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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Peter der Große in neuer Beleuchtung.

werkers als von der Erfindungskraft des Künstlers, sie erinnerte mehr an einen
thätigen Unterbeamten als an einen großen Staatsmann. Seine Findigkeit im
Aufsuchen der erforderlichen Mittel, im Ersinner neuer Pläne und Anordnungen
war erstaunlich, aber vieles davon war unausführbar, vieles unnütz, manches
geradezu schädlich. "Und welche Verwirrung, welches Elend richteten die meisten
derselben an, weil sie urteilslose Nachahmungen fremder Vorbilder waren, weil
sie äußere Zwecke verfolgten, ohne die innere Möglichkeit zu erwägen, weil sie
einander wechselsweise aufhoben oder lähmten und, ohne tieferes Verständnis
entworfen, mich ohne solches Verständnis vom Volk aufgenommen wurden."
Schwerlich hätte sich ein andres Volk Europas als das durch Charakter und
eine lange Leidensgeschichte Willensschwäche russische bieten lassen, was Peter ihm
bot. Fast immer verstießen seine Unternehmungen gegen die ältesten und mäch¬
tigsten Anschauungen und Gewohnheiten des Volkes, und mit brutaler Energie
zwang er es in die Formen seiner europäischen Ideale hinein, nachdem er sich
nach Niederwerfung der Streichen und Bojaren, sowie durch Brechung der Macht
der Kirche zum unumschränkten Gebieter gemacht hatte.

Beim Stapcllauf eines Schiffes in Petersburg sagte der Zar nach einem
Rückblick ans seine dreißigjährige Ncgenteimrbeit u. a.: "Die Geschichte ver¬
legt die Wiege aller Wissenschaften nach Griechenland, von wo sie nach Italien
hinnbergingen. Von da breiteten sie sich über das übrige Europa aus, drangen
aber wegen der Rohheit unsrer Vorfahren nicht zu uns. Jetzt ist auch an uns
die Reihe gekommen, mit der Zeit werden, wie mir scheint, die Wissenschaften
ihren Sitz in England, Frankreich und Deutschland aufgeben und nach Nu߬
land kommen-- Hoffen wir, daß wir in unserm Jahrhunderte die andern Knltnc-
lünder beschämen und den russischen Namen auf die höchste Stufe des Ruhmes
erheben werden." Das war eine stolze Rede, aber eine flache Auffassung des
Wesens der menschlichen Kultur. Weil Peter äußere Formen der letzteren in
Müsse impvrtirt hatte, meinte er sie sell'se gewonnen zu haben. Seine Ab¬
sichten waren gut und groß. Mit seinen Zeitgenossen Karl von Schweden und
Ludwig von Frankreich verglichen, war er selbstloser wie diese, stand ihm nicht
wie ihnen seine Person, sondern sein Land und Volk in erster Reihe. Sein
Wollen war groß, und groß auch die Energie, mit der er es zu verwirkliche,,
strebte, aber er verstand sein Ziel nicht genügend, er war selbst zu wenig tul-
twirt, um die Kultur Europas ganz zu begreife" und zu würdigen. Er sah
uur deren Oberfläche, ihn entzückten die Wirkungen, ohne daß er in die Ursachen
einzudringen vermochte, er erkannte leicht die praktischen Vorzüge europäischer
Menschen und Dinge, aber für die intellektuellen und moralischen Voraus¬
setzungen der Kulturarbeit besaß er wenig Verständnis. "Ein so vortrefflicher
Ingenieur er geworden wäre, ein so vollkommener Schiffsrheder, so genügte
sein technisches, praktisches Talent doch nicht, um die ethischen Kräfte eines
Volles in organische Bewegung zu setzen." Selbst die entschiedensten Verehrer


Peter der Große in neuer Beleuchtung.

werkers als von der Erfindungskraft des Künstlers, sie erinnerte mehr an einen
thätigen Unterbeamten als an einen großen Staatsmann. Seine Findigkeit im
Aufsuchen der erforderlichen Mittel, im Ersinner neuer Pläne und Anordnungen
war erstaunlich, aber vieles davon war unausführbar, vieles unnütz, manches
geradezu schädlich. „Und welche Verwirrung, welches Elend richteten die meisten
derselben an, weil sie urteilslose Nachahmungen fremder Vorbilder waren, weil
sie äußere Zwecke verfolgten, ohne die innere Möglichkeit zu erwägen, weil sie
einander wechselsweise aufhoben oder lähmten und, ohne tieferes Verständnis
entworfen, mich ohne solches Verständnis vom Volk aufgenommen wurden."
Schwerlich hätte sich ein andres Volk Europas als das durch Charakter und
eine lange Leidensgeschichte Willensschwäche russische bieten lassen, was Peter ihm
bot. Fast immer verstießen seine Unternehmungen gegen die ältesten und mäch¬
tigsten Anschauungen und Gewohnheiten des Volkes, und mit brutaler Energie
zwang er es in die Formen seiner europäischen Ideale hinein, nachdem er sich
nach Niederwerfung der Streichen und Bojaren, sowie durch Brechung der Macht
der Kirche zum unumschränkten Gebieter gemacht hatte.

Beim Stapcllauf eines Schiffes in Petersburg sagte der Zar nach einem
Rückblick ans seine dreißigjährige Ncgenteimrbeit u. a.: „Die Geschichte ver¬
legt die Wiege aller Wissenschaften nach Griechenland, von wo sie nach Italien
hinnbergingen. Von da breiteten sie sich über das übrige Europa aus, drangen
aber wegen der Rohheit unsrer Vorfahren nicht zu uns. Jetzt ist auch an uns
die Reihe gekommen, mit der Zeit werden, wie mir scheint, die Wissenschaften
ihren Sitz in England, Frankreich und Deutschland aufgeben und nach Nu߬
land kommen— Hoffen wir, daß wir in unserm Jahrhunderte die andern Knltnc-
lünder beschämen und den russischen Namen auf die höchste Stufe des Ruhmes
erheben werden." Das war eine stolze Rede, aber eine flache Auffassung des
Wesens der menschlichen Kultur. Weil Peter äußere Formen der letzteren in
Müsse impvrtirt hatte, meinte er sie sell'se gewonnen zu haben. Seine Ab¬
sichten waren gut und groß. Mit seinen Zeitgenossen Karl von Schweden und
Ludwig von Frankreich verglichen, war er selbstloser wie diese, stand ihm nicht
wie ihnen seine Person, sondern sein Land und Volk in erster Reihe. Sein
Wollen war groß, und groß auch die Energie, mit der er es zu verwirkliche,,
strebte, aber er verstand sein Ziel nicht genügend, er war selbst zu wenig tul-
twirt, um die Kultur Europas ganz zu begreife» und zu würdigen. Er sah
uur deren Oberfläche, ihn entzückten die Wirkungen, ohne daß er in die Ursachen
einzudringen vermochte, er erkannte leicht die praktischen Vorzüge europäischer
Menschen und Dinge, aber für die intellektuellen und moralischen Voraus¬
setzungen der Kulturarbeit besaß er wenig Verständnis. „Ein so vortrefflicher
Ingenieur er geworden wäre, ein so vollkommener Schiffsrheder, so genügte
sein technisches, praktisches Talent doch nicht, um die ethischen Kräfte eines
Volles in organische Bewegung zu setzen." Selbst die entschiedensten Verehrer


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[0635] Peter der Große in neuer Beleuchtung. werkers als von der Erfindungskraft des Künstlers, sie erinnerte mehr an einen thätigen Unterbeamten als an einen großen Staatsmann. Seine Findigkeit im Aufsuchen der erforderlichen Mittel, im Ersinner neuer Pläne und Anordnungen war erstaunlich, aber vieles davon war unausführbar, vieles unnütz, manches geradezu schädlich. „Und welche Verwirrung, welches Elend richteten die meisten derselben an, weil sie urteilslose Nachahmungen fremder Vorbilder waren, weil sie äußere Zwecke verfolgten, ohne die innere Möglichkeit zu erwägen, weil sie einander wechselsweise aufhoben oder lähmten und, ohne tieferes Verständnis entworfen, mich ohne solches Verständnis vom Volk aufgenommen wurden." Schwerlich hätte sich ein andres Volk Europas als das durch Charakter und eine lange Leidensgeschichte Willensschwäche russische bieten lassen, was Peter ihm bot. Fast immer verstießen seine Unternehmungen gegen die ältesten und mäch¬ tigsten Anschauungen und Gewohnheiten des Volkes, und mit brutaler Energie zwang er es in die Formen seiner europäischen Ideale hinein, nachdem er sich nach Niederwerfung der Streichen und Bojaren, sowie durch Brechung der Macht der Kirche zum unumschränkten Gebieter gemacht hatte. Beim Stapcllauf eines Schiffes in Petersburg sagte der Zar nach einem Rückblick ans seine dreißigjährige Ncgenteimrbeit u. a.: „Die Geschichte ver¬ legt die Wiege aller Wissenschaften nach Griechenland, von wo sie nach Italien hinnbergingen. Von da breiteten sie sich über das übrige Europa aus, drangen aber wegen der Rohheit unsrer Vorfahren nicht zu uns. Jetzt ist auch an uns die Reihe gekommen, mit der Zeit werden, wie mir scheint, die Wissenschaften ihren Sitz in England, Frankreich und Deutschland aufgeben und nach Nu߬ land kommen— Hoffen wir, daß wir in unserm Jahrhunderte die andern Knltnc- lünder beschämen und den russischen Namen auf die höchste Stufe des Ruhmes erheben werden." Das war eine stolze Rede, aber eine flache Auffassung des Wesens der menschlichen Kultur. Weil Peter äußere Formen der letzteren in Müsse impvrtirt hatte, meinte er sie sell'se gewonnen zu haben. Seine Ab¬ sichten waren gut und groß. Mit seinen Zeitgenossen Karl von Schweden und Ludwig von Frankreich verglichen, war er selbstloser wie diese, stand ihm nicht wie ihnen seine Person, sondern sein Land und Volk in erster Reihe. Sein Wollen war groß, und groß auch die Energie, mit der er es zu verwirkliche,, strebte, aber er verstand sein Ziel nicht genügend, er war selbst zu wenig tul- twirt, um die Kultur Europas ganz zu begreife» und zu würdigen. Er sah uur deren Oberfläche, ihn entzückten die Wirkungen, ohne daß er in die Ursachen einzudringen vermochte, er erkannte leicht die praktischen Vorzüge europäischer Menschen und Dinge, aber für die intellektuellen und moralischen Voraus¬ setzungen der Kulturarbeit besaß er wenig Verständnis. „Ein so vortrefflicher Ingenieur er geworden wäre, ein so vollkommener Schiffsrheder, so genügte sein technisches, praktisches Talent doch nicht, um die ethischen Kräfte eines Volles in organische Bewegung zu setzen." Selbst die entschiedensten Verehrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/635>, abgerufen am 25.08.2024.