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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus lvien.

Richard Kraut verraten fast in jedem Verse, daß sie ein srciudes Element in
ihrem Blute tragen, daß sie ihre dichterische Kraft nicht aus der vaterländischen
Erde gesogen haben. Ebensowenig besitzt unsre heutige Romanlitcratnr ein ent¬
schieden landschaftliches Gepräge, Friedrich Abt ist mit feiner "Botschaftcrin"
in das leidige Genre des antiquarischen Romans übergegangen, und die "Bilder
ans .Halbasien" erinnern in ihrem an Effekthascherei streifenden Realismus
gar zu deutlich an die Sittenschilderungen moderner französischer Romanciers.

Dennoch giebt es noch einige bedeutende Erscheinungen in unsrer litera¬
rischen Welt, die sich ein gut Teil echt österreichischen Wesens bewahrt haben;
isolirt freilich stehen sie da und nicht mehr in der Fülle ihrer Kraft, sondern
entweder ermüdet und in sich gekehrt, wie Ferdinand von Saar, oder gar dem
völligen Verlöschen nahe, wie Julius von der Traum, der schon seit Wochen
auf seinem Schmerzenslager mit dem Tode ringt. Nur auf einem bescheidenen
Gebiete steht noch alles in schönster Blüte, keimt noch alles voll Hoffnnngs-
freude: das Volksstück, wie es Nnzcngrnber pflegt, gehört unsrer Meinung nach
zu dem edelsten, was die moderne Zeit im deutschen Dichtcrgarten gereift hat,
und Noseggers Schilderungen von Land und Leuten dürfen sich wohl mit den
spanischen Mustern dieser Gattung -- Quevedo und Estebanez (IA Koli-
tlu-ig) -- kühnlich messen.

Ferdinand von Saar gehört zu den Dichtern, die ein innerer Drang zu
ihrer Kunst geführt hat; ihr leben sie ganz und verlangen dafür von der
Mitwelt keinen Lohn, keine Nlihmeskränze, keinen lauten Beifall. Wenn auch
des Lebens Ungemach sie bisweilen übermannt und zu bitteren Vorwürfen und
Klagen hinreißt, so fassen sie sich doch gleich wieder voll Bescheidenheit und
Entsagungskraft. Tragisch werden uns solche Erscheinungen dann, wenn sie
trotzdem in ihrer Kunst wahrhaft Großes nicht erreichen können und dies auch
selber gewahr werden. In diesem Falle sehen Nur Ferdinand von Saar. Der
Baum -- ruft er einmal aus --


Der Baum gedeihet nicht im dumpfen Sande,
Zu Tod sich flattern muß der Aar in Schlingen,
Und ernstes Thun kann stets nur halb gelingen,
Wenn sich die Mitwelt freut an hohlen: Tande.

Wie ein Schmerzensschrei klingt es, wenn er die Muse einmal fragt, warum
sie, die einst Goethes und Schillers Stirne geküßt, nachdem doch ein Jahr¬
hundert verflossen, nicht wieder einen Auserwählten umfange, ans daß dem
deutschen Volke aufs neue ein Dichter entstehe, "groß, edel und gewaltig wie
jene." Aber er muß diese Frage, diesen Anruf dann selber thöricht schelten,
längst versiegt sei ja der kastalische Quell und die Kunst tot, ob auch ein Heer
^on Dichtern skandirende Hände rege, nnr hin und wieder "weit abseits vom
Markte" zucken verendend noch ihre letzten äisjöetA nwmrn-g.. Den "Jüngern"


Unpolitische Briefe aus lvien.

Richard Kraut verraten fast in jedem Verse, daß sie ein srciudes Element in
ihrem Blute tragen, daß sie ihre dichterische Kraft nicht aus der vaterländischen
Erde gesogen haben. Ebensowenig besitzt unsre heutige Romanlitcratnr ein ent¬
schieden landschaftliches Gepräge, Friedrich Abt ist mit feiner „Botschaftcrin"
in das leidige Genre des antiquarischen Romans übergegangen, und die „Bilder
ans .Halbasien" erinnern in ihrem an Effekthascherei streifenden Realismus
gar zu deutlich an die Sittenschilderungen moderner französischer Romanciers.

Dennoch giebt es noch einige bedeutende Erscheinungen in unsrer litera¬
rischen Welt, die sich ein gut Teil echt österreichischen Wesens bewahrt haben;
isolirt freilich stehen sie da und nicht mehr in der Fülle ihrer Kraft, sondern
entweder ermüdet und in sich gekehrt, wie Ferdinand von Saar, oder gar dem
völligen Verlöschen nahe, wie Julius von der Traum, der schon seit Wochen
auf seinem Schmerzenslager mit dem Tode ringt. Nur auf einem bescheidenen
Gebiete steht noch alles in schönster Blüte, keimt noch alles voll Hoffnnngs-
freude: das Volksstück, wie es Nnzcngrnber pflegt, gehört unsrer Meinung nach
zu dem edelsten, was die moderne Zeit im deutschen Dichtcrgarten gereift hat,
und Noseggers Schilderungen von Land und Leuten dürfen sich wohl mit den
spanischen Mustern dieser Gattung — Quevedo und Estebanez (IA Koli-
tlu-ig) — kühnlich messen.

Ferdinand von Saar gehört zu den Dichtern, die ein innerer Drang zu
ihrer Kunst geführt hat; ihr leben sie ganz und verlangen dafür von der
Mitwelt keinen Lohn, keine Nlihmeskränze, keinen lauten Beifall. Wenn auch
des Lebens Ungemach sie bisweilen übermannt und zu bitteren Vorwürfen und
Klagen hinreißt, so fassen sie sich doch gleich wieder voll Bescheidenheit und
Entsagungskraft. Tragisch werden uns solche Erscheinungen dann, wenn sie
trotzdem in ihrer Kunst wahrhaft Großes nicht erreichen können und dies auch
selber gewahr werden. In diesem Falle sehen Nur Ferdinand von Saar. Der
Baum — ruft er einmal aus —


Der Baum gedeihet nicht im dumpfen Sande,
Zu Tod sich flattern muß der Aar in Schlingen,
Und ernstes Thun kann stets nur halb gelingen,
Wenn sich die Mitwelt freut an hohlen: Tande.

Wie ein Schmerzensschrei klingt es, wenn er die Muse einmal fragt, warum
sie, die einst Goethes und Schillers Stirne geküßt, nachdem doch ein Jahr¬
hundert verflossen, nicht wieder einen Auserwählten umfange, ans daß dem
deutschen Volke aufs neue ein Dichter entstehe, „groß, edel und gewaltig wie
jene." Aber er muß diese Frage, diesen Anruf dann selber thöricht schelten,
längst versiegt sei ja der kastalische Quell und die Kunst tot, ob auch ein Heer
^on Dichtern skandirende Hände rege, nnr hin und wieder „weit abseits vom
Markte" zucken verendend noch ihre letzten äisjöetA nwmrn-g.. Den „Jüngern"


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[0531] Unpolitische Briefe aus lvien. Richard Kraut verraten fast in jedem Verse, daß sie ein srciudes Element in ihrem Blute tragen, daß sie ihre dichterische Kraft nicht aus der vaterländischen Erde gesogen haben. Ebensowenig besitzt unsre heutige Romanlitcratnr ein ent¬ schieden landschaftliches Gepräge, Friedrich Abt ist mit feiner „Botschaftcrin" in das leidige Genre des antiquarischen Romans übergegangen, und die „Bilder ans .Halbasien" erinnern in ihrem an Effekthascherei streifenden Realismus gar zu deutlich an die Sittenschilderungen moderner französischer Romanciers. Dennoch giebt es noch einige bedeutende Erscheinungen in unsrer litera¬ rischen Welt, die sich ein gut Teil echt österreichischen Wesens bewahrt haben; isolirt freilich stehen sie da und nicht mehr in der Fülle ihrer Kraft, sondern entweder ermüdet und in sich gekehrt, wie Ferdinand von Saar, oder gar dem völligen Verlöschen nahe, wie Julius von der Traum, der schon seit Wochen auf seinem Schmerzenslager mit dem Tode ringt. Nur auf einem bescheidenen Gebiete steht noch alles in schönster Blüte, keimt noch alles voll Hoffnnngs- freude: das Volksstück, wie es Nnzcngrnber pflegt, gehört unsrer Meinung nach zu dem edelsten, was die moderne Zeit im deutschen Dichtcrgarten gereift hat, und Noseggers Schilderungen von Land und Leuten dürfen sich wohl mit den spanischen Mustern dieser Gattung — Quevedo und Estebanez (IA Koli- tlu-ig) — kühnlich messen. Ferdinand von Saar gehört zu den Dichtern, die ein innerer Drang zu ihrer Kunst geführt hat; ihr leben sie ganz und verlangen dafür von der Mitwelt keinen Lohn, keine Nlihmeskränze, keinen lauten Beifall. Wenn auch des Lebens Ungemach sie bisweilen übermannt und zu bitteren Vorwürfen und Klagen hinreißt, so fassen sie sich doch gleich wieder voll Bescheidenheit und Entsagungskraft. Tragisch werden uns solche Erscheinungen dann, wenn sie trotzdem in ihrer Kunst wahrhaft Großes nicht erreichen können und dies auch selber gewahr werden. In diesem Falle sehen Nur Ferdinand von Saar. Der Baum — ruft er einmal aus — Der Baum gedeihet nicht im dumpfen Sande, Zu Tod sich flattern muß der Aar in Schlingen, Und ernstes Thun kann stets nur halb gelingen, Wenn sich die Mitwelt freut an hohlen: Tande. Wie ein Schmerzensschrei klingt es, wenn er die Muse einmal fragt, warum sie, die einst Goethes und Schillers Stirne geküßt, nachdem doch ein Jahr¬ hundert verflossen, nicht wieder einen Auserwählten umfange, ans daß dem deutschen Volke aufs neue ein Dichter entstehe, „groß, edel und gewaltig wie jene." Aber er muß diese Frage, diesen Anruf dann selber thöricht schelten, längst versiegt sei ja der kastalische Quell und die Kunst tot, ob auch ein Heer ^on Dichtern skandirende Hände rege, nnr hin und wieder „weit abseits vom Markte" zucken verendend noch ihre letzten äisjöetA nwmrn-g.. Den „Jüngern"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/531>, abgerufen am 23.07.2024.