzboten II. 1836. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/166>, abgerufen am 22.07.2024.