Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Totteriefrage im preußischen Abgeordnotenhause.

Der Antrag ward sowohl in der Vorberatung als in der Schlußberatung ange¬
nommen. In der Sitzung vom 16, Januar 1869 wurde über zahlreiche Pe¬
titionen, welche um Aufrechterhaltung der Lotterie baten, zur Tagesordnung
übergegangen. Auch im Reichstage kam um die damalige Zeit die Sache zur
Sprache. Der Abgeordnete Heubner, ein sächsischer Geistlicher, stellte im
Jahre 1869 den Antrag auf Erlaß eines Reichsgesetzes, welches die Lotterien
aufhöbe, und begründete diefen Antrag mit einer lebendigen Schilderung der
traurigen Wirkungen des Lotteriespiels, Wohl nach seinen eignen heimatlichen
Erfahrungen. Der Antrag ward jedoch wegen zweifelhafter Zuständigkeit des
Reiches abgelehnt. Auch später wurde die Lvtteriefrage hie und da wieder an¬
geregt. So unter anderen im Februar 1875, wo der Abgeordnete Jüttner im
Abgeordnetenhause auf die kolossale Ausbeutung des Publikums aufmerksam
machte, welche durch deu Vertrieb der Loose vonseiten der sogenannten Lotterie-
Komtoire geübt werde. Trotz alledem bestand die Lotterie in Preußen und
einigen andern deutschen Ländern fort. Da trat in der Sitzung des Abgeord¬
netenhauses vom 2, Dezember 1880 der Abgeordnete Dr, Löwe auf, wies auf
die enorme Erweiterung hin, welche die übrigen deutschen Staaten ihren Lotte¬
rien gegeben hätten, und deutete an, daß man angesichts dieser Thatsache sogar
auf den Gedanken kommen könne, auch die Loose der preußischen Lotterie zu
vermehren. Der Finanzminister Bitter bestätigte die Thatsache, daß die Zahl
der Lotterielovse in Sachsen von 34 000 auf 100 000, in Hamburg von 22300
auf 84000, in Braunschweig von 25 000 auf 34000 vermehrt worden sei, daß
auch alle Versuche, den Eingang dieser Loose zu hindern, bisher vergeblich ge¬
wesen seien; doch erklärte er sich dahin, daß er die Vermehrung der Staats¬
einnahme durch Lotterie nicht für erwünscht erachte. Seit dieser Verhandlung
ist fast alljährlich die Lotterie im Abgeordnetenhaus? zur Besprechung gelangt.
Nun tauchten mehr und mehr Stimmen auf, welche fanden, daß dieses Institut
doch nicht so übel sei. Nun wurde das Lotteriespielcn für ein ganz unschuldiges
Vergnügen erklärt, welches man dem Volke nicht verkümmern dürfe. So klang
es in mehrfachen Reden durch bei den Verhandlungen von 1832, 1333 und
1884. Jedoch wagten noch bei der Verhandlung vom 3. März 1884 die
Abgeordneten or, Löwe und Windthorst den Antrag: die Staatsregierung auf¬
zufordern, ihre Bemühung für Erlaß eines Reichsgesetzes eintreten zu lassen,
welches alle in den Staaten bestehenden Lottericen aufhebe und die Errichtung
neuer verbiete. Aber nicht dieser, sondern ein vermittelnder Antrag des Ab¬
geordneten von Minnigerode sand Annahme, dahin gehend, daß die Staats-
regierung ihre Bemühung auf eine einheitliche Regelung des Lotteriewesens
durch das Reich richten solle. Bei der diesjährigen Verhandlung endlich glaubten
die Freunde der Lotterie bereits die Zeit gekommen, wo man, statt die Lotterie
abzuschaffen, mit Vermehrung derselben vorgehen könne. Der Zentrumsmann
Dr. Peters, der freisinnige Frankfurter Abgeordnete Dr. Stern, der freikonser-


Die Totteriefrage im preußischen Abgeordnotenhause.

Der Antrag ward sowohl in der Vorberatung als in der Schlußberatung ange¬
nommen. In der Sitzung vom 16, Januar 1869 wurde über zahlreiche Pe¬
titionen, welche um Aufrechterhaltung der Lotterie baten, zur Tagesordnung
übergegangen. Auch im Reichstage kam um die damalige Zeit die Sache zur
Sprache. Der Abgeordnete Heubner, ein sächsischer Geistlicher, stellte im
Jahre 1869 den Antrag auf Erlaß eines Reichsgesetzes, welches die Lotterien
aufhöbe, und begründete diefen Antrag mit einer lebendigen Schilderung der
traurigen Wirkungen des Lotteriespiels, Wohl nach seinen eignen heimatlichen
Erfahrungen. Der Antrag ward jedoch wegen zweifelhafter Zuständigkeit des
Reiches abgelehnt. Auch später wurde die Lvtteriefrage hie und da wieder an¬
geregt. So unter anderen im Februar 1875, wo der Abgeordnete Jüttner im
Abgeordnetenhause auf die kolossale Ausbeutung des Publikums aufmerksam
machte, welche durch deu Vertrieb der Loose vonseiten der sogenannten Lotterie-
Komtoire geübt werde. Trotz alledem bestand die Lotterie in Preußen und
einigen andern deutschen Ländern fort. Da trat in der Sitzung des Abgeord¬
netenhauses vom 2, Dezember 1880 der Abgeordnete Dr, Löwe auf, wies auf
die enorme Erweiterung hin, welche die übrigen deutschen Staaten ihren Lotte¬
rien gegeben hätten, und deutete an, daß man angesichts dieser Thatsache sogar
auf den Gedanken kommen könne, auch die Loose der preußischen Lotterie zu
vermehren. Der Finanzminister Bitter bestätigte die Thatsache, daß die Zahl
der Lotterielovse in Sachsen von 34 000 auf 100 000, in Hamburg von 22300
auf 84000, in Braunschweig von 25 000 auf 34000 vermehrt worden sei, daß
auch alle Versuche, den Eingang dieser Loose zu hindern, bisher vergeblich ge¬
wesen seien; doch erklärte er sich dahin, daß er die Vermehrung der Staats¬
einnahme durch Lotterie nicht für erwünscht erachte. Seit dieser Verhandlung
ist fast alljährlich die Lotterie im Abgeordnetenhaus? zur Besprechung gelangt.
Nun tauchten mehr und mehr Stimmen auf, welche fanden, daß dieses Institut
doch nicht so übel sei. Nun wurde das Lotteriespielcn für ein ganz unschuldiges
Vergnügen erklärt, welches man dem Volke nicht verkümmern dürfe. So klang
es in mehrfachen Reden durch bei den Verhandlungen von 1832, 1333 und
1884. Jedoch wagten noch bei der Verhandlung vom 3. März 1884 die
Abgeordneten or, Löwe und Windthorst den Antrag: die Staatsregierung auf¬
zufordern, ihre Bemühung für Erlaß eines Reichsgesetzes eintreten zu lassen,
welches alle in den Staaten bestehenden Lottericen aufhebe und die Errichtung
neuer verbiete. Aber nicht dieser, sondern ein vermittelnder Antrag des Ab¬
geordneten von Minnigerode sand Annahme, dahin gehend, daß die Staats-
regierung ihre Bemühung auf eine einheitliche Regelung des Lotteriewesens
durch das Reich richten solle. Bei der diesjährigen Verhandlung endlich glaubten
die Freunde der Lotterie bereits die Zeit gekommen, wo man, statt die Lotterie
abzuschaffen, mit Vermehrung derselben vorgehen könne. Der Zentrumsmann
Dr. Peters, der freisinnige Frankfurter Abgeordnete Dr. Stern, der freikonser-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195514"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Totteriefrage im preußischen Abgeordnotenhause.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441" next="#ID_443"> Der Antrag ward sowohl in der Vorberatung als in der Schlußberatung ange¬<lb/>
nommen. In der Sitzung vom 16, Januar 1869 wurde über zahlreiche Pe¬<lb/>
titionen, welche um Aufrechterhaltung der Lotterie baten, zur Tagesordnung<lb/>
übergegangen. Auch im Reichstage kam um die damalige Zeit die Sache zur<lb/>
Sprache. Der Abgeordnete Heubner, ein sächsischer Geistlicher, stellte im<lb/>
Jahre 1869 den Antrag auf Erlaß eines Reichsgesetzes, welches die Lotterien<lb/>
aufhöbe, und begründete diefen Antrag mit einer lebendigen Schilderung der<lb/>
traurigen Wirkungen des Lotteriespiels, Wohl nach seinen eignen heimatlichen<lb/>
Erfahrungen. Der Antrag ward jedoch wegen zweifelhafter Zuständigkeit des<lb/>
Reiches abgelehnt. Auch später wurde die Lvtteriefrage hie und da wieder an¬<lb/>
geregt. So unter anderen im Februar 1875, wo der Abgeordnete Jüttner im<lb/>
Abgeordnetenhause auf die kolossale Ausbeutung des Publikums aufmerksam<lb/>
machte, welche durch deu Vertrieb der Loose vonseiten der sogenannten Lotterie-<lb/>
Komtoire geübt werde. Trotz alledem bestand die Lotterie in Preußen und<lb/>
einigen andern deutschen Ländern fort. Da trat in der Sitzung des Abgeord¬<lb/>
netenhauses vom 2, Dezember 1880 der Abgeordnete Dr, Löwe auf, wies auf<lb/>
die enorme Erweiterung hin, welche die übrigen deutschen Staaten ihren Lotte¬<lb/>
rien gegeben hätten, und deutete an, daß man angesichts dieser Thatsache sogar<lb/>
auf den Gedanken kommen könne, auch die Loose der preußischen Lotterie zu<lb/>
vermehren. Der Finanzminister Bitter bestätigte die Thatsache, daß die Zahl<lb/>
der Lotterielovse in Sachsen von 34 000 auf 100 000, in Hamburg von 22300<lb/>
auf 84000, in Braunschweig von 25 000 auf 34000 vermehrt worden sei, daß<lb/>
auch alle Versuche, den Eingang dieser Loose zu hindern, bisher vergeblich ge¬<lb/>
wesen seien; doch erklärte er sich dahin, daß er die Vermehrung der Staats¬<lb/>
einnahme durch Lotterie nicht für erwünscht erachte. Seit dieser Verhandlung<lb/>
ist fast alljährlich die Lotterie im Abgeordnetenhaus? zur Besprechung gelangt.<lb/>
Nun tauchten mehr und mehr Stimmen auf, welche fanden, daß dieses Institut<lb/>
doch nicht so übel sei. Nun wurde das Lotteriespielcn für ein ganz unschuldiges<lb/>
Vergnügen erklärt, welches man dem Volke nicht verkümmern dürfe. So klang<lb/>
es in mehrfachen Reden durch bei den Verhandlungen von 1832, 1333 und<lb/>
1884. Jedoch wagten noch bei der Verhandlung vom 3. März 1884 die<lb/>
Abgeordneten or, Löwe und Windthorst den Antrag: die Staatsregierung auf¬<lb/>
zufordern, ihre Bemühung für Erlaß eines Reichsgesetzes eintreten zu lassen,<lb/>
welches alle in den Staaten bestehenden Lottericen aufhebe und die Errichtung<lb/>
neuer verbiete. Aber nicht dieser, sondern ein vermittelnder Antrag des Ab¬<lb/>
geordneten von Minnigerode sand Annahme, dahin gehend, daß die Staats-<lb/>
regierung ihre Bemühung auf eine einheitliche Regelung des Lotteriewesens<lb/>
durch das Reich richten solle. Bei der diesjährigen Verhandlung endlich glaubten<lb/>
die Freunde der Lotterie bereits die Zeit gekommen, wo man, statt die Lotterie<lb/>
abzuschaffen, mit Vermehrung derselben vorgehen könne. Der Zentrumsmann<lb/>
Dr. Peters, der freisinnige Frankfurter Abgeordnete Dr. Stern, der freikonser-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0125] Die Totteriefrage im preußischen Abgeordnotenhause. Der Antrag ward sowohl in der Vorberatung als in der Schlußberatung ange¬ nommen. In der Sitzung vom 16, Januar 1869 wurde über zahlreiche Pe¬ titionen, welche um Aufrechterhaltung der Lotterie baten, zur Tagesordnung übergegangen. Auch im Reichstage kam um die damalige Zeit die Sache zur Sprache. Der Abgeordnete Heubner, ein sächsischer Geistlicher, stellte im Jahre 1869 den Antrag auf Erlaß eines Reichsgesetzes, welches die Lotterien aufhöbe, und begründete diefen Antrag mit einer lebendigen Schilderung der traurigen Wirkungen des Lotteriespiels, Wohl nach seinen eignen heimatlichen Erfahrungen. Der Antrag ward jedoch wegen zweifelhafter Zuständigkeit des Reiches abgelehnt. Auch später wurde die Lvtteriefrage hie und da wieder an¬ geregt. So unter anderen im Februar 1875, wo der Abgeordnete Jüttner im Abgeordnetenhause auf die kolossale Ausbeutung des Publikums aufmerksam machte, welche durch deu Vertrieb der Loose vonseiten der sogenannten Lotterie- Komtoire geübt werde. Trotz alledem bestand die Lotterie in Preußen und einigen andern deutschen Ländern fort. Da trat in der Sitzung des Abgeord¬ netenhauses vom 2, Dezember 1880 der Abgeordnete Dr, Löwe auf, wies auf die enorme Erweiterung hin, welche die übrigen deutschen Staaten ihren Lotte¬ rien gegeben hätten, und deutete an, daß man angesichts dieser Thatsache sogar auf den Gedanken kommen könne, auch die Loose der preußischen Lotterie zu vermehren. Der Finanzminister Bitter bestätigte die Thatsache, daß die Zahl der Lotterielovse in Sachsen von 34 000 auf 100 000, in Hamburg von 22300 auf 84000, in Braunschweig von 25 000 auf 34000 vermehrt worden sei, daß auch alle Versuche, den Eingang dieser Loose zu hindern, bisher vergeblich ge¬ wesen seien; doch erklärte er sich dahin, daß er die Vermehrung der Staats¬ einnahme durch Lotterie nicht für erwünscht erachte. Seit dieser Verhandlung ist fast alljährlich die Lotterie im Abgeordnetenhaus? zur Besprechung gelangt. Nun tauchten mehr und mehr Stimmen auf, welche fanden, daß dieses Institut doch nicht so übel sei. Nun wurde das Lotteriespielcn für ein ganz unschuldiges Vergnügen erklärt, welches man dem Volke nicht verkümmern dürfe. So klang es in mehrfachen Reden durch bei den Verhandlungen von 1832, 1333 und 1884. Jedoch wagten noch bei der Verhandlung vom 3. März 1884 die Abgeordneten or, Löwe und Windthorst den Antrag: die Staatsregierung auf¬ zufordern, ihre Bemühung für Erlaß eines Reichsgesetzes eintreten zu lassen, welches alle in den Staaten bestehenden Lottericen aufhebe und die Errichtung neuer verbiete. Aber nicht dieser, sondern ein vermittelnder Antrag des Ab¬ geordneten von Minnigerode sand Annahme, dahin gehend, daß die Staats- regierung ihre Bemühung auf eine einheitliche Regelung des Lotteriewesens durch das Reich richten solle. Bei der diesjährigen Verhandlung endlich glaubten die Freunde der Lotterie bereits die Zeit gekommen, wo man, statt die Lotterie abzuschaffen, mit Vermehrung derselben vorgehen könne. Der Zentrumsmann Dr. Peters, der freisinnige Frankfurter Abgeordnete Dr. Stern, der freikonser-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/125
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/125>, abgerufen am 22.07.2024.