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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Stromes verschaffte. Der Chan mußte ferner die Anlegung russischer Fakto¬
reien am linken Ufer erlauben, sein ganzes Land den Kaufleuten Rußlands
öffnen und sich verpflichten, binnen zwanzig Jahren zwei Millionen Rubel als
Kriegskosten zu zahlen. 1875 gaben räuberische Einfälle der Usbeken in Cho-
kcmd, welche russische Unterthanen schädigten, dem General Kaufmann erwünschten
Anlaß, der Herrschaft des dortigen Chans ein Ende zu bereiten. Er erstürmte
die Festung Machram, schlug die Leute des Chans Sales und nahm ihm dann,
1876, sein gesamtes Land ab, das nun als Provinz Ferghana dem rassischen
Reiche einverleibt wurde. Einige Zeit nachher rückten die Russen ihre Grenzen
mehr nach Südwesten, und zwar nach Gegenden hin, welche von den afgha¬
nischen Fürsten bisher als zu ihrem Besitztum gehörig angesehen worden waren:
sie cmuektirten die Oase, deren Mittelpunkt die Turkmenenstadt Maro ist.

Mittlerweile hatte man wiederholt von neuem mit Afghanistan angeknüpft.
Hier hatte Dose Muhammed vor seinem Tode seinen Sohn schir Ali zum
Erben des Thrones ernannt, und die übrigen Söhne huldigten diesem zwar
anfangs, fielen aber nach kurzer Zeit von ihm ab, um sich selbständig zu machen,
und fanden jeder eine Partei, die ihren Ehrgeiz zu unterstützen bereit war.
Mehr aber trug England die Schuld, wenn das von Dose Muhammed geeinigte
Afghanistan wieder anseinanderzufallen drohte. 1855 war zwischen letzterem
Fürsten "und seinen Erben" und der britischen Regierung andrerseits ein
"ewiger Friede" abgeschlossen worden, der, 1857 erneuert, ohne Zweifel dazu
beitrug, den Emir von der Benutzung des großen Sipahi-Aufstandes, der in
jener Zeit die englische Macht bedrängte, abzuhalten. Da der Beherrscher der
Afghanen zweifellos befugt gewesen war, seinen Nachfolger auf dem Throne
selbst zu wählen, so war England vertragsmäßig zur Anerkennung schir Alis
verpflichtet. Indes schien es, als entsprächen Thronstreitigkciten und ein dnrch
Parteikämpfe zerrissenes und geschwächtes Afghanistan dem britischen Interesse
besser als ein einiges und möglichst geordnetes unter einem Gebieter, welcher
die Vorzüge seines thatkräftige" und stacitsklngen Vaters besaß, auch schien ein
andrer Sohn Dose Muhammeds. Azim Chan, der als Gouverneur im Nord¬
westen des Landes lebte, den Europäern günstiger gesinnt zu sein als schir
Ali, und so zögerte man mit der Anerkennung des letzteren volle sechs Monate,
wodurch der Ehrgeiz und die Selbstsucht der Brüder des neuen Emirs Nahrung
und den Antrieb erhielten, ihr Glück gegen denselben zu versuchen. Zuerst
lehnte sich von denselben Afznl Chan auf, wurde aber geschlagen. Bald darauf,
im April 1.864, empörte sich Azim, wurde jedoch vou seinen Truppen verlassen
und mußte nach Indien flüchten, wo er internirt wurde. Nicht lange darauf
wendete sich das Glück: nach einem Treffen bei Kandcchcir, das im Juni 1865
stattfand und in welchem Afznl siegte, ergriffe" einige mächtige Häuptlinge
seine Partei, Azim begab sich unter Zulassung der Engländer zu ihm, und im
Mai des nächsten Jahres schlüge" beide das Heer schir Alis in einer großen


Stromes verschaffte. Der Chan mußte ferner die Anlegung russischer Fakto¬
reien am linken Ufer erlauben, sein ganzes Land den Kaufleuten Rußlands
öffnen und sich verpflichten, binnen zwanzig Jahren zwei Millionen Rubel als
Kriegskosten zu zahlen. 1875 gaben räuberische Einfälle der Usbeken in Cho-
kcmd, welche russische Unterthanen schädigten, dem General Kaufmann erwünschten
Anlaß, der Herrschaft des dortigen Chans ein Ende zu bereiten. Er erstürmte
die Festung Machram, schlug die Leute des Chans Sales und nahm ihm dann,
1876, sein gesamtes Land ab, das nun als Provinz Ferghana dem rassischen
Reiche einverleibt wurde. Einige Zeit nachher rückten die Russen ihre Grenzen
mehr nach Südwesten, und zwar nach Gegenden hin, welche von den afgha¬
nischen Fürsten bisher als zu ihrem Besitztum gehörig angesehen worden waren:
sie cmuektirten die Oase, deren Mittelpunkt die Turkmenenstadt Maro ist.

Mittlerweile hatte man wiederholt von neuem mit Afghanistan angeknüpft.
Hier hatte Dose Muhammed vor seinem Tode seinen Sohn schir Ali zum
Erben des Thrones ernannt, und die übrigen Söhne huldigten diesem zwar
anfangs, fielen aber nach kurzer Zeit von ihm ab, um sich selbständig zu machen,
und fanden jeder eine Partei, die ihren Ehrgeiz zu unterstützen bereit war.
Mehr aber trug England die Schuld, wenn das von Dose Muhammed geeinigte
Afghanistan wieder anseinanderzufallen drohte. 1855 war zwischen letzterem
Fürsten „und seinen Erben" und der britischen Regierung andrerseits ein
„ewiger Friede" abgeschlossen worden, der, 1857 erneuert, ohne Zweifel dazu
beitrug, den Emir von der Benutzung des großen Sipahi-Aufstandes, der in
jener Zeit die englische Macht bedrängte, abzuhalten. Da der Beherrscher der
Afghanen zweifellos befugt gewesen war, seinen Nachfolger auf dem Throne
selbst zu wählen, so war England vertragsmäßig zur Anerkennung schir Alis
verpflichtet. Indes schien es, als entsprächen Thronstreitigkciten und ein dnrch
Parteikämpfe zerrissenes und geschwächtes Afghanistan dem britischen Interesse
besser als ein einiges und möglichst geordnetes unter einem Gebieter, welcher
die Vorzüge seines thatkräftige» und stacitsklngen Vaters besaß, auch schien ein
andrer Sohn Dose Muhammeds. Azim Chan, der als Gouverneur im Nord¬
westen des Landes lebte, den Europäern günstiger gesinnt zu sein als schir
Ali, und so zögerte man mit der Anerkennung des letzteren volle sechs Monate,
wodurch der Ehrgeiz und die Selbstsucht der Brüder des neuen Emirs Nahrung
und den Antrieb erhielten, ihr Glück gegen denselben zu versuchen. Zuerst
lehnte sich von denselben Afznl Chan auf, wurde aber geschlagen. Bald darauf,
im April 1.864, empörte sich Azim, wurde jedoch vou seinen Truppen verlassen
und mußte nach Indien flüchten, wo er internirt wurde. Nicht lange darauf
wendete sich das Glück: nach einem Treffen bei Kandcchcir, das im Juni 1865
stattfand und in welchem Afznl siegte, ergriffe» einige mächtige Häuptlinge
seine Partei, Azim begab sich unter Zulassung der Engländer zu ihm, und im
Mai des nächsten Jahres schlüge» beide das Heer schir Alis in einer großen


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[0117] Stromes verschaffte. Der Chan mußte ferner die Anlegung russischer Fakto¬ reien am linken Ufer erlauben, sein ganzes Land den Kaufleuten Rußlands öffnen und sich verpflichten, binnen zwanzig Jahren zwei Millionen Rubel als Kriegskosten zu zahlen. 1875 gaben räuberische Einfälle der Usbeken in Cho- kcmd, welche russische Unterthanen schädigten, dem General Kaufmann erwünschten Anlaß, der Herrschaft des dortigen Chans ein Ende zu bereiten. Er erstürmte die Festung Machram, schlug die Leute des Chans Sales und nahm ihm dann, 1876, sein gesamtes Land ab, das nun als Provinz Ferghana dem rassischen Reiche einverleibt wurde. Einige Zeit nachher rückten die Russen ihre Grenzen mehr nach Südwesten, und zwar nach Gegenden hin, welche von den afgha¬ nischen Fürsten bisher als zu ihrem Besitztum gehörig angesehen worden waren: sie cmuektirten die Oase, deren Mittelpunkt die Turkmenenstadt Maro ist. Mittlerweile hatte man wiederholt von neuem mit Afghanistan angeknüpft. Hier hatte Dose Muhammed vor seinem Tode seinen Sohn schir Ali zum Erben des Thrones ernannt, und die übrigen Söhne huldigten diesem zwar anfangs, fielen aber nach kurzer Zeit von ihm ab, um sich selbständig zu machen, und fanden jeder eine Partei, die ihren Ehrgeiz zu unterstützen bereit war. Mehr aber trug England die Schuld, wenn das von Dose Muhammed geeinigte Afghanistan wieder anseinanderzufallen drohte. 1855 war zwischen letzterem Fürsten „und seinen Erben" und der britischen Regierung andrerseits ein „ewiger Friede" abgeschlossen worden, der, 1857 erneuert, ohne Zweifel dazu beitrug, den Emir von der Benutzung des großen Sipahi-Aufstandes, der in jener Zeit die englische Macht bedrängte, abzuhalten. Da der Beherrscher der Afghanen zweifellos befugt gewesen war, seinen Nachfolger auf dem Throne selbst zu wählen, so war England vertragsmäßig zur Anerkennung schir Alis verpflichtet. Indes schien es, als entsprächen Thronstreitigkciten und ein dnrch Parteikämpfe zerrissenes und geschwächtes Afghanistan dem britischen Interesse besser als ein einiges und möglichst geordnetes unter einem Gebieter, welcher die Vorzüge seines thatkräftige» und stacitsklngen Vaters besaß, auch schien ein andrer Sohn Dose Muhammeds. Azim Chan, der als Gouverneur im Nord¬ westen des Landes lebte, den Europäern günstiger gesinnt zu sein als schir Ali, und so zögerte man mit der Anerkennung des letzteren volle sechs Monate, wodurch der Ehrgeiz und die Selbstsucht der Brüder des neuen Emirs Nahrung und den Antrieb erhielten, ihr Glück gegen denselben zu versuchen. Zuerst lehnte sich von denselben Afznl Chan auf, wurde aber geschlagen. Bald darauf, im April 1.864, empörte sich Azim, wurde jedoch vou seinen Truppen verlassen und mußte nach Indien flüchten, wo er internirt wurde. Nicht lange darauf wendete sich das Glück: nach einem Treffen bei Kandcchcir, das im Juni 1865 stattfand und in welchem Afznl siegte, ergriffe» einige mächtige Häuptlinge seine Partei, Azim begab sich unter Zulassung der Engländer zu ihm, und im Mai des nächsten Jahres schlüge» beide das Heer schir Alis in einer großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/117>, abgerufen am 22.07.2024.