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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die wenigsten schienen für Vitalicmo Interesse zu haben, doch notirte er
einzelne mit Geheimschrift in sein Taschenbuch.

Antonio Maria mußte dann über Dinge scheinbar gleichgiltiger Art Rede
stehen, die den Herzog, die Herzogin und ihre drei Kinder betrafen.

Auch darüber machte Vitalicmo kurze Notizen.

Ich war nämlich, sagte er dann, vor einigen Wochen, als die Pocken
in Venedig erst ausbrachen, so unvorsichtig gewesen, dem Herzog von einem
Rezept zu reden, das ein alter, in Venedig ansässiger griechischer Kapitän be¬
sitze -- Lasrciris heißt er -- und das unfehlbar gegen die Pocken schütze. Ich
sage: unvorsichtig, weil unser gnädiger Herr ja alles zur Unzeit thut und ich
mir hätte sagen können, er wird mich eines Tages nach Venedig hinüberpeit¬
schen, wenn das ganze Nest schon verpestet ist; nicht einen Tag früher, Ihr
wißt ja, wie er's treibt.

Der Lakai stimmte zu.

Damals war's noch ein Spaß mit der abscheulichen Seuche, und ich hatte
auch uoch eine gute Bekannte dort, bei der ich unbemerkt uuterschlüpfen konnte,
wäre also gern einmal wieder hinübergerittcn. Es lebt sich da ganz anders
lustig als in unsrer sauertöpfischen Festung. Ihr seid ja auch da gewesen,
zwei Winter, denk' ich.

Anderthalb.

Bei den Morosinis.

Verzeiht, bei den jüngern Moncenigos.

Nicht bei den Morosinis?

Der Lakai räumte ein, auch bei den Morosinis in Dienst gewesen zu sein,
aber nur vierzehn Tage. Er suchte sich herauszureden, er habe die Frage des
superiore auf die Herrschaft bezogen, in deren Dienst er anderthalb Jahre
gewesen sei.

Vitalicmo blickte ihn scharf an, aber nur mit einem seiner flüchtigen Seiten¬
blicke. Die Morosinis hielten es mit den Vuonaeolsis, sagte er; war es nicht
bei den Morosinis, wo Ihr die jetzige Kammerfrau des Fräuleins kennen
lerntet?

Die Friauleriu?

Ich denke, das Fräulein hat nur die eine.

Ganz richtig.

Also wozu erst die Frage? ?er vio, Ihr seid heute wunderlich schwer
von Begriffen. Was trinkt Ihr dort? Das muß Euch benebelt haben.

Nein, Signor superiore, der ist so gut wie man ihn mir wünschen kann,
sagte der Lakai, indem er sich an den Hinterkopf faßte, aber hier liegt mir's
seit ein paar Tagen wie Bleigewicht. Gut, daß es um doch ein probates
Mittel gegen die Pocken giebt, und daß Jhr's mitgebracht habt. Ich bin kein Hasen¬
fuß, aber besser ist besser, Signor Vitaliano, vorausgesetzt, Ihr müßt es nicht


Die wenigsten schienen für Vitalicmo Interesse zu haben, doch notirte er
einzelne mit Geheimschrift in sein Taschenbuch.

Antonio Maria mußte dann über Dinge scheinbar gleichgiltiger Art Rede
stehen, die den Herzog, die Herzogin und ihre drei Kinder betrafen.

Auch darüber machte Vitalicmo kurze Notizen.

Ich war nämlich, sagte er dann, vor einigen Wochen, als die Pocken
in Venedig erst ausbrachen, so unvorsichtig gewesen, dem Herzog von einem
Rezept zu reden, das ein alter, in Venedig ansässiger griechischer Kapitän be¬
sitze — Lasrciris heißt er — und das unfehlbar gegen die Pocken schütze. Ich
sage: unvorsichtig, weil unser gnädiger Herr ja alles zur Unzeit thut und ich
mir hätte sagen können, er wird mich eines Tages nach Venedig hinüberpeit¬
schen, wenn das ganze Nest schon verpestet ist; nicht einen Tag früher, Ihr
wißt ja, wie er's treibt.

Der Lakai stimmte zu.

Damals war's noch ein Spaß mit der abscheulichen Seuche, und ich hatte
auch uoch eine gute Bekannte dort, bei der ich unbemerkt uuterschlüpfen konnte,
wäre also gern einmal wieder hinübergerittcn. Es lebt sich da ganz anders
lustig als in unsrer sauertöpfischen Festung. Ihr seid ja auch da gewesen,
zwei Winter, denk' ich.

Anderthalb.

Bei den Morosinis.

Verzeiht, bei den jüngern Moncenigos.

Nicht bei den Morosinis?

Der Lakai räumte ein, auch bei den Morosinis in Dienst gewesen zu sein,
aber nur vierzehn Tage. Er suchte sich herauszureden, er habe die Frage des
superiore auf die Herrschaft bezogen, in deren Dienst er anderthalb Jahre
gewesen sei.

Vitalicmo blickte ihn scharf an, aber nur mit einem seiner flüchtigen Seiten¬
blicke. Die Morosinis hielten es mit den Vuonaeolsis, sagte er; war es nicht
bei den Morosinis, wo Ihr die jetzige Kammerfrau des Fräuleins kennen
lerntet?

Die Friauleriu?

Ich denke, das Fräulein hat nur die eine.

Ganz richtig.

Also wozu erst die Frage? ?er vio, Ihr seid heute wunderlich schwer
von Begriffen. Was trinkt Ihr dort? Das muß Euch benebelt haben.

Nein, Signor superiore, der ist so gut wie man ihn mir wünschen kann,
sagte der Lakai, indem er sich an den Hinterkopf faßte, aber hier liegt mir's
seit ein paar Tagen wie Bleigewicht. Gut, daß es um doch ein probates
Mittel gegen die Pocken giebt, und daß Jhr's mitgebracht habt. Ich bin kein Hasen¬
fuß, aber besser ist besser, Signor Vitaliano, vorausgesetzt, Ihr müßt es nicht


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[0101] Die wenigsten schienen für Vitalicmo Interesse zu haben, doch notirte er einzelne mit Geheimschrift in sein Taschenbuch. Antonio Maria mußte dann über Dinge scheinbar gleichgiltiger Art Rede stehen, die den Herzog, die Herzogin und ihre drei Kinder betrafen. Auch darüber machte Vitalicmo kurze Notizen. Ich war nämlich, sagte er dann, vor einigen Wochen, als die Pocken in Venedig erst ausbrachen, so unvorsichtig gewesen, dem Herzog von einem Rezept zu reden, das ein alter, in Venedig ansässiger griechischer Kapitän be¬ sitze — Lasrciris heißt er — und das unfehlbar gegen die Pocken schütze. Ich sage: unvorsichtig, weil unser gnädiger Herr ja alles zur Unzeit thut und ich mir hätte sagen können, er wird mich eines Tages nach Venedig hinüberpeit¬ schen, wenn das ganze Nest schon verpestet ist; nicht einen Tag früher, Ihr wißt ja, wie er's treibt. Der Lakai stimmte zu. Damals war's noch ein Spaß mit der abscheulichen Seuche, und ich hatte auch uoch eine gute Bekannte dort, bei der ich unbemerkt uuterschlüpfen konnte, wäre also gern einmal wieder hinübergerittcn. Es lebt sich da ganz anders lustig als in unsrer sauertöpfischen Festung. Ihr seid ja auch da gewesen, zwei Winter, denk' ich. Anderthalb. Bei den Morosinis. Verzeiht, bei den jüngern Moncenigos. Nicht bei den Morosinis? Der Lakai räumte ein, auch bei den Morosinis in Dienst gewesen zu sein, aber nur vierzehn Tage. Er suchte sich herauszureden, er habe die Frage des superiore auf die Herrschaft bezogen, in deren Dienst er anderthalb Jahre gewesen sei. Vitalicmo blickte ihn scharf an, aber nur mit einem seiner flüchtigen Seiten¬ blicke. Die Morosinis hielten es mit den Vuonaeolsis, sagte er; war es nicht bei den Morosinis, wo Ihr die jetzige Kammerfrau des Fräuleins kennen lerntet? Die Friauleriu? Ich denke, das Fräulein hat nur die eine. Ganz richtig. Also wozu erst die Frage? ?er vio, Ihr seid heute wunderlich schwer von Begriffen. Was trinkt Ihr dort? Das muß Euch benebelt haben. Nein, Signor superiore, der ist so gut wie man ihn mir wünschen kann, sagte der Lakai, indem er sich an den Hinterkopf faßte, aber hier liegt mir's seit ein paar Tagen wie Bleigewicht. Gut, daß es um doch ein probates Mittel gegen die Pocken giebt, und daß Jhr's mitgebracht habt. Ich bin kein Hasen¬ fuß, aber besser ist besser, Signor Vitaliano, vorausgesetzt, Ihr müßt es nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/101>, abgerufen am 22.07.2024.