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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beitrage zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

nehmen sollen. Aber der Kaiser begehrt, daß Sie die Engländer nicht in Ihr
Land lassen, und so müssen Sie dieselben wie im vorigen Jahre mit Trnglist
und Täuschung behandeln, bis die jetzige kalte Jahreszeit vorüber ist. Dann
wird sich der Wille Gottes Ihnen offenbaren: nachdem die Negierung zweimal
das Bismillah jun Namen Gottesj gesagt hat, wird das Bismillah Ihnen zu
Hilfe kommen. Kurzum, Sie können versichert sein, daß die Dinge ein gutes
Ende nehmen werden. Mit Gottes Erlaubnis werden wir in Petersburg einen
Kongreß, d. h. eine Versammlung von Mächten, zusammentreten lassen, wir
werden dann eine amiliche Verhandlung mit der englischen Regierung beginnen,
und entweder durch die Kraft von Worten und diplomatische Wirksamkeit alle
Einmischung Englands in Afghanistan für immer abschneiden oder den Gang
der Ereignisse mit einem gewaltigen Kriege endigen lassen. Mit Gottes Bei¬
stande wird nächsten Sommer in Afghanistan kein Zeichen und keine Spur
von Sorge und Unzufriedenheit mehr übrig sein."

Also nochmals von russischer Seite Ermahnungen zum Ausharren gegen¬
über den Engländern und Verheißungen von Unterstützung bei besserer Jahres¬
zeit. Aber Kaufmanns Antwort auf den letzten Hilferuf des Emirs, die vom
2. Januar 1879 datirt war und in Kabul erst anlangte, als schir Ali seine
Flucht nach Turkestan bereits angetreten hatte, lautete noch weniger ermutigend
als seine ihr zuletzt vorhergegangene Äußerung in der Sache. Er erklärte jetzt
kurz und bündig, es sei dermalen unthunlich, dem Emir mit Truppen zu Hilfe
zu kommen; er möge auf Allah vertrauen und von der ewigen Freundschaft
des Kaisers überzeugt bleiben. Die Reise nach Petersburg müsse er, Kauf¬
mann, ihm dringend widerraten, vielmehr solle er in seiner Residenz verbleiben
und versuchen, die Sache mit den britischen Behörden in die Länge zu ziehen.
Dieser Rat kam zu spät, und als er in Kabul eintraf, hatte der Emir auf
seinem Wege nach Petersburg schon die russische Grenze überschritten, in deren
Nähe er bald nachher vom Tode ereilt wurde.

Die Engländer drangen nun, wie berichtet, nach Kabul und Kandahar vor,
zogen dann von dort ab und kehrten nach Major Cavagnaris Ermordung
wieder dahin zurück, um sich für längere Zeit festzusetzen. Lord BeaeonSfield
stand im Begriff, die Okkupation in eine Annexion zu verwandeln. Er teilte
die Ansichten, welche Rawlinson in einer Denkschrift ausgesprochen, die er im
Juli 1868 der englischen Regierung überreicht hatte. Es hieß darin, das Vor¬
dringen Rußlands in Zentralasien sei offenbar gegen England gerichtet, das
Fortschreiten der russischen Eroberungen in Turkestan gleiche der Eröffnung
von Parallelen bei der Belagerung einer Festung, welche hier Indien heiße.
Wenn die Russen noch Merw in ihre Gewalt brächten, würden sie das Schicksal
dieser Festung in der Hand haben, und dann handle es sich für dieselbe nur
noch um Afghanistan, das durch seine Gebirge und Flüsse ein letztes natürliches
Bollwerk bilde und unangreifbar gemacht werden müsse. Das könne aber mir


Beitrage zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

nehmen sollen. Aber der Kaiser begehrt, daß Sie die Engländer nicht in Ihr
Land lassen, und so müssen Sie dieselben wie im vorigen Jahre mit Trnglist
und Täuschung behandeln, bis die jetzige kalte Jahreszeit vorüber ist. Dann
wird sich der Wille Gottes Ihnen offenbaren: nachdem die Negierung zweimal
das Bismillah jun Namen Gottesj gesagt hat, wird das Bismillah Ihnen zu
Hilfe kommen. Kurzum, Sie können versichert sein, daß die Dinge ein gutes
Ende nehmen werden. Mit Gottes Erlaubnis werden wir in Petersburg einen
Kongreß, d. h. eine Versammlung von Mächten, zusammentreten lassen, wir
werden dann eine amiliche Verhandlung mit der englischen Regierung beginnen,
und entweder durch die Kraft von Worten und diplomatische Wirksamkeit alle
Einmischung Englands in Afghanistan für immer abschneiden oder den Gang
der Ereignisse mit einem gewaltigen Kriege endigen lassen. Mit Gottes Bei¬
stande wird nächsten Sommer in Afghanistan kein Zeichen und keine Spur
von Sorge und Unzufriedenheit mehr übrig sein."

Also nochmals von russischer Seite Ermahnungen zum Ausharren gegen¬
über den Engländern und Verheißungen von Unterstützung bei besserer Jahres¬
zeit. Aber Kaufmanns Antwort auf den letzten Hilferuf des Emirs, die vom
2. Januar 1879 datirt war und in Kabul erst anlangte, als schir Ali seine
Flucht nach Turkestan bereits angetreten hatte, lautete noch weniger ermutigend
als seine ihr zuletzt vorhergegangene Äußerung in der Sache. Er erklärte jetzt
kurz und bündig, es sei dermalen unthunlich, dem Emir mit Truppen zu Hilfe
zu kommen; er möge auf Allah vertrauen und von der ewigen Freundschaft
des Kaisers überzeugt bleiben. Die Reise nach Petersburg müsse er, Kauf¬
mann, ihm dringend widerraten, vielmehr solle er in seiner Residenz verbleiben
und versuchen, die Sache mit den britischen Behörden in die Länge zu ziehen.
Dieser Rat kam zu spät, und als er in Kabul eintraf, hatte der Emir auf
seinem Wege nach Petersburg schon die russische Grenze überschritten, in deren
Nähe er bald nachher vom Tode ereilt wurde.

Die Engländer drangen nun, wie berichtet, nach Kabul und Kandahar vor,
zogen dann von dort ab und kehrten nach Major Cavagnaris Ermordung
wieder dahin zurück, um sich für längere Zeit festzusetzen. Lord BeaeonSfield
stand im Begriff, die Okkupation in eine Annexion zu verwandeln. Er teilte
die Ansichten, welche Rawlinson in einer Denkschrift ausgesprochen, die er im
Juli 1868 der englischen Regierung überreicht hatte. Es hieß darin, das Vor¬
dringen Rußlands in Zentralasien sei offenbar gegen England gerichtet, das
Fortschreiten der russischen Eroberungen in Turkestan gleiche der Eröffnung
von Parallelen bei der Belagerung einer Festung, welche hier Indien heiße.
Wenn die Russen noch Merw in ihre Gewalt brächten, würden sie das Schicksal
dieser Festung in der Hand haben, und dann handle es sich für dieselbe nur
noch um Afghanistan, das durch seine Gebirge und Flüsse ein letztes natürliches
Bollwerk bilde und unangreifbar gemacht werden müsse. Das könne aber mir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/122>, abgerufen am 23.07.2024.