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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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wird, die leichte heimische Erwerbsart gegen das harte Seeyandwerk zu ver¬
tauschen. Der Sinn des Volkes ist so sehr als der kaum eines andern Volkes
nu die endlose" Flächen seines Landes gebunden; . . , eine starke instinktive
Scheu entfernt den Russen heute wie vor zweihundert Jahren gerade von den
Kulturvölkern Europas. So wenig es einem Attila gelungen wäre, aus seinen
Hunnen Seefahrer zu machen, so wenig konnte Peter seine Russen dazu um¬
bilden." Ebenso wie mit seiner Flotte erstrebte der Zar mit seiner Vergrößerung
des Heeres das Ziel, der Herr eines unter den europäischen Staaten hervor¬
ragenden Reiches zu werden, ans unnatürliche, den Verhältnissen nicht ent¬
sprechende Weise. Ein Naturvolk mag die Notwendigkeit empfinden, sich neue
Weiden oder Äcker zu verschaffen. Ein Kulturvolk nniß, nachdem es sich innerlich
konsolidirt und Kräfte gesammelt, uach außen drängen, um Boden für die Ver¬
wendung dieser Kräfte zu erobern. Das Rußland Peters war weder in jenem
noch in diesem Falle. Es hatte nnr seine Grenzen zu schützen gegen Polen
und Tataren, die damals beide nicht mehr sehr zu fürchten waren. Statt
dessen begann aber Peter einen europäischen Eroberungskrieg und drang andrer¬
seits gegen Persien vor. Er lenkte damit in die Politik der Zersplitterung der
spärlichen Knltnrträfte Rußlands ein, die seit ihm an der Tagesordnung ge¬
wesen ist, er bemühte sich, ein Reich z" vergrößern, dessen Schwäche schon da¬
mals in seiner großen Ausdehnung bestand. Ein Land und Volk ohne alle
Kultur, das sich gleich den Horden des Dschingiskhan ausbreitete, konnte sich
so wenig wie diese der intensiven innern Arbeit zuwenden, da seine Kraft
immer wieder über die eigentlichen Grenzen hinaus zur Eroberung und zur
Erhaltung des Eroberte" verbraucht wurde. "Mit einem Volke, so roh, wie
Peter das großrussische vorfand, einen Kulturstaat und zugleich einen eroberten
Staat gründen wollen, hieß mit der einen Hand zerstören, was die andre auf¬
baute." Die kleinsten Knltnrkeimc mußte er ans der Fremde holen oder mühsam
sich erst im Lande vorbereiten, und zugleich verwendete er sie wieder nach außen
hin. Mit schweren Opfern schaffte er die Werkzeuge herbei, mit denen sich in
seinem Reiche Ordnung, Arbeit und Erwerb, Wohlstand und Gesittung fördern
ließen, und zu derselben Zeit verrichtete er das alles durch Anspannung und
Ausnutzung der letzten Kräfte in Kämpfen jenseits der Grenzen. Als Peter
hier Erfolge errungen hatte und sich den Fürsten des Westens für ebenbürtig
halten konnte, erwies sich diese neue Stellung seines Reiches sehr bald als ein
Unheil. Es sollte nur in der Stanteufamilie Europas anführende Macht
sein, ohne die Kräfte dazu zu besitzen. Es übernahm die Sorge um Dinge,
die, seinen wirklichen eignen Interessen fernliegend, nnr zur Befriedigung von
Ehrgeiz und Machtgier dienen konnten. Rußland hatte fortan den kostspieligen
Apparat einer europäischen Großmacht zu bezahlen, seine beste Kraft einer Po¬
litik zu opfern, die ihm lediglich sein Ansehen im Westen zu erhalten bemüht
war, und, da es noch in den Anfängen der Kultur sich befand, den Mangel


Grmzbotn! I. 1885. 79

wird, die leichte heimische Erwerbsart gegen das harte Seeyandwerk zu ver¬
tauschen. Der Sinn des Volkes ist so sehr als der kaum eines andern Volkes
nu die endlose« Flächen seines Landes gebunden; . . , eine starke instinktive
Scheu entfernt den Russen heute wie vor zweihundert Jahren gerade von den
Kulturvölkern Europas. So wenig es einem Attila gelungen wäre, aus seinen
Hunnen Seefahrer zu machen, so wenig konnte Peter seine Russen dazu um¬
bilden." Ebenso wie mit seiner Flotte erstrebte der Zar mit seiner Vergrößerung
des Heeres das Ziel, der Herr eines unter den europäischen Staaten hervor¬
ragenden Reiches zu werden, ans unnatürliche, den Verhältnissen nicht ent¬
sprechende Weise. Ein Naturvolk mag die Notwendigkeit empfinden, sich neue
Weiden oder Äcker zu verschaffen. Ein Kulturvolk nniß, nachdem es sich innerlich
konsolidirt und Kräfte gesammelt, uach außen drängen, um Boden für die Ver¬
wendung dieser Kräfte zu erobern. Das Rußland Peters war weder in jenem
noch in diesem Falle. Es hatte nnr seine Grenzen zu schützen gegen Polen
und Tataren, die damals beide nicht mehr sehr zu fürchten waren. Statt
dessen begann aber Peter einen europäischen Eroberungskrieg und drang andrer¬
seits gegen Persien vor. Er lenkte damit in die Politik der Zersplitterung der
spärlichen Knltnrträfte Rußlands ein, die seit ihm an der Tagesordnung ge¬
wesen ist, er bemühte sich, ein Reich z» vergrößern, dessen Schwäche schon da¬
mals in seiner großen Ausdehnung bestand. Ein Land und Volk ohne alle
Kultur, das sich gleich den Horden des Dschingiskhan ausbreitete, konnte sich
so wenig wie diese der intensiven innern Arbeit zuwenden, da seine Kraft
immer wieder über die eigentlichen Grenzen hinaus zur Eroberung und zur
Erhaltung des Eroberte« verbraucht wurde. „Mit einem Volke, so roh, wie
Peter das großrussische vorfand, einen Kulturstaat und zugleich einen eroberten
Staat gründen wollen, hieß mit der einen Hand zerstören, was die andre auf¬
baute." Die kleinsten Knltnrkeimc mußte er ans der Fremde holen oder mühsam
sich erst im Lande vorbereiten, und zugleich verwendete er sie wieder nach außen
hin. Mit schweren Opfern schaffte er die Werkzeuge herbei, mit denen sich in
seinem Reiche Ordnung, Arbeit und Erwerb, Wohlstand und Gesittung fördern
ließen, und zu derselben Zeit verrichtete er das alles durch Anspannung und
Ausnutzung der letzten Kräfte in Kämpfen jenseits der Grenzen. Als Peter
hier Erfolge errungen hatte und sich den Fürsten des Westens für ebenbürtig
halten konnte, erwies sich diese neue Stellung seines Reiches sehr bald als ein
Unheil. Es sollte nur in der Stanteufamilie Europas anführende Macht
sein, ohne die Kräfte dazu zu besitzen. Es übernahm die Sorge um Dinge,
die, seinen wirklichen eignen Interessen fernliegend, nnr zur Befriedigung von
Ehrgeiz und Machtgier dienen konnten. Rußland hatte fortan den kostspieligen
Apparat einer europäischen Großmacht zu bezahlen, seine beste Kraft einer Po¬
litik zu opfern, die ihm lediglich sein Ansehen im Westen zu erhalten bemüht
war, und, da es noch in den Anfängen der Kultur sich befand, den Mangel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/637>, abgerufen am 23.07.2024.