Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.aber hatte man nichts andres in Bereitschaft als das neue Gesetzbuch. Das Kurze Zeit darauf schied Carmer aus dem Dienste. Auch uuter seinem Wenn wir dieses ganze überaus strebsame, von dem besten Willen geleitete "Die Geschichte sprach schließlich kein günstiges Urteil über die Proze߬ aber hatte man nichts andres in Bereitschaft als das neue Gesetzbuch. Das Kurze Zeit darauf schied Carmer aus dem Dienste. Auch uuter seinem Wenn wir dieses ganze überaus strebsame, von dem besten Willen geleitete „Die Geschichte sprach schließlich kein günstiges Urteil über die Proze߬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0680" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195356"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2629" prev="#ID_2628"> aber hatte man nichts andres in Bereitschaft als das neue Gesetzbuch. Das<lb/> konnten auch die bisherigen Gegner desselben nicht verkennen. Sie entschlossen<lb/> sich daher, seiner Einführung nicht länger zu widerstreben, und beschränkten sich<lb/> darauf, einzelne Mängel desselben zu bezeichnen. Auf dieser Grundlage fand<lb/> eine neue Bearbeitung statt. Einzelne Paragraphen wurden ausgeschieden oder<lb/> verändert, einige Lehren umgearbeitet. Verhältnismäßig waren dies nur wenige<lb/> Änderungen. Dem Ganzen wurde nun der Name „Allgemeines Landrecht" ge¬<lb/> geben. Am 5. Februar 1794 vollzog der König das Patent, wonach das Land¬<lb/> recht am 1. Juni 1794 in Kraft trat.</p><lb/> <p xml:id="ID_2630"> Kurze Zeit darauf schied Carmer aus dem Dienste. Auch uuter seinem<lb/> Nachfolger Goldbeck war Svarez uoch mehrere Jahre thätig, wenn auch mit<lb/> minder bedeutenden Arbeite» beschäftigt. Aber schon am 14. Mai 1798 starb<lb/> er, noch nicht dreiundfünfzig Jahre alt. Eine interessante Episode seines Lebens<lb/> hatte auch darin bestanden, daß er während des Jahres 1791 dem da¬<lb/> maligen Kronprinzen — spätern König Friedrich Wilhelm dem Dritten — rechts-<lb/> wissenschaftliche Vorträge zu halten hatte. Die Berichte, welche Stölzel darüber<lb/> giebt, gewähren tiefere Einblicke in die Anschauungen, welche das Leben des<lb/> Mannes beherrschten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2631"> Wenn wir dieses ganze überaus strebsame, von dem besten Willen geleitete<lb/> und auch wirkungsreiche Leben überblicken, so werden wir unwillkürlich zu der<lb/> Frage geführt: Welches waren denn nun die Erfolge dieser wirksamen Thätig¬<lb/> keit? Sind die reichen Hoffnungen, welche die Schöpfer jener Gesetzwerke und<lb/> mit ihnen unzählige andre an diese Schöpfung knüpften, auch in Erfüllung ge¬<lb/> gangen? Leider ist diese Frage, wie auch Stölzel anerkennt, nicht unbedingt<lb/> zu bejahen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2632" next="#ID_2633"> „Die Geschichte sprach schließlich kein günstiges Urteil über die Proze߬<lb/> reform." Die Einführung des Offizialprinzips war ein verhängnisvoller Irrtum,<lb/> weil es Menschen voraussetzte, wie sie nicht existiren. Lange hat die preußische<lb/> Rechtsprechung unter diesem Irrtum gelitten. Dennoch sind die Verdienste des<lb/> damals geschaffenen Prozesses um die deutsche Rechtsentwicklung unverkennbar.<lb/> Er brach vor allem mit dem rechtskräftigen Beweisinterlokut, dieser traurigen<lb/> Institution des gemeinen Prozesses, und zwar so gründlich, daß selbst Minister<lb/> Leonhardt, so sehr er auch Neigung dazu spürte, dasselbe nicht wieder in den<lb/> deutscheu Prozeß hineinbringen konnte. Und wenn wir auch heute noch an¬<lb/> erkennen, daß der Richter nicht mit absoluter Passivität den Verhandlungen der<lb/> Parteien gegenüberstehen soll, wenn wir es als eine wertvolle Errungenschaft<lb/> ansehen, daß der Zivilprozeß ein Stadium bietet, wo der Richter innerhalb der<lb/> Verhandlungsmaxime durch Erläuterungsfragen auf Klarstellung der Sache hin¬<lb/> wirken soll — denn das ist das eigentlich Wertvolle der mündlichen Verhand¬<lb/> lung —, so liegt darin das aus dem preußischen Prozeß überkommene ge¬<lb/> sunde Element der Offizialmaxime, welche nur durch die Erhebung zum</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0680]
aber hatte man nichts andres in Bereitschaft als das neue Gesetzbuch. Das
konnten auch die bisherigen Gegner desselben nicht verkennen. Sie entschlossen
sich daher, seiner Einführung nicht länger zu widerstreben, und beschränkten sich
darauf, einzelne Mängel desselben zu bezeichnen. Auf dieser Grundlage fand
eine neue Bearbeitung statt. Einzelne Paragraphen wurden ausgeschieden oder
verändert, einige Lehren umgearbeitet. Verhältnismäßig waren dies nur wenige
Änderungen. Dem Ganzen wurde nun der Name „Allgemeines Landrecht" ge¬
geben. Am 5. Februar 1794 vollzog der König das Patent, wonach das Land¬
recht am 1. Juni 1794 in Kraft trat.
Kurze Zeit darauf schied Carmer aus dem Dienste. Auch uuter seinem
Nachfolger Goldbeck war Svarez uoch mehrere Jahre thätig, wenn auch mit
minder bedeutenden Arbeite» beschäftigt. Aber schon am 14. Mai 1798 starb
er, noch nicht dreiundfünfzig Jahre alt. Eine interessante Episode seines Lebens
hatte auch darin bestanden, daß er während des Jahres 1791 dem da¬
maligen Kronprinzen — spätern König Friedrich Wilhelm dem Dritten — rechts-
wissenschaftliche Vorträge zu halten hatte. Die Berichte, welche Stölzel darüber
giebt, gewähren tiefere Einblicke in die Anschauungen, welche das Leben des
Mannes beherrschten.
Wenn wir dieses ganze überaus strebsame, von dem besten Willen geleitete
und auch wirkungsreiche Leben überblicken, so werden wir unwillkürlich zu der
Frage geführt: Welches waren denn nun die Erfolge dieser wirksamen Thätig¬
keit? Sind die reichen Hoffnungen, welche die Schöpfer jener Gesetzwerke und
mit ihnen unzählige andre an diese Schöpfung knüpften, auch in Erfüllung ge¬
gangen? Leider ist diese Frage, wie auch Stölzel anerkennt, nicht unbedingt
zu bejahen.
„Die Geschichte sprach schließlich kein günstiges Urteil über die Proze߬
reform." Die Einführung des Offizialprinzips war ein verhängnisvoller Irrtum,
weil es Menschen voraussetzte, wie sie nicht existiren. Lange hat die preußische
Rechtsprechung unter diesem Irrtum gelitten. Dennoch sind die Verdienste des
damals geschaffenen Prozesses um die deutsche Rechtsentwicklung unverkennbar.
Er brach vor allem mit dem rechtskräftigen Beweisinterlokut, dieser traurigen
Institution des gemeinen Prozesses, und zwar so gründlich, daß selbst Minister
Leonhardt, so sehr er auch Neigung dazu spürte, dasselbe nicht wieder in den
deutscheu Prozeß hineinbringen konnte. Und wenn wir auch heute noch an¬
erkennen, daß der Richter nicht mit absoluter Passivität den Verhandlungen der
Parteien gegenüberstehen soll, wenn wir es als eine wertvolle Errungenschaft
ansehen, daß der Zivilprozeß ein Stadium bietet, wo der Richter innerhalb der
Verhandlungsmaxime durch Erläuterungsfragen auf Klarstellung der Sache hin¬
wirken soll — denn das ist das eigentlich Wertvolle der mündlichen Verhand¬
lung —, so liegt darin das aus dem preußischen Prozeß überkommene ge¬
sunde Element der Offizialmaxime, welche nur durch die Erhebung zum
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