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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Eine ganz andre Dichternatur ist Julius von der Traun (Julius Alexander
Schindler). Von Beschaulichkeit ist nichts in ihm, und er hat nie gefürchtet,
sich seinem dichterischen Beruf zu entziehen, wenn er sich dem öffentlichen Leben
widmete. Bei diesem war sein Interesse und ist es bis heute geblieben, ein
Gespräch über schöne Literatur und -- was mehr sagen will -- über seine eignen
poetischen Leistungen fesselt ihn nicht lange, er bringt immer wieder politische
Fragen aufs Tapet. Wenn Saar nach kurzer militärischer Dienstzeit in stiller
Zurückgezogenheit, ohne thätige Teilnahme am praktischen Leben, zwanzig Jahre
verbringen konnte, so ist Traun nach einem wechselvollen vielbeschäftigten, muße¬
losen Mannesalter nur sehr unfreiwillig von der öffentlichen Thätigkeit zurück¬
getreten, und sein Notariatsgeschäft übte er noch als kranker Mann von sieben-
undsechzig Jahren ans. Schon als Jüngling hatte er sich in den mannichfaltigsten
Lebensstellungen versucht und überall wenigstens leidlich bewährt. Wie Saar
aus guter bürgerlicher Familie, aber in behaglicheren Verhältnissen aufgewachsen,
leitete er nach absolvirten technischen Studien die Fabriken des Vaters zu
Fischamend. Dann trat er als leitender Chemiker in eine Kattunmanufaktur
zu Steyr. Bald aber verließ er wieder die technisch-merkantile Laufbahn und
studirte in Wien Jura. Er durcheilte die hergebrachte Laufbahn des Beamten
der vormärzlichen Zeit. Praktikant beim Magistrat einer kleinen, aber industrie¬
reichen Stadt, Adjunkt beim Salinenamt im Salzkammergut, endlich Patri-
monialbeamter eines reichbegüterten frvndirenden Fürsten, das alles ist er in
ziemlich rascher Folge noch in der Blüte seiner Jahre gewesen. Die erste Schrift,
mit der er -- anonym -- vor das Publikum trat, war einem politischen
Thema gewidmet: der ständischen Bewegung des Jahres 1847 in den deutsch¬
österreichischen Provinzen; erschienen ist sie am Vorabend der Revolution. Das
starke Pathos, in dem er sich darin über die vorhandenen Zustände, namentlich
über die prädvminirende Stellung von Adel und Klerus, ereiferte, streift manch¬
mal an den Ton phrasenhafter Volksredner, ist aber mitunter auch von hin¬
reißender Kraft, so namentlich dort, wo er über die österreichische Vüreaukratie
seiner Zeit spricht: er vergleicht sie mit einer "Schmarotzerpflanze, die im faulen
Friedenstag dem urkräftiger Stamme entwachsen, seit Jahren Kraft und Ge¬
deihen nicht nur den Wurzeln, sondern auch der Krone entzieht." Von den
loyalen Empfindungen Collins und Grillparzers zeigte sich der jugendliche
Autor freilich weit entfernt, und in der That haben die Worte "Fürstenhoheit,
angestammtes Recht, ererbter Besitz, überkommene Ordnung" auch später seine
Harfe niemals ertönen machen können. Dennoch ist er ein echt österreichischer
Dichter. Als solcher zeigte er sich zuerst (1848) in genrehaften Schilderungen
von Heimatsboden und Landsleuten, wie sie sein "Skizzenbuch aus Oberöster¬
reich" erfüllen, das vor wenigen Jahren unter dem Titel "Exkursionen eines
Österreichers" teilweise neu bearbeitet erschien. Drei Jahre später gab er die
"Rosenegger Romanzen" heraus, in welchen der ganze Frohsinn, die helle Welt-


Unpolitische Briefe aus Wien.

Eine ganz andre Dichternatur ist Julius von der Traun (Julius Alexander
Schindler). Von Beschaulichkeit ist nichts in ihm, und er hat nie gefürchtet,
sich seinem dichterischen Beruf zu entziehen, wenn er sich dem öffentlichen Leben
widmete. Bei diesem war sein Interesse und ist es bis heute geblieben, ein
Gespräch über schöne Literatur und — was mehr sagen will — über seine eignen
poetischen Leistungen fesselt ihn nicht lange, er bringt immer wieder politische
Fragen aufs Tapet. Wenn Saar nach kurzer militärischer Dienstzeit in stiller
Zurückgezogenheit, ohne thätige Teilnahme am praktischen Leben, zwanzig Jahre
verbringen konnte, so ist Traun nach einem wechselvollen vielbeschäftigten, muße¬
losen Mannesalter nur sehr unfreiwillig von der öffentlichen Thätigkeit zurück¬
getreten, und sein Notariatsgeschäft übte er noch als kranker Mann von sieben-
undsechzig Jahren ans. Schon als Jüngling hatte er sich in den mannichfaltigsten
Lebensstellungen versucht und überall wenigstens leidlich bewährt. Wie Saar
aus guter bürgerlicher Familie, aber in behaglicheren Verhältnissen aufgewachsen,
leitete er nach absolvirten technischen Studien die Fabriken des Vaters zu
Fischamend. Dann trat er als leitender Chemiker in eine Kattunmanufaktur
zu Steyr. Bald aber verließ er wieder die technisch-merkantile Laufbahn und
studirte in Wien Jura. Er durcheilte die hergebrachte Laufbahn des Beamten
der vormärzlichen Zeit. Praktikant beim Magistrat einer kleinen, aber industrie¬
reichen Stadt, Adjunkt beim Salinenamt im Salzkammergut, endlich Patri-
monialbeamter eines reichbegüterten frvndirenden Fürsten, das alles ist er in
ziemlich rascher Folge noch in der Blüte seiner Jahre gewesen. Die erste Schrift,
mit der er — anonym — vor das Publikum trat, war einem politischen
Thema gewidmet: der ständischen Bewegung des Jahres 1847 in den deutsch¬
österreichischen Provinzen; erschienen ist sie am Vorabend der Revolution. Das
starke Pathos, in dem er sich darin über die vorhandenen Zustände, namentlich
über die prädvminirende Stellung von Adel und Klerus, ereiferte, streift manch¬
mal an den Ton phrasenhafter Volksredner, ist aber mitunter auch von hin¬
reißender Kraft, so namentlich dort, wo er über die österreichische Vüreaukratie
seiner Zeit spricht: er vergleicht sie mit einer „Schmarotzerpflanze, die im faulen
Friedenstag dem urkräftiger Stamme entwachsen, seit Jahren Kraft und Ge¬
deihen nicht nur den Wurzeln, sondern auch der Krone entzieht." Von den
loyalen Empfindungen Collins und Grillparzers zeigte sich der jugendliche
Autor freilich weit entfernt, und in der That haben die Worte „Fürstenhoheit,
angestammtes Recht, ererbter Besitz, überkommene Ordnung" auch später seine
Harfe niemals ertönen machen können. Dennoch ist er ein echt österreichischer
Dichter. Als solcher zeigte er sich zuerst (1848) in genrehaften Schilderungen
von Heimatsboden und Landsleuten, wie sie sein „Skizzenbuch aus Oberöster¬
reich" erfüllen, das vor wenigen Jahren unter dem Titel „Exkursionen eines
Österreichers" teilweise neu bearbeitet erschien. Drei Jahre später gab er die
„Rosenegger Romanzen" heraus, in welchen der ganze Frohsinn, die helle Welt-


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[0534] Unpolitische Briefe aus Wien. Eine ganz andre Dichternatur ist Julius von der Traun (Julius Alexander Schindler). Von Beschaulichkeit ist nichts in ihm, und er hat nie gefürchtet, sich seinem dichterischen Beruf zu entziehen, wenn er sich dem öffentlichen Leben widmete. Bei diesem war sein Interesse und ist es bis heute geblieben, ein Gespräch über schöne Literatur und — was mehr sagen will — über seine eignen poetischen Leistungen fesselt ihn nicht lange, er bringt immer wieder politische Fragen aufs Tapet. Wenn Saar nach kurzer militärischer Dienstzeit in stiller Zurückgezogenheit, ohne thätige Teilnahme am praktischen Leben, zwanzig Jahre verbringen konnte, so ist Traun nach einem wechselvollen vielbeschäftigten, muße¬ losen Mannesalter nur sehr unfreiwillig von der öffentlichen Thätigkeit zurück¬ getreten, und sein Notariatsgeschäft übte er noch als kranker Mann von sieben- undsechzig Jahren ans. Schon als Jüngling hatte er sich in den mannichfaltigsten Lebensstellungen versucht und überall wenigstens leidlich bewährt. Wie Saar aus guter bürgerlicher Familie, aber in behaglicheren Verhältnissen aufgewachsen, leitete er nach absolvirten technischen Studien die Fabriken des Vaters zu Fischamend. Dann trat er als leitender Chemiker in eine Kattunmanufaktur zu Steyr. Bald aber verließ er wieder die technisch-merkantile Laufbahn und studirte in Wien Jura. Er durcheilte die hergebrachte Laufbahn des Beamten der vormärzlichen Zeit. Praktikant beim Magistrat einer kleinen, aber industrie¬ reichen Stadt, Adjunkt beim Salinenamt im Salzkammergut, endlich Patri- monialbeamter eines reichbegüterten frvndirenden Fürsten, das alles ist er in ziemlich rascher Folge noch in der Blüte seiner Jahre gewesen. Die erste Schrift, mit der er — anonym — vor das Publikum trat, war einem politischen Thema gewidmet: der ständischen Bewegung des Jahres 1847 in den deutsch¬ österreichischen Provinzen; erschienen ist sie am Vorabend der Revolution. Das starke Pathos, in dem er sich darin über die vorhandenen Zustände, namentlich über die prädvminirende Stellung von Adel und Klerus, ereiferte, streift manch¬ mal an den Ton phrasenhafter Volksredner, ist aber mitunter auch von hin¬ reißender Kraft, so namentlich dort, wo er über die österreichische Vüreaukratie seiner Zeit spricht: er vergleicht sie mit einer „Schmarotzerpflanze, die im faulen Friedenstag dem urkräftiger Stamme entwachsen, seit Jahren Kraft und Ge¬ deihen nicht nur den Wurzeln, sondern auch der Krone entzieht." Von den loyalen Empfindungen Collins und Grillparzers zeigte sich der jugendliche Autor freilich weit entfernt, und in der That haben die Worte „Fürstenhoheit, angestammtes Recht, ererbter Besitz, überkommene Ordnung" auch später seine Harfe niemals ertönen machen können. Dennoch ist er ein echt österreichischer Dichter. Als solcher zeigte er sich zuerst (1848) in genrehaften Schilderungen von Heimatsboden und Landsleuten, wie sie sein „Skizzenbuch aus Oberöster¬ reich" erfüllen, das vor wenigen Jahren unter dem Titel „Exkursionen eines Österreichers" teilweise neu bearbeitet erschien. Drei Jahre später gab er die „Rosenegger Romanzen" heraus, in welchen der ganze Frohsinn, die helle Welt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/534>, abgerufen am 23.07.2024.