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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

Dahin begab sich Antonio Maria. Ich habe Glück, redete er vor sich
hin, mir sagt eine sichere Ahnung, daß er es ist.

Das Bad der Vesta -- nach einem dort einst bloßgelegten Vestatempel
so genannt --, obschon nach außen unansehnlich wie die sämtlichen Hänser des
Vicolo, hatte sich unter Vinccntos verschwenderischer Regierung zu einem Luxus¬
bade emporgearbeitet, welches selbst die derartigen Bade- und Vergnügungs-
häuser des damaligen Rom noch übertrumpfte. Die architektonischen Einrich¬
tungen waren palastartig und stammten aus der erst wenige Jahre zurückliegenden
Zeit, wo Vincento, zu Ehren der Hochzeit seines Sohnes, des jetzt ihm ge-
folgten Francesco, ein besondres Theater für sechstausend Zuschauer erbauen
und auf dem Lago das große Seetreffen veranstalten ließ, welches fünfzigtausend
Fremde nach Mantua lockte und um deßwillen ein ganzer Wald niedergeschlagen
wurde -- soviel Bauholz verschlangen die Tribünen. Vincento hatte vor allem
in Venedig die Verschmelzung eines Bades mit sonstigen Lustbarkeiten als etwas
dem Zeitgeschmack sehr Angemessenes kennen gelernt, und so waren die Mittel
zu der reichen Ausstattung des Bagno ti Vesta auch zum Teil aus der herzog¬
lichen Schatulle bestritten worden. Die von ihm im Sinne gehabte Freilegung
des Baues hintertrieb er dann aber selbst, da er ein paarmal die Annehmlich-
lichkeit des unbemerkten Ans- und Einschlüpfens -- wie dies der enge Vicolo
begünstigte -- aus eigner Erfahrung kennen gelernt hatte.

Die Front des Hauses war schmal und armselig, zur Linken ein Fenster,
zur Rechten ein Fenster, in der Mitte eine schlichte und niedrige Thür; darüber
ein einziges Stockwerk, kein Balkon, drei Fenster, deren Scheiben blind oder
zerbrochen waren, denn der ganze obere Raum stand leer; zuletzt noch ein halb¬
flaches Ziegeldach, braun und übermovst -- alles lediglich bestimmt, sei es nie¬
mandem aufzufallen, sei es durch Herabstimmen der Erwartungen den Eintre¬
tenden umsomehr für die drinnen seiner harrenden Pracht empfänglich zu
machen.

Aber Antonio Maria fragte wenig nach den Herrlichkeiten, aus denen diese
Überraschungen bestanden. Er hatte seit langem keinen Fuß in die glänzenden
Säle und Gemächer des Hintergebäudes gesetzt, noch auch in den Gärten Um¬
schau gehalten, wo auf geschornem Rasen in allen möglichen und unmöglichen
Kostümen getanzt und beim Scheine unzähliger Laternen gezecht und gescherzt
wurde. Sobald auf sein dem Thürhüter wohlbekanntes Klopfzeichen geöffnet
worden war, wandte er eintretend sich nicht um das Schubfenstcr zur Lücken,
hinter welchem ein traurig blickendes neapolitanisch gekleidetes und mit Blumen
frisirtes junges Mädchen an der Kasse saß, sondern er trat ohne weiteres in
ihr Zimmer ein.

Medusa, sagte er, indem er sich auf einen Stuhl setzte, wo ist der Ka¬
valier, den man vor einer Stunde hierher gebracht hat?

Die Angesprochene, deren Stirn und Augen unter einer üppigen Wildnis


Um eine perle.

Dahin begab sich Antonio Maria. Ich habe Glück, redete er vor sich
hin, mir sagt eine sichere Ahnung, daß er es ist.

Das Bad der Vesta — nach einem dort einst bloßgelegten Vestatempel
so genannt —, obschon nach außen unansehnlich wie die sämtlichen Hänser des
Vicolo, hatte sich unter Vinccntos verschwenderischer Regierung zu einem Luxus¬
bade emporgearbeitet, welches selbst die derartigen Bade- und Vergnügungs-
häuser des damaligen Rom noch übertrumpfte. Die architektonischen Einrich¬
tungen waren palastartig und stammten aus der erst wenige Jahre zurückliegenden
Zeit, wo Vincento, zu Ehren der Hochzeit seines Sohnes, des jetzt ihm ge-
folgten Francesco, ein besondres Theater für sechstausend Zuschauer erbauen
und auf dem Lago das große Seetreffen veranstalten ließ, welches fünfzigtausend
Fremde nach Mantua lockte und um deßwillen ein ganzer Wald niedergeschlagen
wurde — soviel Bauholz verschlangen die Tribünen. Vincento hatte vor allem
in Venedig die Verschmelzung eines Bades mit sonstigen Lustbarkeiten als etwas
dem Zeitgeschmack sehr Angemessenes kennen gelernt, und so waren die Mittel
zu der reichen Ausstattung des Bagno ti Vesta auch zum Teil aus der herzog¬
lichen Schatulle bestritten worden. Die von ihm im Sinne gehabte Freilegung
des Baues hintertrieb er dann aber selbst, da er ein paarmal die Annehmlich-
lichkeit des unbemerkten Ans- und Einschlüpfens — wie dies der enge Vicolo
begünstigte — aus eigner Erfahrung kennen gelernt hatte.

Die Front des Hauses war schmal und armselig, zur Linken ein Fenster,
zur Rechten ein Fenster, in der Mitte eine schlichte und niedrige Thür; darüber
ein einziges Stockwerk, kein Balkon, drei Fenster, deren Scheiben blind oder
zerbrochen waren, denn der ganze obere Raum stand leer; zuletzt noch ein halb¬
flaches Ziegeldach, braun und übermovst — alles lediglich bestimmt, sei es nie¬
mandem aufzufallen, sei es durch Herabstimmen der Erwartungen den Eintre¬
tenden umsomehr für die drinnen seiner harrenden Pracht empfänglich zu
machen.

Aber Antonio Maria fragte wenig nach den Herrlichkeiten, aus denen diese
Überraschungen bestanden. Er hatte seit langem keinen Fuß in die glänzenden
Säle und Gemächer des Hintergebäudes gesetzt, noch auch in den Gärten Um¬
schau gehalten, wo auf geschornem Rasen in allen möglichen und unmöglichen
Kostümen getanzt und beim Scheine unzähliger Laternen gezecht und gescherzt
wurde. Sobald auf sein dem Thürhüter wohlbekanntes Klopfzeichen geöffnet
worden war, wandte er eintretend sich nicht um das Schubfenstcr zur Lücken,
hinter welchem ein traurig blickendes neapolitanisch gekleidetes und mit Blumen
frisirtes junges Mädchen an der Kasse saß, sondern er trat ohne weiteres in
ihr Zimmer ein.

Medusa, sagte er, indem er sich auf einen Stuhl setzte, wo ist der Ka¬
valier, den man vor einer Stunde hierher gebracht hat?

Die Angesprochene, deren Stirn und Augen unter einer üppigen Wildnis


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[0154] Um eine perle. Dahin begab sich Antonio Maria. Ich habe Glück, redete er vor sich hin, mir sagt eine sichere Ahnung, daß er es ist. Das Bad der Vesta — nach einem dort einst bloßgelegten Vestatempel so genannt —, obschon nach außen unansehnlich wie die sämtlichen Hänser des Vicolo, hatte sich unter Vinccntos verschwenderischer Regierung zu einem Luxus¬ bade emporgearbeitet, welches selbst die derartigen Bade- und Vergnügungs- häuser des damaligen Rom noch übertrumpfte. Die architektonischen Einrich¬ tungen waren palastartig und stammten aus der erst wenige Jahre zurückliegenden Zeit, wo Vincento, zu Ehren der Hochzeit seines Sohnes, des jetzt ihm ge- folgten Francesco, ein besondres Theater für sechstausend Zuschauer erbauen und auf dem Lago das große Seetreffen veranstalten ließ, welches fünfzigtausend Fremde nach Mantua lockte und um deßwillen ein ganzer Wald niedergeschlagen wurde — soviel Bauholz verschlangen die Tribünen. Vincento hatte vor allem in Venedig die Verschmelzung eines Bades mit sonstigen Lustbarkeiten als etwas dem Zeitgeschmack sehr Angemessenes kennen gelernt, und so waren die Mittel zu der reichen Ausstattung des Bagno ti Vesta auch zum Teil aus der herzog¬ lichen Schatulle bestritten worden. Die von ihm im Sinne gehabte Freilegung des Baues hintertrieb er dann aber selbst, da er ein paarmal die Annehmlich- lichkeit des unbemerkten Ans- und Einschlüpfens — wie dies der enge Vicolo begünstigte — aus eigner Erfahrung kennen gelernt hatte. Die Front des Hauses war schmal und armselig, zur Linken ein Fenster, zur Rechten ein Fenster, in der Mitte eine schlichte und niedrige Thür; darüber ein einziges Stockwerk, kein Balkon, drei Fenster, deren Scheiben blind oder zerbrochen waren, denn der ganze obere Raum stand leer; zuletzt noch ein halb¬ flaches Ziegeldach, braun und übermovst — alles lediglich bestimmt, sei es nie¬ mandem aufzufallen, sei es durch Herabstimmen der Erwartungen den Eintre¬ tenden umsomehr für die drinnen seiner harrenden Pracht empfänglich zu machen. Aber Antonio Maria fragte wenig nach den Herrlichkeiten, aus denen diese Überraschungen bestanden. Er hatte seit langem keinen Fuß in die glänzenden Säle und Gemächer des Hintergebäudes gesetzt, noch auch in den Gärten Um¬ schau gehalten, wo auf geschornem Rasen in allen möglichen und unmöglichen Kostümen getanzt und beim Scheine unzähliger Laternen gezecht und gescherzt wurde. Sobald auf sein dem Thürhüter wohlbekanntes Klopfzeichen geöffnet worden war, wandte er eintretend sich nicht um das Schubfenstcr zur Lücken, hinter welchem ein traurig blickendes neapolitanisch gekleidetes und mit Blumen frisirtes junges Mädchen an der Kasse saß, sondern er trat ohne weiteres in ihr Zimmer ein. Medusa, sagte er, indem er sich auf einen Stuhl setzte, wo ist der Ka¬ valier, den man vor einer Stunde hierher gebracht hat? Die Angesprochene, deren Stirn und Augen unter einer üppigen Wildnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/154>, abgerufen am 22.07.2024.