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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die 'Rcmzlorrode vom 2. März und England.

keinen Grund zu Klagen zu geben, woran es auf dem Gebiete der Kolonial-
politik bisher bekanntlich nicht mangelte.

In ersterer Hinsicht ist ein guter Anfang gemacht worden, der zunächst
auf vernünftige Beurteilung der Sachlage selbst von seiten der radikalen Ele¬
mente des Kabinets Gladstone schließen läßt. Die ?-ni NÄl OiiWtto, das
Organ dieser Politiker, gestand in diesen Tagen, daß denselben die Feindselig-
reit Bismarcks viel bedenklicher erscheine als sogar ein Bruch mit Rußland
wegen Herat; denn der deutsche Reichskanzler sei bei weitem der mächtigste
Mann der Welt und sein Wort Gesetz von Moskau bis Paris. Wäre auch
ein Krieg zwischen England und Deutschland nicht zu befürchten, so würde doch
in ersterem nichts recht von statten gehen, so lange man "im Mittelpunkte der
europäischen Macht" englische Staatsmänner nicht anders beurteile, als in der
letzten Rede Bismarcks geschehen. Das scheint auch Herrn Gladstone endlich
klar geworden zu sein, und daran scheint sich bei ihm der Gedanke geknüpft zu
haben, daß in dieser Richtung etwas Ungewöhnliches gethan werden müsse.
Man mußte nachgeben, eine Vermittlung herbeizuführen suchen, und da Eng¬
land vermutlich keinen dazu recht geeigneten Diplomaten besaß, bat man sich
in Berlin einen aus, und zwar in Gestalt des ältern Sohnes des Kanzlers,
der die Ansichten und Absichten des letzteren kennen und selbstverständlich dessen
Vertrauen besitzen mußte. So reiste denn Graf Herbert Bismarck, nachdem
er beim Kaiser eine Audienz gehabt, Mitte voriger Woche nach London ab,
wo er alsbald eine Unterredung mit Lord Granvillc hatte, welche befriedigend
verlief. Am 6. März gab Granvillc dann im Oberhause eine Erklärung ab,
in welcher er u. a. sagte, er werde dein deutschen Reichskanzler auf dem regel¬
mäßigen Wege darzuthun suchen, daß dem Verfahren der englischen Regierung
in Betreff der Depeschen eine Deutung gegeben werden könne, die von der
seinigen verschieden sei. Hinsichtlich der Rede, die er im Oberhause uuter dem
Druck eines heftigen parlamentarischen Angriffs gehalten, und die dem Fürsten
Bismarck Verdruß bereitet habe, bemerke er, daß sie keinen andern Zweck ver¬
folgt habe, als den Vorwurf eines Redners der Opposition zurückzuweisen, nach
dem die Politik der Regierung so schlecht gewesen sein solle, daß sie ein großer
auswärtiger Staatsmann verurteilt habe. Habe er hinzugefügt, daß dieser
Redner nicht erwarten dürfe, England werde alle Freiheit des Handelns in
fremden und kolonialen Fragen aufgeben, so habe dies nicht dem Fürsten
Bismarck gegolten. Der letztere habe sich dann beklagt, daß er, Granvillc, einen
Rat oder vielmehr Ansichten inkorrekt wiedergegeben, die er, selbst wenn sie wahr
wären, zu erwähnen nicht berechtigt gewesen sei, da sie höchst vertraulicher Natur
gewesen seien. Statt der Worte: "Nehmt Ägypten" habe er wahrscheinlich
einen bessern Ausdruck anwenden können. Der Minister fuhr dann fort: "Es
wurde angenommen, daß das von mir hinsichtlich des Rates oder der Ansichten
Gesagte sich auf sehr vertrauliche und sehr freundschaftliche Mitteilungen gestützt


Die 'Rcmzlorrode vom 2. März und England.

keinen Grund zu Klagen zu geben, woran es auf dem Gebiete der Kolonial-
politik bisher bekanntlich nicht mangelte.

In ersterer Hinsicht ist ein guter Anfang gemacht worden, der zunächst
auf vernünftige Beurteilung der Sachlage selbst von seiten der radikalen Ele¬
mente des Kabinets Gladstone schließen läßt. Die ?-ni NÄl OiiWtto, das
Organ dieser Politiker, gestand in diesen Tagen, daß denselben die Feindselig-
reit Bismarcks viel bedenklicher erscheine als sogar ein Bruch mit Rußland
wegen Herat; denn der deutsche Reichskanzler sei bei weitem der mächtigste
Mann der Welt und sein Wort Gesetz von Moskau bis Paris. Wäre auch
ein Krieg zwischen England und Deutschland nicht zu befürchten, so würde doch
in ersterem nichts recht von statten gehen, so lange man „im Mittelpunkte der
europäischen Macht" englische Staatsmänner nicht anders beurteile, als in der
letzten Rede Bismarcks geschehen. Das scheint auch Herrn Gladstone endlich
klar geworden zu sein, und daran scheint sich bei ihm der Gedanke geknüpft zu
haben, daß in dieser Richtung etwas Ungewöhnliches gethan werden müsse.
Man mußte nachgeben, eine Vermittlung herbeizuführen suchen, und da Eng¬
land vermutlich keinen dazu recht geeigneten Diplomaten besaß, bat man sich
in Berlin einen aus, und zwar in Gestalt des ältern Sohnes des Kanzlers,
der die Ansichten und Absichten des letzteren kennen und selbstverständlich dessen
Vertrauen besitzen mußte. So reiste denn Graf Herbert Bismarck, nachdem
er beim Kaiser eine Audienz gehabt, Mitte voriger Woche nach London ab,
wo er alsbald eine Unterredung mit Lord Granvillc hatte, welche befriedigend
verlief. Am 6. März gab Granvillc dann im Oberhause eine Erklärung ab,
in welcher er u. a. sagte, er werde dein deutschen Reichskanzler auf dem regel¬
mäßigen Wege darzuthun suchen, daß dem Verfahren der englischen Regierung
in Betreff der Depeschen eine Deutung gegeben werden könne, die von der
seinigen verschieden sei. Hinsichtlich der Rede, die er im Oberhause uuter dem
Druck eines heftigen parlamentarischen Angriffs gehalten, und die dem Fürsten
Bismarck Verdruß bereitet habe, bemerke er, daß sie keinen andern Zweck ver¬
folgt habe, als den Vorwurf eines Redners der Opposition zurückzuweisen, nach
dem die Politik der Regierung so schlecht gewesen sein solle, daß sie ein großer
auswärtiger Staatsmann verurteilt habe. Habe er hinzugefügt, daß dieser
Redner nicht erwarten dürfe, England werde alle Freiheit des Handelns in
fremden und kolonialen Fragen aufgeben, so habe dies nicht dem Fürsten
Bismarck gegolten. Der letztere habe sich dann beklagt, daß er, Granvillc, einen
Rat oder vielmehr Ansichten inkorrekt wiedergegeben, die er, selbst wenn sie wahr
wären, zu erwähnen nicht berechtigt gewesen sei, da sie höchst vertraulicher Natur
gewesen seien. Statt der Worte: „Nehmt Ägypten" habe er wahrscheinlich
einen bessern Ausdruck anwenden können. Der Minister fuhr dann fort: „Es
wurde angenommen, daß das von mir hinsichtlich des Rates oder der Ansichten
Gesagte sich auf sehr vertrauliche und sehr freundschaftliche Mitteilungen gestützt


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[0562] Die 'Rcmzlorrode vom 2. März und England. keinen Grund zu Klagen zu geben, woran es auf dem Gebiete der Kolonial- politik bisher bekanntlich nicht mangelte. In ersterer Hinsicht ist ein guter Anfang gemacht worden, der zunächst auf vernünftige Beurteilung der Sachlage selbst von seiten der radikalen Ele¬ mente des Kabinets Gladstone schließen läßt. Die ?-ni NÄl OiiWtto, das Organ dieser Politiker, gestand in diesen Tagen, daß denselben die Feindselig- reit Bismarcks viel bedenklicher erscheine als sogar ein Bruch mit Rußland wegen Herat; denn der deutsche Reichskanzler sei bei weitem der mächtigste Mann der Welt und sein Wort Gesetz von Moskau bis Paris. Wäre auch ein Krieg zwischen England und Deutschland nicht zu befürchten, so würde doch in ersterem nichts recht von statten gehen, so lange man „im Mittelpunkte der europäischen Macht" englische Staatsmänner nicht anders beurteile, als in der letzten Rede Bismarcks geschehen. Das scheint auch Herrn Gladstone endlich klar geworden zu sein, und daran scheint sich bei ihm der Gedanke geknüpft zu haben, daß in dieser Richtung etwas Ungewöhnliches gethan werden müsse. Man mußte nachgeben, eine Vermittlung herbeizuführen suchen, und da Eng¬ land vermutlich keinen dazu recht geeigneten Diplomaten besaß, bat man sich in Berlin einen aus, und zwar in Gestalt des ältern Sohnes des Kanzlers, der die Ansichten und Absichten des letzteren kennen und selbstverständlich dessen Vertrauen besitzen mußte. So reiste denn Graf Herbert Bismarck, nachdem er beim Kaiser eine Audienz gehabt, Mitte voriger Woche nach London ab, wo er alsbald eine Unterredung mit Lord Granvillc hatte, welche befriedigend verlief. Am 6. März gab Granvillc dann im Oberhause eine Erklärung ab, in welcher er u. a. sagte, er werde dein deutschen Reichskanzler auf dem regel¬ mäßigen Wege darzuthun suchen, daß dem Verfahren der englischen Regierung in Betreff der Depeschen eine Deutung gegeben werden könne, die von der seinigen verschieden sei. Hinsichtlich der Rede, die er im Oberhause uuter dem Druck eines heftigen parlamentarischen Angriffs gehalten, und die dem Fürsten Bismarck Verdruß bereitet habe, bemerke er, daß sie keinen andern Zweck ver¬ folgt habe, als den Vorwurf eines Redners der Opposition zurückzuweisen, nach dem die Politik der Regierung so schlecht gewesen sein solle, daß sie ein großer auswärtiger Staatsmann verurteilt habe. Habe er hinzugefügt, daß dieser Redner nicht erwarten dürfe, England werde alle Freiheit des Handelns in fremden und kolonialen Fragen aufgeben, so habe dies nicht dem Fürsten Bismarck gegolten. Der letztere habe sich dann beklagt, daß er, Granvillc, einen Rat oder vielmehr Ansichten inkorrekt wiedergegeben, die er, selbst wenn sie wahr wären, zu erwähnen nicht berechtigt gewesen sei, da sie höchst vertraulicher Natur gewesen seien. Statt der Worte: „Nehmt Ägypten" habe er wahrscheinlich einen bessern Ausdruck anwenden können. Der Minister fuhr dann fort: „Es wurde angenommen, daß das von mir hinsichtlich des Rates oder der Ansichten Gesagte sich auf sehr vertrauliche und sehr freundschaftliche Mitteilungen gestützt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/562>, abgerufen am 23.07.2024.