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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Postsparkassen im Reichstage.

völkernng Nutzen und Vorteil. Es sollten hier nur die in die Augen springenden
Punkte erwähnt werden; sie werden genügen, um jeden Zweifel darüber zu be¬
seitigen, daß der deutsche Gesetzgeber so sinnlos sein könnte, diese Institute
schädigen zu Wollen. Wohl aber mußte derselbe sich die Frage vorlegen, ob
nicht ein Mittel gefunden werden könne, welches, wie im Jahre 1338, gerade
für das Bedürfnis der ärmeren Klasse berechnet sei. Denn seit dieser Zeit
haben sich die sozialen Verhältnisse erheblich verschoben; neben dem kleinen
Bürger- und Bauernstande ist in der Arbeiterbevölkerung in den Städten und
auf dem Lande ein Proletariat aufgewachsen, dessen Besserung und Hebung in
materieller und moralischer Beziehung eine der vornehmsten Sorgen unsers
greisen Heldenkaisers und seines großen Kanzlers bilden. Prüft man die be¬
stehenden Sparkassen auf ihre innere Einrichtung, so sind es sehr bemerkenswerte
Hindernisse, welche dem Sparen des kleinen Mannes entgegentreten. Einmal
sind die Sparstellen im Verhältnis zu der Bevölkerung doch nur sehr genug.
Mehr als ein Drittel der Orte über 2000 Einwohner, selbst ein Teil derjenigen
über 5000 Einwohner, war in Preußen ohne jegliche Spargelegenheit. Über¬
dies waren in den einzelnen Provinzen je nach deren Wohlhabenheit die Spar¬
kasse" sehr ungleich verteilt; es schwankt die Spnrstelle zwischen 14000 und
60 000 Einwohnern; ja in dem treuen, aber oft genug nur allzu stiefmütterlich
bedachten Ostpreußen bedürfen die Sparer oft an zwei Meilen, um ihren Spar¬
pfennig zur Aufbewahrung abliefern zu können. Soll aber der Arbeiter und
kleine Mann zum Sparen gereizt werden, so muß ihm die Gelegenheit zum
Sparen fast in jedem Orte und in jedem Viertel geboten werden. Der zweite
Hinderungsgrund liegt in der Festsetzung eines Minimums für die Einlagen; diese
Anordnung empfiehlt sich für die Kommunalsparkassen mit Rücksicht auf die Bequem¬
lichkeit und die Kosten der Verwaltung. Dem kleinen Manne wird aber dadurch die
Möglichkeit zum Sparen vielfach entzogen; er besitzt keinen eisernen Geldschrank,
in welchem er das Geld solange aufsparen kann, bis die Minimalsumme er¬
reicht ist, welche die Kasse annimmt. Sein Aufbewahrungsort bietet in deu
wenigsten Fällen genügende Sicherheit gegen Diebstahl; trügt er das Geld aber
mit sich herum, so steht er unter dem Druck und der Lockung einer beständigen
Versuchung, welcher er nicht selten auch unterliegt. Endlich sind die bestehenden
Kommunalkassen ausschließlich auf eine seßhafte Bevölkerung berechnet; wer bei
ihnen Geld einlegen oder abholen will, muß in ihren Bureaus erscheinen. Der
fluktuirenden Arbeiterbevölkerung, die heute hier und morgen dort arbeitet, ist
daher die Benutzung dieser Kassen geradezu unmöglich gemacht. Wie viele Tau¬
sende von Arbeitern finden im Sommer Arbeit in Gegenden, welche von ihrer
eigentlichen Heimat und ihrem Wohnsitze weit entfernt sind: wer ist nicht ost-
und westpreußischen Erdarbeitern bei den Eisenbahnbauten am Rhein, bei den
Befestigungswerken um Straßburg und Metz begegnet? Diese Leute verdienen
in den Sommermonaten ihren Unterhalt für den Winter. Wie sollen sie nun


Die Postsparkassen im Reichstage.

völkernng Nutzen und Vorteil. Es sollten hier nur die in die Augen springenden
Punkte erwähnt werden; sie werden genügen, um jeden Zweifel darüber zu be¬
seitigen, daß der deutsche Gesetzgeber so sinnlos sein könnte, diese Institute
schädigen zu Wollen. Wohl aber mußte derselbe sich die Frage vorlegen, ob
nicht ein Mittel gefunden werden könne, welches, wie im Jahre 1338, gerade
für das Bedürfnis der ärmeren Klasse berechnet sei. Denn seit dieser Zeit
haben sich die sozialen Verhältnisse erheblich verschoben; neben dem kleinen
Bürger- und Bauernstande ist in der Arbeiterbevölkerung in den Städten und
auf dem Lande ein Proletariat aufgewachsen, dessen Besserung und Hebung in
materieller und moralischer Beziehung eine der vornehmsten Sorgen unsers
greisen Heldenkaisers und seines großen Kanzlers bilden. Prüft man die be¬
stehenden Sparkassen auf ihre innere Einrichtung, so sind es sehr bemerkenswerte
Hindernisse, welche dem Sparen des kleinen Mannes entgegentreten. Einmal
sind die Sparstellen im Verhältnis zu der Bevölkerung doch nur sehr genug.
Mehr als ein Drittel der Orte über 2000 Einwohner, selbst ein Teil derjenigen
über 5000 Einwohner, war in Preußen ohne jegliche Spargelegenheit. Über¬
dies waren in den einzelnen Provinzen je nach deren Wohlhabenheit die Spar¬
kasse« sehr ungleich verteilt; es schwankt die Spnrstelle zwischen 14000 und
60 000 Einwohnern; ja in dem treuen, aber oft genug nur allzu stiefmütterlich
bedachten Ostpreußen bedürfen die Sparer oft an zwei Meilen, um ihren Spar¬
pfennig zur Aufbewahrung abliefern zu können. Soll aber der Arbeiter und
kleine Mann zum Sparen gereizt werden, so muß ihm die Gelegenheit zum
Sparen fast in jedem Orte und in jedem Viertel geboten werden. Der zweite
Hinderungsgrund liegt in der Festsetzung eines Minimums für die Einlagen; diese
Anordnung empfiehlt sich für die Kommunalsparkassen mit Rücksicht auf die Bequem¬
lichkeit und die Kosten der Verwaltung. Dem kleinen Manne wird aber dadurch die
Möglichkeit zum Sparen vielfach entzogen; er besitzt keinen eisernen Geldschrank,
in welchem er das Geld solange aufsparen kann, bis die Minimalsumme er¬
reicht ist, welche die Kasse annimmt. Sein Aufbewahrungsort bietet in deu
wenigsten Fällen genügende Sicherheit gegen Diebstahl; trügt er das Geld aber
mit sich herum, so steht er unter dem Druck und der Lockung einer beständigen
Versuchung, welcher er nicht selten auch unterliegt. Endlich sind die bestehenden
Kommunalkassen ausschließlich auf eine seßhafte Bevölkerung berechnet; wer bei
ihnen Geld einlegen oder abholen will, muß in ihren Bureaus erscheinen. Der
fluktuirenden Arbeiterbevölkerung, die heute hier und morgen dort arbeitet, ist
daher die Benutzung dieser Kassen geradezu unmöglich gemacht. Wie viele Tau¬
sende von Arbeitern finden im Sommer Arbeit in Gegenden, welche von ihrer
eigentlichen Heimat und ihrem Wohnsitze weit entfernt sind: wer ist nicht ost-
und westpreußischen Erdarbeitern bei den Eisenbahnbauten am Rhein, bei den
Befestigungswerken um Straßburg und Metz begegnet? Diese Leute verdienen
in den Sommermonaten ihren Unterhalt für den Winter. Wie sollen sie nun


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[0504] Die Postsparkassen im Reichstage. völkernng Nutzen und Vorteil. Es sollten hier nur die in die Augen springenden Punkte erwähnt werden; sie werden genügen, um jeden Zweifel darüber zu be¬ seitigen, daß der deutsche Gesetzgeber so sinnlos sein könnte, diese Institute schädigen zu Wollen. Wohl aber mußte derselbe sich die Frage vorlegen, ob nicht ein Mittel gefunden werden könne, welches, wie im Jahre 1338, gerade für das Bedürfnis der ärmeren Klasse berechnet sei. Denn seit dieser Zeit haben sich die sozialen Verhältnisse erheblich verschoben; neben dem kleinen Bürger- und Bauernstande ist in der Arbeiterbevölkerung in den Städten und auf dem Lande ein Proletariat aufgewachsen, dessen Besserung und Hebung in materieller und moralischer Beziehung eine der vornehmsten Sorgen unsers greisen Heldenkaisers und seines großen Kanzlers bilden. Prüft man die be¬ stehenden Sparkassen auf ihre innere Einrichtung, so sind es sehr bemerkenswerte Hindernisse, welche dem Sparen des kleinen Mannes entgegentreten. Einmal sind die Sparstellen im Verhältnis zu der Bevölkerung doch nur sehr genug. Mehr als ein Drittel der Orte über 2000 Einwohner, selbst ein Teil derjenigen über 5000 Einwohner, war in Preußen ohne jegliche Spargelegenheit. Über¬ dies waren in den einzelnen Provinzen je nach deren Wohlhabenheit die Spar¬ kasse« sehr ungleich verteilt; es schwankt die Spnrstelle zwischen 14000 und 60 000 Einwohnern; ja in dem treuen, aber oft genug nur allzu stiefmütterlich bedachten Ostpreußen bedürfen die Sparer oft an zwei Meilen, um ihren Spar¬ pfennig zur Aufbewahrung abliefern zu können. Soll aber der Arbeiter und kleine Mann zum Sparen gereizt werden, so muß ihm die Gelegenheit zum Sparen fast in jedem Orte und in jedem Viertel geboten werden. Der zweite Hinderungsgrund liegt in der Festsetzung eines Minimums für die Einlagen; diese Anordnung empfiehlt sich für die Kommunalsparkassen mit Rücksicht auf die Bequem¬ lichkeit und die Kosten der Verwaltung. Dem kleinen Manne wird aber dadurch die Möglichkeit zum Sparen vielfach entzogen; er besitzt keinen eisernen Geldschrank, in welchem er das Geld solange aufsparen kann, bis die Minimalsumme er¬ reicht ist, welche die Kasse annimmt. Sein Aufbewahrungsort bietet in deu wenigsten Fällen genügende Sicherheit gegen Diebstahl; trügt er das Geld aber mit sich herum, so steht er unter dem Druck und der Lockung einer beständigen Versuchung, welcher er nicht selten auch unterliegt. Endlich sind die bestehenden Kommunalkassen ausschließlich auf eine seßhafte Bevölkerung berechnet; wer bei ihnen Geld einlegen oder abholen will, muß in ihren Bureaus erscheinen. Der fluktuirenden Arbeiterbevölkerung, die heute hier und morgen dort arbeitet, ist daher die Benutzung dieser Kassen geradezu unmöglich gemacht. Wie viele Tau¬ sende von Arbeitern finden im Sommer Arbeit in Gegenden, welche von ihrer eigentlichen Heimat und ihrem Wohnsitze weit entfernt sind: wer ist nicht ost- und westpreußischen Erdarbeitern bei den Eisenbahnbauten am Rhein, bei den Befestigungswerken um Straßburg und Metz begegnet? Diese Leute verdienen in den Sommermonaten ihren Unterhalt für den Winter. Wie sollen sie nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/504>, abgerufen am 23.07.2024.