Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

kann diese Dinge gut überblicken. Durch Gottes Macht und Ordnung ist kein
Reich dem unsers Zaren gleich. Deshalb sollten Sie allem, was unsre Re¬
gierung Ihnen aurae, Ihr Ohr leihen. Ich sage Ihnen in Wahrheit, daß die¬
selbe so klug wie eine Schlange und so arglos wie eine Taube ist. Es giebt
vieles, was Sie nicht begreifen, aber unsre Regierung versteht alles. Oft ge¬
schieht es, daß eine anfangs unerfreuliche Sache später als Segen erscheint.
Ich benachrichtige Sie jetzt, lieber Freund, daß der Feind Ihrer berühmten
Religion durch den Sultan mit Ihnen Frieden schließen will. Darum sollten
Sie nach Ihren Brüdern sehen, die jenseits des Stromes woh"en. >Die Mu-
hammedaner östlich vom Indus sind gemeint.j Wenn Gott sie aufregt und
ihnen das Schwert in die Hand drückt, so brecht in Gottes Namen los. An¬
dernfalls sollten Sie wie eine Schlange sein, öffentlich Frieden machen und ins¬
geheim zum Kriege rüsten, um ihn, falls Gott seinen Befehl erteilt, zu erklären.
Es wird gut sein, wenn Sie, sobald ein Gesandter Ihres Feindes das Land
zu betreten begehrt, in das Land der Gegner einen Boten schicken, der die
Zunge einer Schlange besitzt und voll Truglist ist, damit er mit süßen Worten
das" Herz des Feindes bethöre und ihn bewege, vom Kampfe mit Ihnen ab¬
zustehen. Mein lieber Freund, ich befehle Sie dem Schutze Gottes. Möge
er der Schirmherr des Reiches des Emirs sein und Zittern die Glieder Ihrer
Feinde ergreifen."

Als Chnmberlain zurückgewiesen und die Kriegserklärung der Engländer
erfolgt war, schrieb der Emir selbst an Kaufmann, meldete ihm, daß "die eng¬
lischen Beamten nach Stoljeteffs Abreise dreist geworden seien und ihre Lenden
mit dem Schwerte umgürtet hätten, um der gottverliehenen Negierung von
Afghanistan Schaden zuzufügen," sodaß ihm nichts übrig bleibe, als mit ihnen
zu kämpfen, und schloß dann mit den Worten: "Indem ich auf Ihre Freund¬
schaft baue, erwarte ich, daß Sie dieser Sache Ihre besondre Aufmerksamkeit
widmen und mir Ihren Beistand in jeder Weise, die Sie angemessen erachten,
zuteil werden lassen." Zu gleicher Zeit richtete er einen Brief an den Kaiser,
worin er über die Art Klage führte, wie Lord Lytton dem russischen Einflüsse
in Afghanistan entgegengewirkt habe, und daran die Bitte um "freundschaftliche
Unterstützung nach dem Maße der Macht des Zaren" knüpfte. Kaufmann sagte
in seiner Antwort: "Ich habe Nachricht, daß die Engländer mit Ihnen Frieden
zu schließen wünsche", und ich rate Ihnen, sich mit ihnen auf Bedingungen hin
zu verständigen, wenn sie solche anbieten." Auf ein weiteres Schreiben schir
Alis bemerkte der Generalgouvemeur: "Die britischen Minister haben sich gegen
unsern Botschafter in London verpflichtet, die Unabhängigkeit Afghanistans zu
achten. Ich bin vom Kaiser beauftragt, Ihnen das mitzuteilen und nach Ab¬
schluß der Freundschaft nach Petersburg zu gehen. Sollte Ihnen Übles be¬
gegnen, wird es mir leid thun." An den Oberst Nosgonoff aber schrieb er im
Dezember: "Der Emir weiß recht gut, daß ich ihm im Winter unmöglich mit


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

kann diese Dinge gut überblicken. Durch Gottes Macht und Ordnung ist kein
Reich dem unsers Zaren gleich. Deshalb sollten Sie allem, was unsre Re¬
gierung Ihnen aurae, Ihr Ohr leihen. Ich sage Ihnen in Wahrheit, daß die¬
selbe so klug wie eine Schlange und so arglos wie eine Taube ist. Es giebt
vieles, was Sie nicht begreifen, aber unsre Regierung versteht alles. Oft ge¬
schieht es, daß eine anfangs unerfreuliche Sache später als Segen erscheint.
Ich benachrichtige Sie jetzt, lieber Freund, daß der Feind Ihrer berühmten
Religion durch den Sultan mit Ihnen Frieden schließen will. Darum sollten
Sie nach Ihren Brüdern sehen, die jenseits des Stromes woh»en. >Die Mu-
hammedaner östlich vom Indus sind gemeint.j Wenn Gott sie aufregt und
ihnen das Schwert in die Hand drückt, so brecht in Gottes Namen los. An¬
dernfalls sollten Sie wie eine Schlange sein, öffentlich Frieden machen und ins¬
geheim zum Kriege rüsten, um ihn, falls Gott seinen Befehl erteilt, zu erklären.
Es wird gut sein, wenn Sie, sobald ein Gesandter Ihres Feindes das Land
zu betreten begehrt, in das Land der Gegner einen Boten schicken, der die
Zunge einer Schlange besitzt und voll Truglist ist, damit er mit süßen Worten
das" Herz des Feindes bethöre und ihn bewege, vom Kampfe mit Ihnen ab¬
zustehen. Mein lieber Freund, ich befehle Sie dem Schutze Gottes. Möge
er der Schirmherr des Reiches des Emirs sein und Zittern die Glieder Ihrer
Feinde ergreifen."

Als Chnmberlain zurückgewiesen und die Kriegserklärung der Engländer
erfolgt war, schrieb der Emir selbst an Kaufmann, meldete ihm, daß „die eng¬
lischen Beamten nach Stoljeteffs Abreise dreist geworden seien und ihre Lenden
mit dem Schwerte umgürtet hätten, um der gottverliehenen Negierung von
Afghanistan Schaden zuzufügen," sodaß ihm nichts übrig bleibe, als mit ihnen
zu kämpfen, und schloß dann mit den Worten: „Indem ich auf Ihre Freund¬
schaft baue, erwarte ich, daß Sie dieser Sache Ihre besondre Aufmerksamkeit
widmen und mir Ihren Beistand in jeder Weise, die Sie angemessen erachten,
zuteil werden lassen." Zu gleicher Zeit richtete er einen Brief an den Kaiser,
worin er über die Art Klage führte, wie Lord Lytton dem russischen Einflüsse
in Afghanistan entgegengewirkt habe, und daran die Bitte um „freundschaftliche
Unterstützung nach dem Maße der Macht des Zaren" knüpfte. Kaufmann sagte
in seiner Antwort: „Ich habe Nachricht, daß die Engländer mit Ihnen Frieden
zu schließen wünsche», und ich rate Ihnen, sich mit ihnen auf Bedingungen hin
zu verständigen, wenn sie solche anbieten." Auf ein weiteres Schreiben schir
Alis bemerkte der Generalgouvemeur: „Die britischen Minister haben sich gegen
unsern Botschafter in London verpflichtet, die Unabhängigkeit Afghanistans zu
achten. Ich bin vom Kaiser beauftragt, Ihnen das mitzuteilen und nach Ab¬
schluß der Freundschaft nach Petersburg zu gehen. Sollte Ihnen Übles be¬
gegnen, wird es mir leid thun." An den Oberst Nosgonoff aber schrieb er im
Dezember: „Der Emir weiß recht gut, daß ich ihm im Winter unmöglich mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195509"/>
          <fw type="header" place="top"> Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_429" prev="#ID_428"> kann diese Dinge gut überblicken. Durch Gottes Macht und Ordnung ist kein<lb/>
Reich dem unsers Zaren gleich. Deshalb sollten Sie allem, was unsre Re¬<lb/>
gierung Ihnen aurae, Ihr Ohr leihen. Ich sage Ihnen in Wahrheit, daß die¬<lb/>
selbe so klug wie eine Schlange und so arglos wie eine Taube ist. Es giebt<lb/>
vieles, was Sie nicht begreifen, aber unsre Regierung versteht alles. Oft ge¬<lb/>
schieht es, daß eine anfangs unerfreuliche Sache später als Segen erscheint.<lb/>
Ich benachrichtige Sie jetzt, lieber Freund, daß der Feind Ihrer berühmten<lb/>
Religion durch den Sultan mit Ihnen Frieden schließen will. Darum sollten<lb/>
Sie nach Ihren Brüdern sehen, die jenseits des Stromes woh»en. &gt;Die Mu-<lb/>
hammedaner östlich vom Indus sind gemeint.j Wenn Gott sie aufregt und<lb/>
ihnen das Schwert in die Hand drückt, so brecht in Gottes Namen los. An¬<lb/>
dernfalls sollten Sie wie eine Schlange sein, öffentlich Frieden machen und ins¬<lb/>
geheim zum Kriege rüsten, um ihn, falls Gott seinen Befehl erteilt, zu erklären.<lb/>
Es wird gut sein, wenn Sie, sobald ein Gesandter Ihres Feindes das Land<lb/>
zu betreten begehrt, in das Land der Gegner einen Boten schicken, der die<lb/>
Zunge einer Schlange besitzt und voll Truglist ist, damit er mit süßen Worten<lb/>
das" Herz des Feindes bethöre und ihn bewege, vom Kampfe mit Ihnen ab¬<lb/>
zustehen. Mein lieber Freund, ich befehle Sie dem Schutze Gottes. Möge<lb/>
er der Schirmherr des Reiches des Emirs sein und Zittern die Glieder Ihrer<lb/>
Feinde ergreifen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_430" next="#ID_431"> Als Chnmberlain zurückgewiesen und die Kriegserklärung der Engländer<lb/>
erfolgt war, schrieb der Emir selbst an Kaufmann, meldete ihm, daß &#x201E;die eng¬<lb/>
lischen Beamten nach Stoljeteffs Abreise dreist geworden seien und ihre Lenden<lb/>
mit dem Schwerte umgürtet hätten, um der gottverliehenen Negierung von<lb/>
Afghanistan Schaden zuzufügen," sodaß ihm nichts übrig bleibe, als mit ihnen<lb/>
zu kämpfen, und schloß dann mit den Worten: &#x201E;Indem ich auf Ihre Freund¬<lb/>
schaft baue, erwarte ich, daß Sie dieser Sache Ihre besondre Aufmerksamkeit<lb/>
widmen und mir Ihren Beistand in jeder Weise, die Sie angemessen erachten,<lb/>
zuteil werden lassen." Zu gleicher Zeit richtete er einen Brief an den Kaiser,<lb/>
worin er über die Art Klage führte, wie Lord Lytton dem russischen Einflüsse<lb/>
in Afghanistan entgegengewirkt habe, und daran die Bitte um &#x201E;freundschaftliche<lb/>
Unterstützung nach dem Maße der Macht des Zaren" knüpfte. Kaufmann sagte<lb/>
in seiner Antwort: &#x201E;Ich habe Nachricht, daß die Engländer mit Ihnen Frieden<lb/>
zu schließen wünsche», und ich rate Ihnen, sich mit ihnen auf Bedingungen hin<lb/>
zu verständigen, wenn sie solche anbieten." Auf ein weiteres Schreiben schir<lb/>
Alis bemerkte der Generalgouvemeur: &#x201E;Die britischen Minister haben sich gegen<lb/>
unsern Botschafter in London verpflichtet, die Unabhängigkeit Afghanistans zu<lb/>
achten. Ich bin vom Kaiser beauftragt, Ihnen das mitzuteilen und nach Ab¬<lb/>
schluß der Freundschaft nach Petersburg zu gehen. Sollte Ihnen Übles be¬<lb/>
gegnen, wird es mir leid thun." An den Oberst Nosgonoff aber schrieb er im<lb/>
Dezember: &#x201E;Der Emir weiß recht gut, daß ich ihm im Winter unmöglich mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. kann diese Dinge gut überblicken. Durch Gottes Macht und Ordnung ist kein Reich dem unsers Zaren gleich. Deshalb sollten Sie allem, was unsre Re¬ gierung Ihnen aurae, Ihr Ohr leihen. Ich sage Ihnen in Wahrheit, daß die¬ selbe so klug wie eine Schlange und so arglos wie eine Taube ist. Es giebt vieles, was Sie nicht begreifen, aber unsre Regierung versteht alles. Oft ge¬ schieht es, daß eine anfangs unerfreuliche Sache später als Segen erscheint. Ich benachrichtige Sie jetzt, lieber Freund, daß der Feind Ihrer berühmten Religion durch den Sultan mit Ihnen Frieden schließen will. Darum sollten Sie nach Ihren Brüdern sehen, die jenseits des Stromes woh»en. >Die Mu- hammedaner östlich vom Indus sind gemeint.j Wenn Gott sie aufregt und ihnen das Schwert in die Hand drückt, so brecht in Gottes Namen los. An¬ dernfalls sollten Sie wie eine Schlange sein, öffentlich Frieden machen und ins¬ geheim zum Kriege rüsten, um ihn, falls Gott seinen Befehl erteilt, zu erklären. Es wird gut sein, wenn Sie, sobald ein Gesandter Ihres Feindes das Land zu betreten begehrt, in das Land der Gegner einen Boten schicken, der die Zunge einer Schlange besitzt und voll Truglist ist, damit er mit süßen Worten das" Herz des Feindes bethöre und ihn bewege, vom Kampfe mit Ihnen ab¬ zustehen. Mein lieber Freund, ich befehle Sie dem Schutze Gottes. Möge er der Schirmherr des Reiches des Emirs sein und Zittern die Glieder Ihrer Feinde ergreifen." Als Chnmberlain zurückgewiesen und die Kriegserklärung der Engländer erfolgt war, schrieb der Emir selbst an Kaufmann, meldete ihm, daß „die eng¬ lischen Beamten nach Stoljeteffs Abreise dreist geworden seien und ihre Lenden mit dem Schwerte umgürtet hätten, um der gottverliehenen Negierung von Afghanistan Schaden zuzufügen," sodaß ihm nichts übrig bleibe, als mit ihnen zu kämpfen, und schloß dann mit den Worten: „Indem ich auf Ihre Freund¬ schaft baue, erwarte ich, daß Sie dieser Sache Ihre besondre Aufmerksamkeit widmen und mir Ihren Beistand in jeder Weise, die Sie angemessen erachten, zuteil werden lassen." Zu gleicher Zeit richtete er einen Brief an den Kaiser, worin er über die Art Klage führte, wie Lord Lytton dem russischen Einflüsse in Afghanistan entgegengewirkt habe, und daran die Bitte um „freundschaftliche Unterstützung nach dem Maße der Macht des Zaren" knüpfte. Kaufmann sagte in seiner Antwort: „Ich habe Nachricht, daß die Engländer mit Ihnen Frieden zu schließen wünsche», und ich rate Ihnen, sich mit ihnen auf Bedingungen hin zu verständigen, wenn sie solche anbieten." Auf ein weiteres Schreiben schir Alis bemerkte der Generalgouvemeur: „Die britischen Minister haben sich gegen unsern Botschafter in London verpflichtet, die Unabhängigkeit Afghanistans zu achten. Ich bin vom Kaiser beauftragt, Ihnen das mitzuteilen und nach Ab¬ schluß der Freundschaft nach Petersburg zu gehen. Sollte Ihnen Übles be¬ gegnen, wird es mir leid thun." An den Oberst Nosgonoff aber schrieb er im Dezember: „Der Emir weiß recht gut, daß ich ihm im Winter unmöglich mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/120>, abgerufen am 23.07.2024.