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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Karl der Fünfte und die deutsche Nation.

Bindemittel seiner weitzerstreuten Länder in der Einheit des Glaubens sah.
Die Unterstützung nationaler Kirchenbildungen vertrug sich nicht mit dem weit¬
umfassenden spanischen System, dessen geistiger Vater nicht erst Philipp der
Zweite war, sondern Karl der Fünfte. Gelangte in Deutschland die Reformation
zum Siege, so ließ es sich nicht mehr im spanischen Geiste regieren. Entweder
mußten alle Länder, die er leiten wollte, protestantisch werden oder alle katholisch
bleiben; ein drittes gab es nicht. Da das erste schlechterdings undenkbar war,
so galt es alle Segel aufzuspannen, um das zweite Ziel zu erreichen.

Von diesem Gesichtspunkte aus aber muß man sagen: es gestaltete sich die
Lage unsrer Nation im zweiten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts geradezu
tragisch. Mit allen Fasern ihres Wesens strebte sie eine Erneuerung ihres
kirchlichen Lebens auf rein nationaler Grundlage zu erstreite", mit allen Fasern
seines Wesens setzte sich ihr erwähltes Oberhaupt diesem Streben entgegen. Nach
zwei Jahren schon war der Bruch zwischen der zweifellosen Mehrheit der
deutschen Nation und ihrem jungen Kuiser offenkundig; Hütten fing an, "sich
allmählich seines Vaterlandes zu schämen;" er, der nichts hatte als sein Schwert
und seine Feder, ließ dem Kaiser die Annahme des Jahrcssoldes aussagen, mit
dem man ihn an goldner Kette zu halten meinte. Eine Verbindung hatte die
deutsche Nation mit Karl dem Fünften geschlossen, die sich als eine unglückliche
Ehe, als ein ungeheurer Mißgriff erwies. Und doch war es ein Unding ge¬
wesen, wenn man 1519 an die Wahl des Kurfürsten von Sachsen oder an die
des Brandenburgers gedacht hatte. Es gab damals nur die Wahl zwischen dem
Franzosen und dem halb burgundischen, halb kaftiliauischen Habsburger. Wäre
aber die erste Wahl sicherlich verderblich gewesen, so war es die zweite nicht
minder; die religiöse Einheit unsers Volkes ist der Preis, den wir für die
Kaiserwahl von 1619 zu entrichten hatten; denn ohne Frage wäre es möglich
gewesen, diese Einheit durch Fortentwicklung der reformatorischen Bewegung
binnen kurzer Zeit zu vollenden. Der es verhindert hat, ist Karl der Fünfte
gewesen. Wohl begreift man, wie Luis d'Avila unter eine Büste Karls des
Fünften, die er zwischen Augustus und Antonius stellte, die Worte schreiben
konnte: "Karl der Fünfte. Dieser Name sagt genug." Uns Deutschen krampft
es vielleicht das Herz zusammen, daß die Dinge so gegangen sind, und doch
erstirbt uus jedes Wort der Anklage und des Tadels ans den Lippen, wenn
wir erwägen: dieser Kaiser konnte nicht anders handeln, als er gehandelt hat;
die bekannte Kritik Napoleons träfe nnr dann zu, wenn Karl der Fünfte lediglich
oder auch nur in erster Linie der Vertreter deutscher Interessen gewesen wäre.

Die furchtbarste, ja die einzig wirkliche Tragödie ist die, wo beide Teile in
ihrem Rechte sind, Kreon und Antigone, Hagen und Krimhild, wo das Schlacht¬
schwert, wo die Gewalt allein entscheiden kann, und der grelle Mißton des
Schlusses durch den Jubelschrei des Siegers nur verschärft wird. Darum ziemt
es uns, mit Dank vor dem Allerhöchsten uns zu neigen, der unserm Volke


Karl der Fünfte und die deutsche Nation.

Bindemittel seiner weitzerstreuten Länder in der Einheit des Glaubens sah.
Die Unterstützung nationaler Kirchenbildungen vertrug sich nicht mit dem weit¬
umfassenden spanischen System, dessen geistiger Vater nicht erst Philipp der
Zweite war, sondern Karl der Fünfte. Gelangte in Deutschland die Reformation
zum Siege, so ließ es sich nicht mehr im spanischen Geiste regieren. Entweder
mußten alle Länder, die er leiten wollte, protestantisch werden oder alle katholisch
bleiben; ein drittes gab es nicht. Da das erste schlechterdings undenkbar war,
so galt es alle Segel aufzuspannen, um das zweite Ziel zu erreichen.

Von diesem Gesichtspunkte aus aber muß man sagen: es gestaltete sich die
Lage unsrer Nation im zweiten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts geradezu
tragisch. Mit allen Fasern ihres Wesens strebte sie eine Erneuerung ihres
kirchlichen Lebens auf rein nationaler Grundlage zu erstreite», mit allen Fasern
seines Wesens setzte sich ihr erwähltes Oberhaupt diesem Streben entgegen. Nach
zwei Jahren schon war der Bruch zwischen der zweifellosen Mehrheit der
deutschen Nation und ihrem jungen Kuiser offenkundig; Hütten fing an, „sich
allmählich seines Vaterlandes zu schämen;" er, der nichts hatte als sein Schwert
und seine Feder, ließ dem Kaiser die Annahme des Jahrcssoldes aussagen, mit
dem man ihn an goldner Kette zu halten meinte. Eine Verbindung hatte die
deutsche Nation mit Karl dem Fünften geschlossen, die sich als eine unglückliche
Ehe, als ein ungeheurer Mißgriff erwies. Und doch war es ein Unding ge¬
wesen, wenn man 1519 an die Wahl des Kurfürsten von Sachsen oder an die
des Brandenburgers gedacht hatte. Es gab damals nur die Wahl zwischen dem
Franzosen und dem halb burgundischen, halb kaftiliauischen Habsburger. Wäre
aber die erste Wahl sicherlich verderblich gewesen, so war es die zweite nicht
minder; die religiöse Einheit unsers Volkes ist der Preis, den wir für die
Kaiserwahl von 1619 zu entrichten hatten; denn ohne Frage wäre es möglich
gewesen, diese Einheit durch Fortentwicklung der reformatorischen Bewegung
binnen kurzer Zeit zu vollenden. Der es verhindert hat, ist Karl der Fünfte
gewesen. Wohl begreift man, wie Luis d'Avila unter eine Büste Karls des
Fünften, die er zwischen Augustus und Antonius stellte, die Worte schreiben
konnte: „Karl der Fünfte. Dieser Name sagt genug." Uns Deutschen krampft
es vielleicht das Herz zusammen, daß die Dinge so gegangen sind, und doch
erstirbt uus jedes Wort der Anklage und des Tadels ans den Lippen, wenn
wir erwägen: dieser Kaiser konnte nicht anders handeln, als er gehandelt hat;
die bekannte Kritik Napoleons träfe nnr dann zu, wenn Karl der Fünfte lediglich
oder auch nur in erster Linie der Vertreter deutscher Interessen gewesen wäre.

Die furchtbarste, ja die einzig wirkliche Tragödie ist die, wo beide Teile in
ihrem Rechte sind, Kreon und Antigone, Hagen und Krimhild, wo das Schlacht¬
schwert, wo die Gewalt allein entscheiden kann, und der grelle Mißton des
Schlusses durch den Jubelschrei des Siegers nur verschärft wird. Darum ziemt
es uns, mit Dank vor dem Allerhöchsten uns zu neigen, der unserm Volke


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[0674] Karl der Fünfte und die deutsche Nation. Bindemittel seiner weitzerstreuten Länder in der Einheit des Glaubens sah. Die Unterstützung nationaler Kirchenbildungen vertrug sich nicht mit dem weit¬ umfassenden spanischen System, dessen geistiger Vater nicht erst Philipp der Zweite war, sondern Karl der Fünfte. Gelangte in Deutschland die Reformation zum Siege, so ließ es sich nicht mehr im spanischen Geiste regieren. Entweder mußten alle Länder, die er leiten wollte, protestantisch werden oder alle katholisch bleiben; ein drittes gab es nicht. Da das erste schlechterdings undenkbar war, so galt es alle Segel aufzuspannen, um das zweite Ziel zu erreichen. Von diesem Gesichtspunkte aus aber muß man sagen: es gestaltete sich die Lage unsrer Nation im zweiten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts geradezu tragisch. Mit allen Fasern ihres Wesens strebte sie eine Erneuerung ihres kirchlichen Lebens auf rein nationaler Grundlage zu erstreite», mit allen Fasern seines Wesens setzte sich ihr erwähltes Oberhaupt diesem Streben entgegen. Nach zwei Jahren schon war der Bruch zwischen der zweifellosen Mehrheit der deutschen Nation und ihrem jungen Kuiser offenkundig; Hütten fing an, „sich allmählich seines Vaterlandes zu schämen;" er, der nichts hatte als sein Schwert und seine Feder, ließ dem Kaiser die Annahme des Jahrcssoldes aussagen, mit dem man ihn an goldner Kette zu halten meinte. Eine Verbindung hatte die deutsche Nation mit Karl dem Fünften geschlossen, die sich als eine unglückliche Ehe, als ein ungeheurer Mißgriff erwies. Und doch war es ein Unding ge¬ wesen, wenn man 1519 an die Wahl des Kurfürsten von Sachsen oder an die des Brandenburgers gedacht hatte. Es gab damals nur die Wahl zwischen dem Franzosen und dem halb burgundischen, halb kaftiliauischen Habsburger. Wäre aber die erste Wahl sicherlich verderblich gewesen, so war es die zweite nicht minder; die religiöse Einheit unsers Volkes ist der Preis, den wir für die Kaiserwahl von 1619 zu entrichten hatten; denn ohne Frage wäre es möglich gewesen, diese Einheit durch Fortentwicklung der reformatorischen Bewegung binnen kurzer Zeit zu vollenden. Der es verhindert hat, ist Karl der Fünfte gewesen. Wohl begreift man, wie Luis d'Avila unter eine Büste Karls des Fünften, die er zwischen Augustus und Antonius stellte, die Worte schreiben konnte: „Karl der Fünfte. Dieser Name sagt genug." Uns Deutschen krampft es vielleicht das Herz zusammen, daß die Dinge so gegangen sind, und doch erstirbt uus jedes Wort der Anklage und des Tadels ans den Lippen, wenn wir erwägen: dieser Kaiser konnte nicht anders handeln, als er gehandelt hat; die bekannte Kritik Napoleons träfe nnr dann zu, wenn Karl der Fünfte lediglich oder auch nur in erster Linie der Vertreter deutscher Interessen gewesen wäre. Die furchtbarste, ja die einzig wirkliche Tragödie ist die, wo beide Teile in ihrem Rechte sind, Kreon und Antigone, Hagen und Krimhild, wo das Schlacht¬ schwert, wo die Gewalt allein entscheiden kann, und der grelle Mißton des Schlusses durch den Jubelschrei des Siegers nur verschärft wird. Darum ziemt es uns, mit Dank vor dem Allerhöchsten uns zu neigen, der unserm Volke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/674>, abgerufen am 22.07.2024.