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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

ruft er zu, sie möchten bedenken, daß ungünstiger noch keine Zeit dem Dichter
gewesen sei als die, in der wir leben:


Weggeschwunden ist
Unter dem Fuß der Boden euch
Wie der Menschheit,
Die entwachsen der Vergangenheit
Und losgelöst von Jahrtausenden
Nach neuem Leben verlangt
Und doch vielleicht nur ins Leere greift.

Dasselbe Motiv in mehr konventioneller Fassung erscheint in der Widmung
des Trauerspieles "Die beiden de Witt" an den Großherzog Karl Alexander
von Sachsen-Weimar-Eisenach, und wenn wir nicht irren, so liegt es noch
einer ganzen Reihe im düstersten Kolorit gehaltener Gedichte zu gründe.
"Hoffnungen und Thaten hat die Zeit gefällt," giebt er da einmal zu, "und
du siehest neue Saaten ohne dich bestellt." Dann klagt er wieder, daß das
Vollbringen immer schwerer, das Gelingen immer seltener werde --


Und es schwindet die Geduld,
Und ich fühl' die eigne Schuld,
Fühl' es mit geheimem Beben:
Uferlos verrinnt mein Leben
In ein Meer von Qual und Not --
Komm, v komme, Tod!

Selbst das einzige Gedicht, in dem er sich seines reinen Strebens zu freuen
scheint, sein Ziel "fast erreicht" nennt und die ewigen Mächte nur noch um
"ein letztes Mühen" bittet, damit er getrost vollende, was er ernst und fest
begonnen, selbst hier schließt er doch mit dem Ausdruck inneren Zagcns, inneren
Zweifels:


Also sich' ich, von den Schwingen
Der Erfüllung leis' umweht,
Und doch fürchtend, daß mein Ringen
Im Verhängnis untergeht.

Dieser innere Zwiespalt aber, der die Dichtung Saars durchzieht, ist es
gerade, der ihn interessant macht, der ihm ein originelles Gepräge verleiht,
denn die traditionellen Elemente deutscher Lyrik und Dramatik hat er sonst
nur selten mit neuem Geiste zu durchdringen und individuell zu gestalten ver¬
mocht. Namentlich seine Liebeslieder dürften dem Literarhistoriker der Zukunft
nur wenig lehren, was er nicht an hundert andern Orten ebensogut erfahren
könnte. In seinen Trauerspielen treten eher zeitbewegende Ideen in den Vorder¬
grund, und sie werden zur Charakteristik des deutsch-österreichischen Geisteslebens
im sechsten und siebenten Dezennium unsers Jahrhunderts einst so manchen
Beitrag liefern. "Kaiser Heinrich der Vierte" verdankt seine Entstehung wohl


Unpolitische Briefe aus Wien.

ruft er zu, sie möchten bedenken, daß ungünstiger noch keine Zeit dem Dichter
gewesen sei als die, in der wir leben:


Weggeschwunden ist
Unter dem Fuß der Boden euch
Wie der Menschheit,
Die entwachsen der Vergangenheit
Und losgelöst von Jahrtausenden
Nach neuem Leben verlangt
Und doch vielleicht nur ins Leere greift.

Dasselbe Motiv in mehr konventioneller Fassung erscheint in der Widmung
des Trauerspieles „Die beiden de Witt" an den Großherzog Karl Alexander
von Sachsen-Weimar-Eisenach, und wenn wir nicht irren, so liegt es noch
einer ganzen Reihe im düstersten Kolorit gehaltener Gedichte zu gründe.
„Hoffnungen und Thaten hat die Zeit gefällt," giebt er da einmal zu, „und
du siehest neue Saaten ohne dich bestellt." Dann klagt er wieder, daß das
Vollbringen immer schwerer, das Gelingen immer seltener werde —


Und es schwindet die Geduld,
Und ich fühl' die eigne Schuld,
Fühl' es mit geheimem Beben:
Uferlos verrinnt mein Leben
In ein Meer von Qual und Not —
Komm, v komme, Tod!

Selbst das einzige Gedicht, in dem er sich seines reinen Strebens zu freuen
scheint, sein Ziel „fast erreicht" nennt und die ewigen Mächte nur noch um
„ein letztes Mühen" bittet, damit er getrost vollende, was er ernst und fest
begonnen, selbst hier schließt er doch mit dem Ausdruck inneren Zagcns, inneren
Zweifels:


Also sich' ich, von den Schwingen
Der Erfüllung leis' umweht,
Und doch fürchtend, daß mein Ringen
Im Verhängnis untergeht.

Dieser innere Zwiespalt aber, der die Dichtung Saars durchzieht, ist es
gerade, der ihn interessant macht, der ihm ein originelles Gepräge verleiht,
denn die traditionellen Elemente deutscher Lyrik und Dramatik hat er sonst
nur selten mit neuem Geiste zu durchdringen und individuell zu gestalten ver¬
mocht. Namentlich seine Liebeslieder dürften dem Literarhistoriker der Zukunft
nur wenig lehren, was er nicht an hundert andern Orten ebensogut erfahren
könnte. In seinen Trauerspielen treten eher zeitbewegende Ideen in den Vorder¬
grund, und sie werden zur Charakteristik des deutsch-österreichischen Geisteslebens
im sechsten und siebenten Dezennium unsers Jahrhunderts einst so manchen
Beitrag liefern. „Kaiser Heinrich der Vierte" verdankt seine Entstehung wohl


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[0532] Unpolitische Briefe aus Wien. ruft er zu, sie möchten bedenken, daß ungünstiger noch keine Zeit dem Dichter gewesen sei als die, in der wir leben: Weggeschwunden ist Unter dem Fuß der Boden euch Wie der Menschheit, Die entwachsen der Vergangenheit Und losgelöst von Jahrtausenden Nach neuem Leben verlangt Und doch vielleicht nur ins Leere greift. Dasselbe Motiv in mehr konventioneller Fassung erscheint in der Widmung des Trauerspieles „Die beiden de Witt" an den Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, und wenn wir nicht irren, so liegt es noch einer ganzen Reihe im düstersten Kolorit gehaltener Gedichte zu gründe. „Hoffnungen und Thaten hat die Zeit gefällt," giebt er da einmal zu, „und du siehest neue Saaten ohne dich bestellt." Dann klagt er wieder, daß das Vollbringen immer schwerer, das Gelingen immer seltener werde — Und es schwindet die Geduld, Und ich fühl' die eigne Schuld, Fühl' es mit geheimem Beben: Uferlos verrinnt mein Leben In ein Meer von Qual und Not — Komm, v komme, Tod! Selbst das einzige Gedicht, in dem er sich seines reinen Strebens zu freuen scheint, sein Ziel „fast erreicht" nennt und die ewigen Mächte nur noch um „ein letztes Mühen" bittet, damit er getrost vollende, was er ernst und fest begonnen, selbst hier schließt er doch mit dem Ausdruck inneren Zagcns, inneren Zweifels: Also sich' ich, von den Schwingen Der Erfüllung leis' umweht, Und doch fürchtend, daß mein Ringen Im Verhängnis untergeht. Dieser innere Zwiespalt aber, der die Dichtung Saars durchzieht, ist es gerade, der ihn interessant macht, der ihm ein originelles Gepräge verleiht, denn die traditionellen Elemente deutscher Lyrik und Dramatik hat er sonst nur selten mit neuem Geiste zu durchdringen und individuell zu gestalten ver¬ mocht. Namentlich seine Liebeslieder dürften dem Literarhistoriker der Zukunft nur wenig lehren, was er nicht an hundert andern Orten ebensogut erfahren könnte. In seinen Trauerspielen treten eher zeitbewegende Ideen in den Vorder¬ grund, und sie werden zur Charakteristik des deutsch-österreichischen Geisteslebens im sechsten und siebenten Dezennium unsers Jahrhunderts einst so manchen Beitrag liefern. „Kaiser Heinrich der Vierte" verdankt seine Entstehung wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/532>, abgerufen am 23.07.2024.