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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Postsparkassen im Reichstage.

Wirkungen von den Postsparkassen zu hoffen waren. Wenn auch in Anschlag
zu bringen ist, daß in den fremden Ländern im allgemeinen ein Kommunal-
sparkasscnverkehr fehlte, so ist doch durch diese Vorbilder klar erwiesen, daß eine
Vermehrung der Sparstellcn und eine Herabsetzung des Minimums der Spar¬
einlagen den Sparbetrieb mächtig fördert. Die Begründung zu dem Entwurf
enthielt ein reiches statistisches Material, das deutlicher als alle Gründe spricht.
In Holland lagen 36,4 Prozent aller Einlagen während des Jahres 1882 innerhalb
der Grenze bis einschließlich 1 Gulden, weitere 46,2 Prozent zwischen 1 und 10 Gul¬
den. In Österreich kam von den während der ersten nenn Monate des Jahres 1883
geschehenen Einzahlungen von 1125800 Gulden der überwiegende Teil, nämlich
1027 500, auf Beträge von 1 bis 5 Gulden. In Belgien lagen 81,9 Prozent
aller im Jahre 1882 geleisteten Einzahlungen zwischen 1 und 20 Franks, von
den Sparkassenbüchern lauteten 51,6 Prozent über Guthaben von nicht mehr
als 20 Franks. In allen diesen Ländern und in noch andern tritt aber
auch mit Einführung der Postsparkassen eine erhebliche Vermehrung der Spar¬
einlagen ein. In Italien, welches sehr gute Kommunalsparkassen besitzt -- man
weiß, daß der schönste Palast in jeder Kommune der Sparkasse zum Obdach
dient --, haben sich die Einlagen seit dieser Einführung fast verdoppelt; sie
betrugen im Jahre 1833 mehr als 786 Millionen Lire, von denen ^ auf die
Postsparkassen entfällt. In England, wo man charakteristisch diese Sparkassen
als xsoplös xurss bezeichnet, waren die Einlagen bis zum Jahre 1880 auf
mehr als 33 Millionen Pfund Sterling gestiegen.

Gegenüber diesem Rüstzeug, mit welchem der Regierungsentwurf ausgestattet
ist, erweisen sich die Argumente der Gegner als kleinliche Notbehelfe egoistischer
oder kurzsichtiger Parteitaktik. Der erste Einwand bezog sich auf die mangelnde
Kompetenz des Reiches; eine Rolle spielten hierbei die Postreservatrechte von
Baiern und Württemberg, denen übrigens schon im Bundesrate mit der Konnivenz
Rechnung getragen war, welche die Haltung des Reichskanzlers in seiner außer¬
ordentlich bundesfreundlichen Gesinnung gegen die verbündeten Fürsten des
Königs von Preußen kennzeichnet. Wir wollen zwar die Frage nicht eingehend
erörtern; sie erscheint uns gegenüber dem vorliegenden wirtschaftlichen Bedürfnis
von so untergeordneter Bedeutung, daß man die Zuständigkeit des Reichs schaffen
müßte, wenn sie nicht schon vorhanden wäre. Solche Einwände gehören in die
Kategorie juristischer Spitzfindigkeiten, mit denen man alles und nichts beweisen
kann -- das Volk verlangt Brot, und die Opposition reicht ihm Steine, unter
denen sich der der Weisen gewiß nicht befindet. Die Postsparkassen gehören
zum Bankwesen, dessen Regelung verfassungsmäßig dem Reiche obliegt; daß zu
derselben die Postanstalten herangezogen werden, berührt die staatsrechtliche
Frage nicht, sondern bezieht sich lediglich auf die Billigkeit und Bequemlichkeit
der Verwaltung.


Die Postsparkassen im Reichstage.

Wirkungen von den Postsparkassen zu hoffen waren. Wenn auch in Anschlag
zu bringen ist, daß in den fremden Ländern im allgemeinen ein Kommunal-
sparkasscnverkehr fehlte, so ist doch durch diese Vorbilder klar erwiesen, daß eine
Vermehrung der Sparstellcn und eine Herabsetzung des Minimums der Spar¬
einlagen den Sparbetrieb mächtig fördert. Die Begründung zu dem Entwurf
enthielt ein reiches statistisches Material, das deutlicher als alle Gründe spricht.
In Holland lagen 36,4 Prozent aller Einlagen während des Jahres 1882 innerhalb
der Grenze bis einschließlich 1 Gulden, weitere 46,2 Prozent zwischen 1 und 10 Gul¬
den. In Österreich kam von den während der ersten nenn Monate des Jahres 1883
geschehenen Einzahlungen von 1125800 Gulden der überwiegende Teil, nämlich
1027 500, auf Beträge von 1 bis 5 Gulden. In Belgien lagen 81,9 Prozent
aller im Jahre 1882 geleisteten Einzahlungen zwischen 1 und 20 Franks, von
den Sparkassenbüchern lauteten 51,6 Prozent über Guthaben von nicht mehr
als 20 Franks. In allen diesen Ländern und in noch andern tritt aber
auch mit Einführung der Postsparkassen eine erhebliche Vermehrung der Spar¬
einlagen ein. In Italien, welches sehr gute Kommunalsparkassen besitzt — man
weiß, daß der schönste Palast in jeder Kommune der Sparkasse zum Obdach
dient —, haben sich die Einlagen seit dieser Einführung fast verdoppelt; sie
betrugen im Jahre 1833 mehr als 786 Millionen Lire, von denen ^ auf die
Postsparkassen entfällt. In England, wo man charakteristisch diese Sparkassen
als xsoplös xurss bezeichnet, waren die Einlagen bis zum Jahre 1880 auf
mehr als 33 Millionen Pfund Sterling gestiegen.

Gegenüber diesem Rüstzeug, mit welchem der Regierungsentwurf ausgestattet
ist, erweisen sich die Argumente der Gegner als kleinliche Notbehelfe egoistischer
oder kurzsichtiger Parteitaktik. Der erste Einwand bezog sich auf die mangelnde
Kompetenz des Reiches; eine Rolle spielten hierbei die Postreservatrechte von
Baiern und Württemberg, denen übrigens schon im Bundesrate mit der Konnivenz
Rechnung getragen war, welche die Haltung des Reichskanzlers in seiner außer¬
ordentlich bundesfreundlichen Gesinnung gegen die verbündeten Fürsten des
Königs von Preußen kennzeichnet. Wir wollen zwar die Frage nicht eingehend
erörtern; sie erscheint uns gegenüber dem vorliegenden wirtschaftlichen Bedürfnis
von so untergeordneter Bedeutung, daß man die Zuständigkeit des Reichs schaffen
müßte, wenn sie nicht schon vorhanden wäre. Solche Einwände gehören in die
Kategorie juristischer Spitzfindigkeiten, mit denen man alles und nichts beweisen
kann — das Volk verlangt Brot, und die Opposition reicht ihm Steine, unter
denen sich der der Weisen gewiß nicht befindet. Die Postsparkassen gehören
zum Bankwesen, dessen Regelung verfassungsmäßig dem Reiche obliegt; daß zu
derselben die Postanstalten herangezogen werden, berührt die staatsrechtliche
Frage nicht, sondern bezieht sich lediglich auf die Billigkeit und Bequemlichkeit
der Verwaltung.


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[0506] Die Postsparkassen im Reichstage. Wirkungen von den Postsparkassen zu hoffen waren. Wenn auch in Anschlag zu bringen ist, daß in den fremden Ländern im allgemeinen ein Kommunal- sparkasscnverkehr fehlte, so ist doch durch diese Vorbilder klar erwiesen, daß eine Vermehrung der Sparstellcn und eine Herabsetzung des Minimums der Spar¬ einlagen den Sparbetrieb mächtig fördert. Die Begründung zu dem Entwurf enthielt ein reiches statistisches Material, das deutlicher als alle Gründe spricht. In Holland lagen 36,4 Prozent aller Einlagen während des Jahres 1882 innerhalb der Grenze bis einschließlich 1 Gulden, weitere 46,2 Prozent zwischen 1 und 10 Gul¬ den. In Österreich kam von den während der ersten nenn Monate des Jahres 1883 geschehenen Einzahlungen von 1125800 Gulden der überwiegende Teil, nämlich 1027 500, auf Beträge von 1 bis 5 Gulden. In Belgien lagen 81,9 Prozent aller im Jahre 1882 geleisteten Einzahlungen zwischen 1 und 20 Franks, von den Sparkassenbüchern lauteten 51,6 Prozent über Guthaben von nicht mehr als 20 Franks. In allen diesen Ländern und in noch andern tritt aber auch mit Einführung der Postsparkassen eine erhebliche Vermehrung der Spar¬ einlagen ein. In Italien, welches sehr gute Kommunalsparkassen besitzt — man weiß, daß der schönste Palast in jeder Kommune der Sparkasse zum Obdach dient —, haben sich die Einlagen seit dieser Einführung fast verdoppelt; sie betrugen im Jahre 1833 mehr als 786 Millionen Lire, von denen ^ auf die Postsparkassen entfällt. In England, wo man charakteristisch diese Sparkassen als xsoplös xurss bezeichnet, waren die Einlagen bis zum Jahre 1880 auf mehr als 33 Millionen Pfund Sterling gestiegen. Gegenüber diesem Rüstzeug, mit welchem der Regierungsentwurf ausgestattet ist, erweisen sich die Argumente der Gegner als kleinliche Notbehelfe egoistischer oder kurzsichtiger Parteitaktik. Der erste Einwand bezog sich auf die mangelnde Kompetenz des Reiches; eine Rolle spielten hierbei die Postreservatrechte von Baiern und Württemberg, denen übrigens schon im Bundesrate mit der Konnivenz Rechnung getragen war, welche die Haltung des Reichskanzlers in seiner außer¬ ordentlich bundesfreundlichen Gesinnung gegen die verbündeten Fürsten des Königs von Preußen kennzeichnet. Wir wollen zwar die Frage nicht eingehend erörtern; sie erscheint uns gegenüber dem vorliegenden wirtschaftlichen Bedürfnis von so untergeordneter Bedeutung, daß man die Zuständigkeit des Reichs schaffen müßte, wenn sie nicht schon vorhanden wäre. Solche Einwände gehören in die Kategorie juristischer Spitzfindigkeiten, mit denen man alles und nichts beweisen kann — das Volk verlangt Brot, und die Opposition reicht ihm Steine, unter denen sich der der Weisen gewiß nicht befindet. Die Postsparkassen gehören zum Bankwesen, dessen Regelung verfassungsmäßig dem Reiche obliegt; daß zu derselben die Postanstalten herangezogen werden, berührt die staatsrechtliche Frage nicht, sondern bezieht sich lediglich auf die Billigkeit und Bequemlichkeit der Verwaltung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/506>, abgerufen am 23.07.2024.