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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus Ästerreich.

jeden Deutschösterreicher ohne Ausnahme aufbringt und die Zahl der Gegner des
Ministeriums mutwilligerweise verstärkt. Der Mann ist gewiß nach dem Herzen
der Tschechen, der österreichischen Negierung leistet er die schlechtesten Dienste,
und es ist nur zu wünschen, daß er die wiederholte Verleugnung sich zu Herzen
und -- seinen Abschied nehmen möge, wie es sich nicht bloß für einen "Ka¬
valier" ziemen würde.

Auch im übrigen hat das Jahr mit so grellen Dissonanzen abgeschlossen,
als hätte das Schicksal mahnend und warnend auf wunde Stellen den Finger
legen wollen. Die letzte größere Verhandlung im Ncichsrnte drehte sich um
Eisenbahnkonzessionen. Der Streit darüber, ob gewisse Strecken als Lokalbahnen
oder als Hauptbahnen anzusehen seien, und ob die Negierung mit deren Ver¬
gebung an eine Privatgesellschaft korrekt gehandelt habe oder nicht, hat für die
Leser dieser Zeitschrift geringes Interesse. Aber bedenklich ist, daß auch diesmal
wieder, wie noch jedesmal bei Erwähnung des angeblich begünstigten Instituts,
der Länderbank, nicht mißzuverstehende verdächtigende Andeutungen vorkamen,
und auch diesmal nicht in einer Art zurückgewiesen wurden, welche deren
Wiederholung ein für allemal ausgeschlossen haben würde.

Und zu allem Überflusse stehen wir abermals mitten in einem "Krach"
schlimmster Art. Schon im Sommer wußte man, daß das rapide Sinken der
Znckerpreise verhängnisvoll besonders für Böhmen werden müsse, wo die Spe¬
kulation sich mit blinder Leidenschaftlichkeit auf den Bau und die Verarbeitung
von Rüben geworfen hatte. Die Erwartung ist nicht getäuscht worden. Bereits
weist der Kurszettel in den Rubriken der Bank- und Jndustrieccktien lange Lücken
auf, die Böhmische Bodenkreditgesellschaft, welche jener Spekulation hauptsächlich
Vorschub geleistet hatte, ist zusammengebrochen, und selbstverständlich bleibt die
Wirkung weder auf das eine Kronland noch auf die eine Kategorie von Unter¬
nehmungen beschränkt. Nun kommt zu tage, daß Beamte der größten und
solidesten Geldinstitute sich dem allgemeingültigen Verbot zuwider in Börsenspiel
eingelassen, die thuen anvertrauten Kassen angegriffen haben, und es handelt
sich dabei zum Teil um kolossale Summen. Einzelne sind verhaftet, andre haben
sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen; fast jeder Tag bringt neue
Nachrichten derart aus Wien oder den Provinzen. So traurig das ist, wird
es doch von einer damit in Zusammenhang stehenden Erscheinung überboten:
dein Mangel an Rechts- und Anstandsgefühl in gewissen Schichten der Be¬
völkerung. Einer von den Vankbeamten, welche sich das Leben genommen haben,
hat eine genaue Aufzeichnung seiner Malversationen hinterlasse"; ein andrer, der
sich erschoß, als der Defekt von zwei und einer halben Million Gulden nicht
mehr zu verheimlichen war, bezeichnete einen dritten als an seinem "Unglück"
schuldig, gab aber nicht die mindeste Aufklärung über das Verbleiben der
Papiere aus den Depots u. s. w. Und gerade für diesen Menschen sucht man
Stimmung zu machen. Da wird erzählt, daß er jeden Morgen vor dem


Aus Ästerreich.

jeden Deutschösterreicher ohne Ausnahme aufbringt und die Zahl der Gegner des
Ministeriums mutwilligerweise verstärkt. Der Mann ist gewiß nach dem Herzen
der Tschechen, der österreichischen Negierung leistet er die schlechtesten Dienste,
und es ist nur zu wünschen, daß er die wiederholte Verleugnung sich zu Herzen
und — seinen Abschied nehmen möge, wie es sich nicht bloß für einen „Ka¬
valier" ziemen würde.

Auch im übrigen hat das Jahr mit so grellen Dissonanzen abgeschlossen,
als hätte das Schicksal mahnend und warnend auf wunde Stellen den Finger
legen wollen. Die letzte größere Verhandlung im Ncichsrnte drehte sich um
Eisenbahnkonzessionen. Der Streit darüber, ob gewisse Strecken als Lokalbahnen
oder als Hauptbahnen anzusehen seien, und ob die Negierung mit deren Ver¬
gebung an eine Privatgesellschaft korrekt gehandelt habe oder nicht, hat für die
Leser dieser Zeitschrift geringes Interesse. Aber bedenklich ist, daß auch diesmal
wieder, wie noch jedesmal bei Erwähnung des angeblich begünstigten Instituts,
der Länderbank, nicht mißzuverstehende verdächtigende Andeutungen vorkamen,
und auch diesmal nicht in einer Art zurückgewiesen wurden, welche deren
Wiederholung ein für allemal ausgeschlossen haben würde.

Und zu allem Überflusse stehen wir abermals mitten in einem „Krach"
schlimmster Art. Schon im Sommer wußte man, daß das rapide Sinken der
Znckerpreise verhängnisvoll besonders für Böhmen werden müsse, wo die Spe¬
kulation sich mit blinder Leidenschaftlichkeit auf den Bau und die Verarbeitung
von Rüben geworfen hatte. Die Erwartung ist nicht getäuscht worden. Bereits
weist der Kurszettel in den Rubriken der Bank- und Jndustrieccktien lange Lücken
auf, die Böhmische Bodenkreditgesellschaft, welche jener Spekulation hauptsächlich
Vorschub geleistet hatte, ist zusammengebrochen, und selbstverständlich bleibt die
Wirkung weder auf das eine Kronland noch auf die eine Kategorie von Unter¬
nehmungen beschränkt. Nun kommt zu tage, daß Beamte der größten und
solidesten Geldinstitute sich dem allgemeingültigen Verbot zuwider in Börsenspiel
eingelassen, die thuen anvertrauten Kassen angegriffen haben, und es handelt
sich dabei zum Teil um kolossale Summen. Einzelne sind verhaftet, andre haben
sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen; fast jeder Tag bringt neue
Nachrichten derart aus Wien oder den Provinzen. So traurig das ist, wird
es doch von einer damit in Zusammenhang stehenden Erscheinung überboten:
dein Mangel an Rechts- und Anstandsgefühl in gewissen Schichten der Be¬
völkerung. Einer von den Vankbeamten, welche sich das Leben genommen haben,
hat eine genaue Aufzeichnung seiner Malversationen hinterlasse»; ein andrer, der
sich erschoß, als der Defekt von zwei und einer halben Million Gulden nicht
mehr zu verheimlichen war, bezeichnete einen dritten als an seinem „Unglück"
schuldig, gab aber nicht die mindeste Aufklärung über das Verbleiben der
Papiere aus den Depots u. s. w. Und gerade für diesen Menschen sucht man
Stimmung zu machen. Da wird erzählt, daß er jeden Morgen vor dem


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[0071] Aus Ästerreich. jeden Deutschösterreicher ohne Ausnahme aufbringt und die Zahl der Gegner des Ministeriums mutwilligerweise verstärkt. Der Mann ist gewiß nach dem Herzen der Tschechen, der österreichischen Negierung leistet er die schlechtesten Dienste, und es ist nur zu wünschen, daß er die wiederholte Verleugnung sich zu Herzen und — seinen Abschied nehmen möge, wie es sich nicht bloß für einen „Ka¬ valier" ziemen würde. Auch im übrigen hat das Jahr mit so grellen Dissonanzen abgeschlossen, als hätte das Schicksal mahnend und warnend auf wunde Stellen den Finger legen wollen. Die letzte größere Verhandlung im Ncichsrnte drehte sich um Eisenbahnkonzessionen. Der Streit darüber, ob gewisse Strecken als Lokalbahnen oder als Hauptbahnen anzusehen seien, und ob die Negierung mit deren Ver¬ gebung an eine Privatgesellschaft korrekt gehandelt habe oder nicht, hat für die Leser dieser Zeitschrift geringes Interesse. Aber bedenklich ist, daß auch diesmal wieder, wie noch jedesmal bei Erwähnung des angeblich begünstigten Instituts, der Länderbank, nicht mißzuverstehende verdächtigende Andeutungen vorkamen, und auch diesmal nicht in einer Art zurückgewiesen wurden, welche deren Wiederholung ein für allemal ausgeschlossen haben würde. Und zu allem Überflusse stehen wir abermals mitten in einem „Krach" schlimmster Art. Schon im Sommer wußte man, daß das rapide Sinken der Znckerpreise verhängnisvoll besonders für Böhmen werden müsse, wo die Spe¬ kulation sich mit blinder Leidenschaftlichkeit auf den Bau und die Verarbeitung von Rüben geworfen hatte. Die Erwartung ist nicht getäuscht worden. Bereits weist der Kurszettel in den Rubriken der Bank- und Jndustrieccktien lange Lücken auf, die Böhmische Bodenkreditgesellschaft, welche jener Spekulation hauptsächlich Vorschub geleistet hatte, ist zusammengebrochen, und selbstverständlich bleibt die Wirkung weder auf das eine Kronland noch auf die eine Kategorie von Unter¬ nehmungen beschränkt. Nun kommt zu tage, daß Beamte der größten und solidesten Geldinstitute sich dem allgemeingültigen Verbot zuwider in Börsenspiel eingelassen, die thuen anvertrauten Kassen angegriffen haben, und es handelt sich dabei zum Teil um kolossale Summen. Einzelne sind verhaftet, andre haben sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen; fast jeder Tag bringt neue Nachrichten derart aus Wien oder den Provinzen. So traurig das ist, wird es doch von einer damit in Zusammenhang stehenden Erscheinung überboten: dein Mangel an Rechts- und Anstandsgefühl in gewissen Schichten der Be¬ völkerung. Einer von den Vankbeamten, welche sich das Leben genommen haben, hat eine genaue Aufzeichnung seiner Malversationen hinterlasse»; ein andrer, der sich erschoß, als der Defekt von zwei und einer halben Million Gulden nicht mehr zu verheimlichen war, bezeichnete einen dritten als an seinem „Unglück" schuldig, gab aber nicht die mindeste Aufklärung über das Verbleiben der Papiere aus den Depots u. s. w. Und gerade für diesen Menschen sucht man Stimmung zu machen. Da wird erzählt, daß er jeden Morgen vor dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/71>, abgerufen am 22.07.2024.