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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine Perle.

sie noch gelaunt und erzählte mit bitterbösen Worte", wie sie einst, über das
Wappen ihres Stammhauses befragt, lachend gesagt habe, dasselbe sei ihr
längst aus dein Sinn gekommen, vielleicht habe es auch eine Leiter im Schilde
geführt, wenn nicht gnr eine Strickleiter, und ein schmuckes Knäbchen mit Bogen
und Köcher auf einer der Sprossen -->sie sei leine Heilige gewesen und hoffe
auch nie kauonisirt zu werden.

Florida suchte sich das Ansehen zu geben, als beliebe der Vater zu scherzen,
aber seine trübe Miene verscheuchte das Lächeln ihres Mundes, und das Blut
stieg ihr in die Wangen; denn das Nachwirken des bösen Beispiels, von dem
er kurz zuvor gesprochen hatte, beängstigte sie jetzt selbst, und sie sagte uuter
dem Drucke dieses Gefühls: Es war uicht schön von der Urahne, so etwas ins
Gelag hineinzureden, und wir wollen es lieber beide zu vergessen suchen.

Der Rückweg ging durch die Via Cappello (heute San Sebastian"). Die
Sonne warf im Niedergehen ihre Strahlen in so gerader Richtung in die
Straße, daß ihrer Blendung nicht auszuweichen war. Florida hielt vergebens
den Fächer vor das Gesicht. Der Alte bemerkte mir das letztere, ohne die
Veranlassung zu beachten. Er sagte kein Wort, aber Florida hatte das Gefühl,
als habe sein Blick sie mit Mißtrauen gestreift, und die Nöte stieg ihr von
neuem in die Wangen.

Vor einer Osteria machte der alte Buvnaeolsi mitten im Strome der
Spaziergänger und der Geschästsciligcu Halt und deutete mit der knochigen
Hand auf einen über der Thür der Osteria in Stein gehauenen Hut. Treten
wir etwas auf die Seite, sagte er, denn die Leute hier haben andre Dinge im
Kopfe, und man muß ihnen nicht zumuten, daß sie einem ausweichen. Der Hut
dort, fuhr er, gegen Florida gewendet, fort, indem er, mit dem Rücken gegen
einen Brunnen gelehnt, Florida ans dem niedrigen steinernen Rande desselben
Posto fassen hieß, damit sie über die Passanten wegblicken konnte -- der Hut
dort ist das Wappen eines in Verona einst angesehen gewesenen Geschlechts
mit Namen Cappnletti. Hier in Verona weiß man freilich nur, daß in der
Osteria drüben ein guter, reiner und nicht zu hitziger Landwein geschenkt wird;
unter taufenden wird kaum einer sein, der ans Befragen von der Osteria und
ihrem Wappen andres zu erzählen weiß, als daß vor grauen Jahren unter
den fleißigen Trinkern der Osteria auch ein Abbate gewesen sei, der nie soviel
Geld in der Tasche wie Durst in der Kehle gehabt habe. Nachdem er, so er¬
zählt man weiter, nach manchem Jahrzehnt Schuldenmachens zur Würde eines
Kardinals emporgestiegen und dadurch zu fetten Pfründen gelangt sei, habe
nun der Wirt ihn wohl hin und wieder an die ausgelaufene Zechschuld schüch¬
tern mahnen lassen, sei aber bei Lebzeiten des hohen Herrn nicht zu dem Sei¬
nigen gelangt und habe nach dem Tode des harthörigen Prälaten zur Warnung
für andre Schuldenmacher einen Kardinalshut über der Thür der Osteria in
Stein aushauen lassen, ein Kunstwerk, das er bald darauf, und zwar auf Re-


Grenzbow, I. 188S. 01
Um eine Perle.

sie noch gelaunt und erzählte mit bitterbösen Worte», wie sie einst, über das
Wappen ihres Stammhauses befragt, lachend gesagt habe, dasselbe sei ihr
längst aus dein Sinn gekommen, vielleicht habe es auch eine Leiter im Schilde
geführt, wenn nicht gnr eine Strickleiter, und ein schmuckes Knäbchen mit Bogen
und Köcher auf einer der Sprossen —>sie sei leine Heilige gewesen und hoffe
auch nie kauonisirt zu werden.

Florida suchte sich das Ansehen zu geben, als beliebe der Vater zu scherzen,
aber seine trübe Miene verscheuchte das Lächeln ihres Mundes, und das Blut
stieg ihr in die Wangen; denn das Nachwirken des bösen Beispiels, von dem
er kurz zuvor gesprochen hatte, beängstigte sie jetzt selbst, und sie sagte uuter
dem Drucke dieses Gefühls: Es war uicht schön von der Urahne, so etwas ins
Gelag hineinzureden, und wir wollen es lieber beide zu vergessen suchen.

Der Rückweg ging durch die Via Cappello (heute San Sebastian»). Die
Sonne warf im Niedergehen ihre Strahlen in so gerader Richtung in die
Straße, daß ihrer Blendung nicht auszuweichen war. Florida hielt vergebens
den Fächer vor das Gesicht. Der Alte bemerkte mir das letztere, ohne die
Veranlassung zu beachten. Er sagte kein Wort, aber Florida hatte das Gefühl,
als habe sein Blick sie mit Mißtrauen gestreift, und die Nöte stieg ihr von
neuem in die Wangen.

Vor einer Osteria machte der alte Buvnaeolsi mitten im Strome der
Spaziergänger und der Geschästsciligcu Halt und deutete mit der knochigen
Hand auf einen über der Thür der Osteria in Stein gehauenen Hut. Treten
wir etwas auf die Seite, sagte er, denn die Leute hier haben andre Dinge im
Kopfe, und man muß ihnen nicht zumuten, daß sie einem ausweichen. Der Hut
dort, fuhr er, gegen Florida gewendet, fort, indem er, mit dem Rücken gegen
einen Brunnen gelehnt, Florida ans dem niedrigen steinernen Rande desselben
Posto fassen hieß, damit sie über die Passanten wegblicken konnte — der Hut
dort ist das Wappen eines in Verona einst angesehen gewesenen Geschlechts
mit Namen Cappnletti. Hier in Verona weiß man freilich nur, daß in der
Osteria drüben ein guter, reiner und nicht zu hitziger Landwein geschenkt wird;
unter taufenden wird kaum einer sein, der ans Befragen von der Osteria und
ihrem Wappen andres zu erzählen weiß, als daß vor grauen Jahren unter
den fleißigen Trinkern der Osteria auch ein Abbate gewesen sei, der nie soviel
Geld in der Tasche wie Durst in der Kehle gehabt habe. Nachdem er, so er¬
zählt man weiter, nach manchem Jahrzehnt Schuldenmachens zur Würde eines
Kardinals emporgestiegen und dadurch zu fetten Pfründen gelangt sei, habe
nun der Wirt ihn wohl hin und wieder an die ausgelaufene Zechschuld schüch¬
tern mahnen lassen, sei aber bei Lebzeiten des hohen Herrn nicht zu dem Sei¬
nigen gelangt und habe nach dem Tode des harthörigen Prälaten zur Warnung
für andre Schuldenmacher einen Kardinalshut über der Thür der Osteria in
Stein aushauen lassen, ein Kunstwerk, das er bald darauf, und zwar auf Re-


Grenzbow, I. 188S. 01
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/493>, abgerufen am 22.07.2024.