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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Lotteriesrage im preußischen Abgeordnetonhause.

mühelos reich zu werden? Und ist die Lotterie nicht eine förmliche Züchtung
dieses Krankheits-Baeills? Man betrachte nur einmal die Leute, welche regel¬
mäßig Lotterie spielen. Man wird selten finden, daß sie daneben noch sparsam
und ordentlich sind. Warum sollten sie auch? Sie haben ja in die Lotterie
gesetzt und hoffen auf das große Loos. Da verlnftiren sie einstweilen ihren
Verdienst. Denn wenn sie gewinnen -- und jeder Spieler glaubt ja den
Gewinn schon in der Tasche zu haben --, so war doch alles Sparen unnötig.
Freilich beschäftigt diese Hoffnung in angenehmer Weise ihre Phantasie. Aber
nicht anders, wie auch ein Opiumrausch angenehme Bilder vorgaukelt. Ist dann
die Ziehung vorüber, ist das Geld fort und man hat nichts davon gehabt, dann
kommt der Katzenjammer. Und dann kann man kaum erwarten, bis man wieder
ein Loos in Händen hat, um denselben Rausch zu erneuern. Da bei den vielen
Klassen der Lotterien uach wenigen Wochen je eine neue Ziehung erfolgt, so
kann man sich diesem Rausche fast ohne Unterbrechung hingeben. Wer so jahr¬
aus jahrein spielt, hat schließlich ein ganz hübsches Sümmchen verspielt, welches,
wenn er es gespart hätte, der Trost seines Alters sein könnte.

Hie und da freilich schlägt ein Loos ein, und es geht ein Spieler mit
einem Gewinn hervor. Liegt darin nun ein wirkliches Glück? Betrachten wir
zunächst die Sache einmal objektiv und stellen die Frage: Ist es denn etwas
erfreuliches, wenn in dieser Weise einer auf Kosten vieler reich wird? Alle
Welt spricht heute von der sozialen Frage. Man sagt: sie müsse gelöst werden.
Was ist denn aber die soziale Frage? Sie lautet dahin: Wie ist es möglich,
zu verhindern, daß Einzelne ohne Verdienst auf Kosten der Übrigen reich
werden? Kann man sich nun wohl etwas denken, was ärger diesem Ziele ins
Gesicht schlüge als die Lotterie? Bei ihr ist es ja gerade Zweck, Einzelne
ohne jedes Verdienst auf Kosten aller Übrigen zu bereichern. Aber auch vom
subjektiven Standpunkte des Gewinners bemessen, liegt in diesem Gewinn nur
selten ein wahres Glück. Es ist bekannt, daß aus Lvtteriegewiunen kein Segen
ruht. Es ist ja möglich, daß dieser oder jener mit einem solchen sich aufhilft.
In der Regel aber kommt das alte Sprichwort zu feinem Rechte: Wie ge¬
wonnen, so zerronnen. Und mancher ist schon zu gründe gegangen, nicht ob¬
gleich, sondern weil er in der Lotterie gewonnen hat.

Die öffentliche Meinung hat also nicht geirrt, wenn sie seit länger als
einem halben Jahrhundert die Lotterie als ein verwerfliches, nur als Notbehelf zu
duldendes Institut bezeichnete. Für die in unsern Augen wunderbare That¬
sache, daß gleichwohl heute achtbare Männer auftreten, welche diese Institution
verteidigen, wissen wir nur folgende Erklärung. Wie bereits oben bemerkt,
haben auch die Privatlottcnen in einer wahrhaft erschreckenden Weise zuge¬
nommen. Und da haben sich aus Lvkalpatriotismus oft sehr ehrbare Männer
dazu hergegeben, solche Lotterien in Szene zu setzen. Natürlich sind diese für
die Billigung des Instituts engagirt. Verteidigte doch ein Mitglied des Ab-


Die Lotteriesrage im preußischen Abgeordnetonhause.

mühelos reich zu werden? Und ist die Lotterie nicht eine förmliche Züchtung
dieses Krankheits-Baeills? Man betrachte nur einmal die Leute, welche regel¬
mäßig Lotterie spielen. Man wird selten finden, daß sie daneben noch sparsam
und ordentlich sind. Warum sollten sie auch? Sie haben ja in die Lotterie
gesetzt und hoffen auf das große Loos. Da verlnftiren sie einstweilen ihren
Verdienst. Denn wenn sie gewinnen — und jeder Spieler glaubt ja den
Gewinn schon in der Tasche zu haben —, so war doch alles Sparen unnötig.
Freilich beschäftigt diese Hoffnung in angenehmer Weise ihre Phantasie. Aber
nicht anders, wie auch ein Opiumrausch angenehme Bilder vorgaukelt. Ist dann
die Ziehung vorüber, ist das Geld fort und man hat nichts davon gehabt, dann
kommt der Katzenjammer. Und dann kann man kaum erwarten, bis man wieder
ein Loos in Händen hat, um denselben Rausch zu erneuern. Da bei den vielen
Klassen der Lotterien uach wenigen Wochen je eine neue Ziehung erfolgt, so
kann man sich diesem Rausche fast ohne Unterbrechung hingeben. Wer so jahr¬
aus jahrein spielt, hat schließlich ein ganz hübsches Sümmchen verspielt, welches,
wenn er es gespart hätte, der Trost seines Alters sein könnte.

Hie und da freilich schlägt ein Loos ein, und es geht ein Spieler mit
einem Gewinn hervor. Liegt darin nun ein wirkliches Glück? Betrachten wir
zunächst die Sache einmal objektiv und stellen die Frage: Ist es denn etwas
erfreuliches, wenn in dieser Weise einer auf Kosten vieler reich wird? Alle
Welt spricht heute von der sozialen Frage. Man sagt: sie müsse gelöst werden.
Was ist denn aber die soziale Frage? Sie lautet dahin: Wie ist es möglich,
zu verhindern, daß Einzelne ohne Verdienst auf Kosten der Übrigen reich
werden? Kann man sich nun wohl etwas denken, was ärger diesem Ziele ins
Gesicht schlüge als die Lotterie? Bei ihr ist es ja gerade Zweck, Einzelne
ohne jedes Verdienst auf Kosten aller Übrigen zu bereichern. Aber auch vom
subjektiven Standpunkte des Gewinners bemessen, liegt in diesem Gewinn nur
selten ein wahres Glück. Es ist bekannt, daß aus Lvtteriegewiunen kein Segen
ruht. Es ist ja möglich, daß dieser oder jener mit einem solchen sich aufhilft.
In der Regel aber kommt das alte Sprichwort zu feinem Rechte: Wie ge¬
wonnen, so zerronnen. Und mancher ist schon zu gründe gegangen, nicht ob¬
gleich, sondern weil er in der Lotterie gewonnen hat.

Die öffentliche Meinung hat also nicht geirrt, wenn sie seit länger als
einem halben Jahrhundert die Lotterie als ein verwerfliches, nur als Notbehelf zu
duldendes Institut bezeichnete. Für die in unsern Augen wunderbare That¬
sache, daß gleichwohl heute achtbare Männer auftreten, welche diese Institution
verteidigen, wissen wir nur folgende Erklärung. Wie bereits oben bemerkt,
haben auch die Privatlottcnen in einer wahrhaft erschreckenden Weise zuge¬
nommen. Und da haben sich aus Lvkalpatriotismus oft sehr ehrbare Männer
dazu hergegeben, solche Lotterien in Szene zu setzen. Natürlich sind diese für
die Billigung des Instituts engagirt. Verteidigte doch ein Mitglied des Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/131>, abgerufen am 23.07.2024.