Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Peter der Große in neuer Beleuchtung. in das Volk gedrungen und wie hoch der Preis sei, den es für den europäischen Der Verfasser betrachtet zu diesem Zwecke zunächst in einer Einleitung die Peter der Große in neuer Beleuchtung. in das Volk gedrungen und wie hoch der Preis sei, den es für den europäischen Der Verfasser betrachtet zu diesem Zwecke zunächst in einer Einleitung die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0632" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195308"/> <fw type="header" place="top"> Peter der Große in neuer Beleuchtung.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2428" prev="#ID_2427"> in das Volk gedrungen und wie hoch der Preis sei, den es für den europäischen<lb/> Rock gezahlt hatte. Erst in der neuesten Zeit, wo Moskowien diesen Putz ab¬<lb/> zulegen aufing, begannen wir die russischen Dinge genauer zu erkennen, und vom<lb/> Standpunkte dieser Kenntnis aus ist unser Buch geschrieben. Der Verfasser<lb/> teilt nicht die Hoffnung der altrussischen Partei, ein durchgreifendes Heilmittel<lb/> zu finden, er glaubt nicht an die Ausführbarkeit der von ihr unternommenen<lb/> Rückbildung zum vorpetrinischen Staate, er sieht in ihren Meinungen vielfach<lb/> mißverständliche Auffassung dessen, was wirklich petrinisch und nichtpetriuisch<lb/> ist, ja er fürchtet, „daß dieses höchst kritiklose und leidenschaftliche Unternehmen<lb/> in nichts andres auslaufen wird als in schwere Schädigung der wirklichen<lb/> Kulturelemente, die sich manchenorts und besonders in den unrussischen Grenz¬<lb/> landen des Zarenreiches sOstsceprovinzen^ vorfinden, ohne dem Ganzen zugute<lb/> zu kommen." Dein ungeachtet scheint es ihm von Wert, das von der Partei<lb/> Katkvffs und AtsakvffS für bankerott erklärte bisherige Negierungsshstem, mit<lb/> Peter, dessen Begründer, anfangend, sorgfältiger als seither geschehen, zu prüfe»,<lb/> um daraus beurteilen zu können, wie tief die gegenwärtig immer deutlicher<lb/> werdenden großen Schäden in Volk und Staat wurzeln, welche Aussichten sich<lb/> für eine Heilung darbieten, oder ob zuletzt überhaupt eine solche bei diesem<lb/> Körper möglich sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_2429" next="#ID_2430"> Der Verfasser betrachtet zu diesem Zwecke zunächst in einer Einleitung die<lb/> Geschichte Rußlands von der Normannenzeit (Rurik) bis zur Ausbildung des<lb/> Grvßfürstentums Moskau aus dem mongolischen Riesenstaate des Mittelalters,<lb/> dann in einem ersten Abschnitte jenes Großfürstentum nach seiner politischen<lb/> Natur, seiner Verwaltung, seiner Kultur und seinen Sitten, sowie nach dem<lb/> Charakter seines Volkes. Moskowien war das Resultat einerseits des Zerfalls<lb/> der mongolischen Stciatskraft, andrerseits der Zusammenraffung von russischen<lb/> Fürstentümern und Republiken. Diese nur halb russische Schöpfung versuchte<lb/> Peter in einen europäischen Staat zu verwandeln. Seine Persönlichkeit stach<lb/> schroff von dem Wesen seiner Vorgänger und seines Volkes ab. Er fand<lb/> ein Reich vor, das durch Furcht und Schlaffheit entstanden war und zu¬<lb/> sammengehalten wurde. Dem Volke des alten Rußlands mangelte alle That¬<lb/> kraft, Peters Thatkraft dagegen war unerschöpflich. Das Volk war voll<lb/> Vorurteile, er frei davon, jenes abergläubisch und staatlich kirchlich, er<lb/> beinahe ein Freidenker, jenes mißtrauisch gegen alles neue, er begierig darnach;<lb/> das Volk hing an Formeln und Zeremonien, er war formlos bis zum Cynis¬<lb/> mus, das Volk widerstrebte jeder schaffenden Kultur, er arbeitete rastlos für<lb/> dieselbe, das Volk verabscheute die Berührung mit Europa, der Zar erzwang<lb/> sie unter Aufbietung aller Kräfte dieser widerstrebenden Nation. Trotzdem war<lb/> Peter eine durchaus russische Natur; lebhaft, frohsinnig und gesellig in der<lb/> Jugend, wurde er später genußsüchtig und zügellos im Vergnügen, mißtrauisch<lb/> und oft hochfahrend, aber stets mit jenem Zuge von geselliger Freiheit und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0632]
Peter der Große in neuer Beleuchtung.
in das Volk gedrungen und wie hoch der Preis sei, den es für den europäischen
Rock gezahlt hatte. Erst in der neuesten Zeit, wo Moskowien diesen Putz ab¬
zulegen aufing, begannen wir die russischen Dinge genauer zu erkennen, und vom
Standpunkte dieser Kenntnis aus ist unser Buch geschrieben. Der Verfasser
teilt nicht die Hoffnung der altrussischen Partei, ein durchgreifendes Heilmittel
zu finden, er glaubt nicht an die Ausführbarkeit der von ihr unternommenen
Rückbildung zum vorpetrinischen Staate, er sieht in ihren Meinungen vielfach
mißverständliche Auffassung dessen, was wirklich petrinisch und nichtpetriuisch
ist, ja er fürchtet, „daß dieses höchst kritiklose und leidenschaftliche Unternehmen
in nichts andres auslaufen wird als in schwere Schädigung der wirklichen
Kulturelemente, die sich manchenorts und besonders in den unrussischen Grenz¬
landen des Zarenreiches sOstsceprovinzen^ vorfinden, ohne dem Ganzen zugute
zu kommen." Dein ungeachtet scheint es ihm von Wert, das von der Partei
Katkvffs und AtsakvffS für bankerott erklärte bisherige Negierungsshstem, mit
Peter, dessen Begründer, anfangend, sorgfältiger als seither geschehen, zu prüfe»,
um daraus beurteilen zu können, wie tief die gegenwärtig immer deutlicher
werdenden großen Schäden in Volk und Staat wurzeln, welche Aussichten sich
für eine Heilung darbieten, oder ob zuletzt überhaupt eine solche bei diesem
Körper möglich sei.
Der Verfasser betrachtet zu diesem Zwecke zunächst in einer Einleitung die
Geschichte Rußlands von der Normannenzeit (Rurik) bis zur Ausbildung des
Grvßfürstentums Moskau aus dem mongolischen Riesenstaate des Mittelalters,
dann in einem ersten Abschnitte jenes Großfürstentum nach seiner politischen
Natur, seiner Verwaltung, seiner Kultur und seinen Sitten, sowie nach dem
Charakter seines Volkes. Moskowien war das Resultat einerseits des Zerfalls
der mongolischen Stciatskraft, andrerseits der Zusammenraffung von russischen
Fürstentümern und Republiken. Diese nur halb russische Schöpfung versuchte
Peter in einen europäischen Staat zu verwandeln. Seine Persönlichkeit stach
schroff von dem Wesen seiner Vorgänger und seines Volkes ab. Er fand
ein Reich vor, das durch Furcht und Schlaffheit entstanden war und zu¬
sammengehalten wurde. Dem Volke des alten Rußlands mangelte alle That¬
kraft, Peters Thatkraft dagegen war unerschöpflich. Das Volk war voll
Vorurteile, er frei davon, jenes abergläubisch und staatlich kirchlich, er
beinahe ein Freidenker, jenes mißtrauisch gegen alles neue, er begierig darnach;
das Volk hing an Formeln und Zeremonien, er war formlos bis zum Cynis¬
mus, das Volk widerstrebte jeder schaffenden Kultur, er arbeitete rastlos für
dieselbe, das Volk verabscheute die Berührung mit Europa, der Zar erzwang
sie unter Aufbietung aller Kräfte dieser widerstrebenden Nation. Trotzdem war
Peter eine durchaus russische Natur; lebhaft, frohsinnig und gesellig in der
Jugend, wurde er später genußsüchtig und zügellos im Vergnügen, mißtrauisch
und oft hochfahrend, aber stets mit jenem Zuge von geselliger Freiheit und
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