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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?

noch mehr in den Vordergrund. Auch dem Barockstil gebrach es an konstruk¬
tiven Gedanken; aber er suchte die raumbildende Kraft der Renaissance weiter
zu entwickeln, und so kam er wenigstens auf diesem Gebiete zu neuen Schöpf¬
ungen, welche, wenn man von der Dekoration absieht, für spätere Generationen,
deren Raumbcdürfnisse sich noch vergrößert haben, nachahmungswürdigcr sind
als die meisten Innenräume der Renaissance. Auch gelang es dem Barockstil,
in der Gestaltung der Fassaden eine Energie des monumentalen Ausdrucks zu
erringen, welche ebenfalls über die Schöpfungen der Renaissance hinausgeht.
Nach dieser Seite bedeutet der Rokokostil einen Rückschritt. Während sich im
Barocco die monumentale und die malerische Erscheinungsform noch so ziemlich
die Waage hielten, durchbrach im Nokokostil das malerische Element rücksichtslos
den architektonischen Nahmen. Es war nur die natürliche Folge jenes im Wesen
der Renaissance ruhenden Todeskeimes, daß der letzte Ausläufer derselben von
der dekorativen Plastik und Malerei wie von einer verderblichen Schlingpflanze
derartig überwuchert wurde, daß der architektonische Gedanke darunter völlig
zu gründe ging.

Die Schicksale, welche das Kunstgewerbe während der drei Jahrhunderte
durchzumachen hatte, sind dem Entwicklungsgange der Architektur konform, ob¬
wohl das Kunsthandwerk damals von der letztern noch nicht so abhängig war
wie heute. Die Handwerker machten sich ihre Entwürfe selbst, und es kam
auch wohl vor, daß sie dieselben zum Nutzen andrer durch Kupferstich und
Holzschnitt vervielfältigen ließen. Insbesondre sind es Goldschmiede gewesen,
welche derartige Sammlungen in die Öffentlichkeit schickten. Dann gab es
anch Maler, Zeichner und Kupferstecher, welche ornamentale Entwürfe und
allerhand Geräte zum Gebrauch für das Handwerk komponirter und in ganzen
"Kunstbüchlein," einzelnen Serien und fliegenden Blättern in den Handel
brachten. Auch sie griffen den neuen, über die Alpen herübergekommenen
Stil mit Enthusiasmus auf, und in dem Grade, als sich ihre Musterbücher
und Vorlagen verbreiteten, wurde auch der Stil der deutschen Renaissance
allgemein, der sich sür die Schöpfungen des Kunsthandwerkes aus denselben
Elementen zusammensetzt wie für die Schöpfungen der Architektur. Auch im
Kunsthandwerk bleiben die alten Formen bestehen: sie kleiden sich nur in ein
neues Gewand. Auch im Kunsthandwerk finden sich oft an demselben Geräte
Zierformen des gothischen und des Renaissancestils, wie z. B. die Silberarbeiten
des Antonius Eisenhoit aus Warburg beweisen, und es kann nicht geleugnet
werden, daß in dieser Stilmischung ein ganz besondrer Reiz der deutschen Re¬
naissance liegt.

An diesen Stil nun, dessen wesentlichen Charakter wir im obigen skizzirt
haben, klammern sich Architektur und Kunstgewerbe der Gegenwart. Durch die
Wiederbelebung der deutschen Renaissance hofft man unsrer Kunst einen natio¬
nalen Inhalt zu geben, und eine Summe einsichtsvoller und erfinderischer


Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft?

noch mehr in den Vordergrund. Auch dem Barockstil gebrach es an konstruk¬
tiven Gedanken; aber er suchte die raumbildende Kraft der Renaissance weiter
zu entwickeln, und so kam er wenigstens auf diesem Gebiete zu neuen Schöpf¬
ungen, welche, wenn man von der Dekoration absieht, für spätere Generationen,
deren Raumbcdürfnisse sich noch vergrößert haben, nachahmungswürdigcr sind
als die meisten Innenräume der Renaissance. Auch gelang es dem Barockstil,
in der Gestaltung der Fassaden eine Energie des monumentalen Ausdrucks zu
erringen, welche ebenfalls über die Schöpfungen der Renaissance hinausgeht.
Nach dieser Seite bedeutet der Rokokostil einen Rückschritt. Während sich im
Barocco die monumentale und die malerische Erscheinungsform noch so ziemlich
die Waage hielten, durchbrach im Nokokostil das malerische Element rücksichtslos
den architektonischen Nahmen. Es war nur die natürliche Folge jenes im Wesen
der Renaissance ruhenden Todeskeimes, daß der letzte Ausläufer derselben von
der dekorativen Plastik und Malerei wie von einer verderblichen Schlingpflanze
derartig überwuchert wurde, daß der architektonische Gedanke darunter völlig
zu gründe ging.

Die Schicksale, welche das Kunstgewerbe während der drei Jahrhunderte
durchzumachen hatte, sind dem Entwicklungsgange der Architektur konform, ob¬
wohl das Kunsthandwerk damals von der letztern noch nicht so abhängig war
wie heute. Die Handwerker machten sich ihre Entwürfe selbst, und es kam
auch wohl vor, daß sie dieselben zum Nutzen andrer durch Kupferstich und
Holzschnitt vervielfältigen ließen. Insbesondre sind es Goldschmiede gewesen,
welche derartige Sammlungen in die Öffentlichkeit schickten. Dann gab es
anch Maler, Zeichner und Kupferstecher, welche ornamentale Entwürfe und
allerhand Geräte zum Gebrauch für das Handwerk komponirter und in ganzen
„Kunstbüchlein," einzelnen Serien und fliegenden Blättern in den Handel
brachten. Auch sie griffen den neuen, über die Alpen herübergekommenen
Stil mit Enthusiasmus auf, und in dem Grade, als sich ihre Musterbücher
und Vorlagen verbreiteten, wurde auch der Stil der deutschen Renaissance
allgemein, der sich sür die Schöpfungen des Kunsthandwerkes aus denselben
Elementen zusammensetzt wie für die Schöpfungen der Architektur. Auch im
Kunsthandwerk bleiben die alten Formen bestehen: sie kleiden sich nur in ein
neues Gewand. Auch im Kunsthandwerk finden sich oft an demselben Geräte
Zierformen des gothischen und des Renaissancestils, wie z. B. die Silberarbeiten
des Antonius Eisenhoit aus Warburg beweisen, und es kann nicht geleugnet
werden, daß in dieser Stilmischung ein ganz besondrer Reiz der deutschen Re¬
naissance liegt.

An diesen Stil nun, dessen wesentlichen Charakter wir im obigen skizzirt
haben, klammern sich Architektur und Kunstgewerbe der Gegenwart. Durch die
Wiederbelebung der deutschen Renaissance hofft man unsrer Kunst einen natio¬
nalen Inhalt zu geben, und eine Summe einsichtsvoller und erfinderischer


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[0051] Hat die deutsche Renaissance eine Zukunft? noch mehr in den Vordergrund. Auch dem Barockstil gebrach es an konstruk¬ tiven Gedanken; aber er suchte die raumbildende Kraft der Renaissance weiter zu entwickeln, und so kam er wenigstens auf diesem Gebiete zu neuen Schöpf¬ ungen, welche, wenn man von der Dekoration absieht, für spätere Generationen, deren Raumbcdürfnisse sich noch vergrößert haben, nachahmungswürdigcr sind als die meisten Innenräume der Renaissance. Auch gelang es dem Barockstil, in der Gestaltung der Fassaden eine Energie des monumentalen Ausdrucks zu erringen, welche ebenfalls über die Schöpfungen der Renaissance hinausgeht. Nach dieser Seite bedeutet der Rokokostil einen Rückschritt. Während sich im Barocco die monumentale und die malerische Erscheinungsform noch so ziemlich die Waage hielten, durchbrach im Nokokostil das malerische Element rücksichtslos den architektonischen Nahmen. Es war nur die natürliche Folge jenes im Wesen der Renaissance ruhenden Todeskeimes, daß der letzte Ausläufer derselben von der dekorativen Plastik und Malerei wie von einer verderblichen Schlingpflanze derartig überwuchert wurde, daß der architektonische Gedanke darunter völlig zu gründe ging. Die Schicksale, welche das Kunstgewerbe während der drei Jahrhunderte durchzumachen hatte, sind dem Entwicklungsgange der Architektur konform, ob¬ wohl das Kunsthandwerk damals von der letztern noch nicht so abhängig war wie heute. Die Handwerker machten sich ihre Entwürfe selbst, und es kam auch wohl vor, daß sie dieselben zum Nutzen andrer durch Kupferstich und Holzschnitt vervielfältigen ließen. Insbesondre sind es Goldschmiede gewesen, welche derartige Sammlungen in die Öffentlichkeit schickten. Dann gab es anch Maler, Zeichner und Kupferstecher, welche ornamentale Entwürfe und allerhand Geräte zum Gebrauch für das Handwerk komponirter und in ganzen „Kunstbüchlein," einzelnen Serien und fliegenden Blättern in den Handel brachten. Auch sie griffen den neuen, über die Alpen herübergekommenen Stil mit Enthusiasmus auf, und in dem Grade, als sich ihre Musterbücher und Vorlagen verbreiteten, wurde auch der Stil der deutschen Renaissance allgemein, der sich sür die Schöpfungen des Kunsthandwerkes aus denselben Elementen zusammensetzt wie für die Schöpfungen der Architektur. Auch im Kunsthandwerk bleiben die alten Formen bestehen: sie kleiden sich nur in ein neues Gewand. Auch im Kunsthandwerk finden sich oft an demselben Geräte Zierformen des gothischen und des Renaissancestils, wie z. B. die Silberarbeiten des Antonius Eisenhoit aus Warburg beweisen, und es kann nicht geleugnet werden, daß in dieser Stilmischung ein ganz besondrer Reiz der deutschen Re¬ naissance liegt. An diesen Stil nun, dessen wesentlichen Charakter wir im obigen skizzirt haben, klammern sich Architektur und Kunstgewerbe der Gegenwart. Durch die Wiederbelebung der deutschen Renaissance hofft man unsrer Kunst einen natio¬ nalen Inhalt zu geben, und eine Summe einsichtsvoller und erfinderischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/51>, abgerufen am 22.07.2024.