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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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ohne etwas zu fordern, verschwunden waren, O Signor Antonio Maria, welche
Niedrigkeit, einen solchen Ehrenmann zu bestehlen! Und das Schlimmste kann
ich noch nicht einmal sagen. Das erfahrt Ihr erst, wenn Ihr mir auf seine
Spur geholfen haben werdet. Nicht eher! rief sie, indem sie sich, heftig er¬
rötend, gegen die von Antonio Maria plötzlich angenommene Autoritätsmiene
mit dem Pathos einer Heroine auflehnte, hier schwöre ich es!

Der Lakai rieb sich das Kinn und entrunzelte die Stirn. Die Neapoli¬
tanern! bemerkte es und reichte ihm abbittend die Hand. Nicht eher darf ich's
Euch nämlich sagen, dämpfte sie ihre Rede ab; seid mir nicht böse, Signor
Antonio Maria, oder, sprang sie in ihrem Tone wieder um, seid mir immerhin
böse, was liegt mir daran? Was liegt mir an dieser Bagno-Existenz? (?u^i
s. ins, die Galeerensklaven in meiner Heimat haben es in dem wirklichen Bagno
nicht schlimmer, trotz der Kugel, die sie am Fuße schleppen! Da seht, mit
welchen Tieren ich hier zusammengesperrt bin!

Es waren drei mehr oder weniger vom Weine angeheiterte junge Fremde,
die mit einem ortskundigen Graubart verdächtigen Aussehens an dem Schalter
erschienen und die Goldstücke, welche zu zahlen waren, zwar in Bereitschaft
hatten, aber mit verliebten Geberden beteuerten, sie würden sie der Kassirerin
nur in die zierliche kleine Patschhand geben. Der Vorlauteste griff sogar, als
das Mädchen sich dessen weigerte, so rasch durch das aufgezogene Fenster nach
ihrem Arm, daß bei ihrem zornigen Abstreifen seiner Finger ihr Ärmel mitten
durchriß.

KvorirÄizonio! Auswurf! war das einzige Wort, das sie ihrem Angreifer
zuschleuderte, aber ihr Auge und ihre ganze Miene sprachen einen solchen Grad
von Verachtung aus, daß der wegen ihrer Fülle schlangenartigen Haargeringels
ihr anhaftende Beiname Medusa auch in anderm Sinne nicht schlecht gewählt
erschien.

Der Abgewiesene rächte sich, indem er sein Goldstück ins Zimmer warf.
Nimm es denn vom Boden auf, lachte er, und einer seiner Kameraden that
mit seinem Goldstück desgleichen, es ist ein Aufheben, spottete er. Beide ver¬
schwanden trällernd mit dem Graubart im Hintergrunde.

Der dritte Fremde legte sein Goldstück auf die Zahlbank und sagte be¬
gütigend: Verzeiht meinen beiden Freunden, Signora, sie haben sich sehr un¬
gebührlich benommen, aber der Ort, wo Ihr Euch befindet, fordert zu Frei¬
heiten heraus.

Damit entfernte auch er sich, kehrte aber im nächsten Augenblicke, als ob er
sich erst jetzt auf eine Ähnlichkeit besänne, zurück, sah die eben mit hvchgerötetem
Gesicht vom Boden sich Aufrichtende scharf an und fragte zögernd: Aber seid
Ihr denn nicht Giacinta d'Jsa, die Tochter des Dichters Ottavio d'Jsa, die
Darstellerin jener entsetzlichen Dina, um deren Untreue willen der arme Schlucker
Bilora den reichen Nichtsnutz Andronico im letzten Akt erschlägt?


ohne etwas zu fordern, verschwunden waren, O Signor Antonio Maria, welche
Niedrigkeit, einen solchen Ehrenmann zu bestehlen! Und das Schlimmste kann
ich noch nicht einmal sagen. Das erfahrt Ihr erst, wenn Ihr mir auf seine
Spur geholfen haben werdet. Nicht eher! rief sie, indem sie sich, heftig er¬
rötend, gegen die von Antonio Maria plötzlich angenommene Autoritätsmiene
mit dem Pathos einer Heroine auflehnte, hier schwöre ich es!

Der Lakai rieb sich das Kinn und entrunzelte die Stirn. Die Neapoli¬
tanern! bemerkte es und reichte ihm abbittend die Hand. Nicht eher darf ich's
Euch nämlich sagen, dämpfte sie ihre Rede ab; seid mir nicht böse, Signor
Antonio Maria, oder, sprang sie in ihrem Tone wieder um, seid mir immerhin
böse, was liegt mir daran? Was liegt mir an dieser Bagno-Existenz? (?u^i
s. ins, die Galeerensklaven in meiner Heimat haben es in dem wirklichen Bagno
nicht schlimmer, trotz der Kugel, die sie am Fuße schleppen! Da seht, mit
welchen Tieren ich hier zusammengesperrt bin!

Es waren drei mehr oder weniger vom Weine angeheiterte junge Fremde,
die mit einem ortskundigen Graubart verdächtigen Aussehens an dem Schalter
erschienen und die Goldstücke, welche zu zahlen waren, zwar in Bereitschaft
hatten, aber mit verliebten Geberden beteuerten, sie würden sie der Kassirerin
nur in die zierliche kleine Patschhand geben. Der Vorlauteste griff sogar, als
das Mädchen sich dessen weigerte, so rasch durch das aufgezogene Fenster nach
ihrem Arm, daß bei ihrem zornigen Abstreifen seiner Finger ihr Ärmel mitten
durchriß.

KvorirÄizonio! Auswurf! war das einzige Wort, das sie ihrem Angreifer
zuschleuderte, aber ihr Auge und ihre ganze Miene sprachen einen solchen Grad
von Verachtung aus, daß der wegen ihrer Fülle schlangenartigen Haargeringels
ihr anhaftende Beiname Medusa auch in anderm Sinne nicht schlecht gewählt
erschien.

Der Abgewiesene rächte sich, indem er sein Goldstück ins Zimmer warf.
Nimm es denn vom Boden auf, lachte er, und einer seiner Kameraden that
mit seinem Goldstück desgleichen, es ist ein Aufheben, spottete er. Beide ver¬
schwanden trällernd mit dem Graubart im Hintergrunde.

Der dritte Fremde legte sein Goldstück auf die Zahlbank und sagte be¬
gütigend: Verzeiht meinen beiden Freunden, Signora, sie haben sich sehr un¬
gebührlich benommen, aber der Ort, wo Ihr Euch befindet, fordert zu Frei¬
heiten heraus.

Damit entfernte auch er sich, kehrte aber im nächsten Augenblicke, als ob er
sich erst jetzt auf eine Ähnlichkeit besänne, zurück, sah die eben mit hvchgerötetem
Gesicht vom Boden sich Aufrichtende scharf an und fragte zögernd: Aber seid
Ihr denn nicht Giacinta d'Jsa, die Tochter des Dichters Ottavio d'Jsa, die
Darstellerin jener entsetzlichen Dina, um deren Untreue willen der arme Schlucker
Bilora den reichen Nichtsnutz Andronico im letzten Akt erschlägt?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/156>, abgerufen am 22.07.2024.