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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Hat die deutsche Renaissance eins Ankunft?

Künstlerphysivgnomien treten aus dem dichten Gewebe, an welchem zahllose
Hände gearbeitet haben, nicht heraus. Der Hauptgrund dieser Erscheinung liegt
sicherlich darin, daß damals in Deutschland Kunst und Handwerk nicht in dem Grade
getrennt waren wie heute. Der erfindende und der ausführende Künstler waren
meist in einer Person vereinigt. Es gab damals noch keine Baumeister, welche
den Entwurf machten und dann Maurermeister und Steinmetzen in ihren Dienst
nahmen. Da überdies die Organisation der gothischen Bauhütten noch nach¬
wirkte, vollzog sich die Entwicklung der technischen Fähigkeiten innerhalb der
verschiednen Künstler- und Hcmdwerkerkrcise ziemlich gleichmäßig. Auch verhielt
sich Deutschland gegen das Eindringen der durch die Italiener umgebildeten antiken
Formenelemcnte ziemlich konservativ. Es ist bekannt, daß der gothische Stil,
freilich in starker Verwilderung, sich noch bis in die Spätzeit des sechzehnten
Jahrhunderts hinein lebenskräftig erhielt, und daß die Zierformen der italienischen
Art zum Teil noch neben der gothischen Ornamentik angewendet, zum Teil nur
sehr äußerlich auf das konstruktive Gerüst des mittelalterlichen Baustils auf¬
geklebt wurden.

Wenn man die Bedeutung der Renaissance richtig würdigen will, darf man
überhaupt nicht außer Acht lassen, daß dieselbe bei weitem nicht in dem Grade trieb-
uud entwicklungsfähig gewesen ist wie die romanische und die gothische Baukunst.
Die Keimkraft eines Baustils beruht in seinen konstruktiven Elementen, ins¬
besondre in der Art und Weise, wie der Raum, das eigentliche Gebilde der
Baukunst, nach oben zum Abschluß gebracht wird. Wenn wir nach dieser Rich¬
tung hin die Eigentümlichkeiten der drei großen Epochen der Baukunst bis zur
Renaissance in eine knappe Formel bringen wollen, dürfen wir sagen, daß die
griechische Architektur durch die beiden zusammenwirkenden Elemente der Säule
und des Gehalts das Prinzip der horizontalen Deckung aufgestellt, daß die
romanische Baukunst durch die Einführung des Rundbogens das System der
gewölbten Decken begründet und die Gothik mit Hilfe des Spitzbogens und des
Strebepfeilers die Höhentendenz der Decke soweit getrieben hat, als es auf
Grund des Stcinmciterials überhaupt möglich war. Was hat nach dieser Rich¬
tung hin die Renaissance gewirkt und neues gebracht? Streng genommen: nichts.
In Italien, wo der romanische Stil auch im späten Mittelalter das Übergewicht
über den gothischen behalten hatte, griffen die Baukünstler der Renaissance den
Gedanken des Gewölbebaues auf und bildeten ihn zu großartigster Wirkung aus,
wofür die Florentiner Domkuppel und die Kuppel von Se. Peter die glän¬
zendsten Beispiele sind. Im übrigen ist bekanntlich die kirchliche Architektur die
schwächste Seite der Renaissance. Im Profanbau mußte sich das Prinzip der
Deckenwölbung zu eiuer ungleich bescheideneren Rolle bequemen. Man half sich
mit kleinen Kuppelsystemen, mit Stichkappen, Zwickeln, Sterngewölben und mit
allerlei bunten Kombinationen, um alsdann die ganze schöpferische Kraft der
Renaissance auf die Ausbildung der Innenräume und die Dekoration zu kom-


Hat die deutsche Renaissance eins Ankunft?

Künstlerphysivgnomien treten aus dem dichten Gewebe, an welchem zahllose
Hände gearbeitet haben, nicht heraus. Der Hauptgrund dieser Erscheinung liegt
sicherlich darin, daß damals in Deutschland Kunst und Handwerk nicht in dem Grade
getrennt waren wie heute. Der erfindende und der ausführende Künstler waren
meist in einer Person vereinigt. Es gab damals noch keine Baumeister, welche
den Entwurf machten und dann Maurermeister und Steinmetzen in ihren Dienst
nahmen. Da überdies die Organisation der gothischen Bauhütten noch nach¬
wirkte, vollzog sich die Entwicklung der technischen Fähigkeiten innerhalb der
verschiednen Künstler- und Hcmdwerkerkrcise ziemlich gleichmäßig. Auch verhielt
sich Deutschland gegen das Eindringen der durch die Italiener umgebildeten antiken
Formenelemcnte ziemlich konservativ. Es ist bekannt, daß der gothische Stil,
freilich in starker Verwilderung, sich noch bis in die Spätzeit des sechzehnten
Jahrhunderts hinein lebenskräftig erhielt, und daß die Zierformen der italienischen
Art zum Teil noch neben der gothischen Ornamentik angewendet, zum Teil nur
sehr äußerlich auf das konstruktive Gerüst des mittelalterlichen Baustils auf¬
geklebt wurden.

Wenn man die Bedeutung der Renaissance richtig würdigen will, darf man
überhaupt nicht außer Acht lassen, daß dieselbe bei weitem nicht in dem Grade trieb-
uud entwicklungsfähig gewesen ist wie die romanische und die gothische Baukunst.
Die Keimkraft eines Baustils beruht in seinen konstruktiven Elementen, ins¬
besondre in der Art und Weise, wie der Raum, das eigentliche Gebilde der
Baukunst, nach oben zum Abschluß gebracht wird. Wenn wir nach dieser Rich¬
tung hin die Eigentümlichkeiten der drei großen Epochen der Baukunst bis zur
Renaissance in eine knappe Formel bringen wollen, dürfen wir sagen, daß die
griechische Architektur durch die beiden zusammenwirkenden Elemente der Säule
und des Gehalts das Prinzip der horizontalen Deckung aufgestellt, daß die
romanische Baukunst durch die Einführung des Rundbogens das System der
gewölbten Decken begründet und die Gothik mit Hilfe des Spitzbogens und des
Strebepfeilers die Höhentendenz der Decke soweit getrieben hat, als es auf
Grund des Stcinmciterials überhaupt möglich war. Was hat nach dieser Rich¬
tung hin die Renaissance gewirkt und neues gebracht? Streng genommen: nichts.
In Italien, wo der romanische Stil auch im späten Mittelalter das Übergewicht
über den gothischen behalten hatte, griffen die Baukünstler der Renaissance den
Gedanken des Gewölbebaues auf und bildeten ihn zu großartigster Wirkung aus,
wofür die Florentiner Domkuppel und die Kuppel von Se. Peter die glän¬
zendsten Beispiele sind. Im übrigen ist bekanntlich die kirchliche Architektur die
schwächste Seite der Renaissance. Im Profanbau mußte sich das Prinzip der
Deckenwölbung zu eiuer ungleich bescheideneren Rolle bequemen. Man half sich
mit kleinen Kuppelsystemen, mit Stichkappen, Zwickeln, Sterngewölben und mit
allerlei bunten Kombinationen, um alsdann die ganze schöpferische Kraft der
Renaissance auf die Ausbildung der Innenräume und die Dekoration zu kom-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/49>, abgerufen am 22.07.2024.