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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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durch ihre Feinheit und Durchsichtigkeit besonders berühmten Stoffe aus den
Webereien der Insel Amorgos offenbar nur vorübergehend, in der Zeit der
ältern attischen Komödie, besonders beliebt waren; spätere Erwähnungen dieser
Stoffe scheinen fast durchweg mehr gelehrte Anspielungen, als der thatsächlichen
Wirklichkeit entnommen zu sei".

Während nun in der Kleidung uns die Denkmäler einen weit reicheren
Aufschluß über den Wechsel der Mode gewähren als die schriftlichen Nachrichten,
liegt die Sache umgekehrt beim Schuhwerk. Denn obgleich die Männer im
Hause meist unbeschuht zu gehen pflegten und bei den Frauen die Sandalen
Wohl das ganze Altertum hindurch wenigstens für das Haus die herrschende
Tracht geworden zu sein scheinen, so zeigen uns doch die zahlreichen bei den
Schriftstellern erhaltenen Benennungen des Schuhwerkes, daß die Mode gerade
in diesem Teile der Tracht ganz besonders veränderlich war. Nach den Perser-
kriegen waren Schuhe nach persischem Schnitt in Mode; gleichzeitig finden wir
lakonisches Schuhwerk auch in Attika im Gebrauch. Später kommen rhodische,
thessalische, böotische, argivische, sikhvnische, amhkläische Schuhe auf, wobei es
sich jedenfalls immer mehr um Schnitt und Art, als um den Fabrikativnsort
handelte. Freilich können wir den Gebrauch dieser verschiedenen Gattungen nicht
chronologisch verfolgen, dafür reichen die Schriftquellen nicht aus, aber es ist
wahrscheinlich, daß die von irgendwelcher Stadt oder Landschaft ausgehende
Schuhtracht sich für längere oder kürzere Zeit auch weiterhin Geltung zu ver¬
schaffen wußte und ebenso "in die Mode kam," wie das andrerseits mit
Schuhen der Fall ist, welche einzelne Männer von Bedeutung, wie Alkibiades,
Jphikrates u. ni., aufbrachten und welche nach diesen ihren Erfindern benannt
wurden. Diese reiche Mannichfaltigkeit der Fußbekleidungen können wir aus
den Denkmälern nicht illustriren, obgleich es auch auf diesen nicht an Ab¬
wechslung fehlt.

Ob man bei den Schmucksachen, bei denen gewisse Unterschiede der früheren
gegen die späteren Zeiten vereinzelt zu beobachten sind, obgleich das Material
zu einer vollständigen Beurteilung derselben nicht ausreicht, ebenfalls von einem
Wechsel der Mode sprechen darf, oder ob man hier nicht vielmehr gerade da,
wie beim Mobiliar und Gerät, von einer stilistischen Entwicklung zu sprechen
hat, kann fraglich erscheinen; indessen ist letzteres jedenfalls viel begründeter.
Bei uns unterliegt gegenwärtig der Schmuck ganz und gar der Mode, d. h.
seine Form wird nicht bestimmt durch die natürliche Beschaffenheit des Goldes
als Substrat und durch die Entwicklung des Goldstiles im Zusammenhange mit
den übrigen dekorativen Künsten, sondern sie unterliegt jetzt wesentlich dem Be¬
liebe" oder besser der Willkür und größeren oder geringeren Erfindungsgabe
der Goldarbeiter, ganz ebenso wie heute die Kleidermoden mehr ein Produkt
der Fabrikanten von Kleiderstoffen und der Schneider sind als das einer selb¬
ständigen und naturgemäßen Entwicklung. Wir übergehen daher hier das Ka-


durch ihre Feinheit und Durchsichtigkeit besonders berühmten Stoffe aus den
Webereien der Insel Amorgos offenbar nur vorübergehend, in der Zeit der
ältern attischen Komödie, besonders beliebt waren; spätere Erwähnungen dieser
Stoffe scheinen fast durchweg mehr gelehrte Anspielungen, als der thatsächlichen
Wirklichkeit entnommen zu sei».

Während nun in der Kleidung uns die Denkmäler einen weit reicheren
Aufschluß über den Wechsel der Mode gewähren als die schriftlichen Nachrichten,
liegt die Sache umgekehrt beim Schuhwerk. Denn obgleich die Männer im
Hause meist unbeschuht zu gehen pflegten und bei den Frauen die Sandalen
Wohl das ganze Altertum hindurch wenigstens für das Haus die herrschende
Tracht geworden zu sein scheinen, so zeigen uns doch die zahlreichen bei den
Schriftstellern erhaltenen Benennungen des Schuhwerkes, daß die Mode gerade
in diesem Teile der Tracht ganz besonders veränderlich war. Nach den Perser-
kriegen waren Schuhe nach persischem Schnitt in Mode; gleichzeitig finden wir
lakonisches Schuhwerk auch in Attika im Gebrauch. Später kommen rhodische,
thessalische, böotische, argivische, sikhvnische, amhkläische Schuhe auf, wobei es
sich jedenfalls immer mehr um Schnitt und Art, als um den Fabrikativnsort
handelte. Freilich können wir den Gebrauch dieser verschiedenen Gattungen nicht
chronologisch verfolgen, dafür reichen die Schriftquellen nicht aus, aber es ist
wahrscheinlich, daß die von irgendwelcher Stadt oder Landschaft ausgehende
Schuhtracht sich für längere oder kürzere Zeit auch weiterhin Geltung zu ver¬
schaffen wußte und ebenso „in die Mode kam," wie das andrerseits mit
Schuhen der Fall ist, welche einzelne Männer von Bedeutung, wie Alkibiades,
Jphikrates u. ni., aufbrachten und welche nach diesen ihren Erfindern benannt
wurden. Diese reiche Mannichfaltigkeit der Fußbekleidungen können wir aus
den Denkmälern nicht illustriren, obgleich es auch auf diesen nicht an Ab¬
wechslung fehlt.

Ob man bei den Schmucksachen, bei denen gewisse Unterschiede der früheren
gegen die späteren Zeiten vereinzelt zu beobachten sind, obgleich das Material
zu einer vollständigen Beurteilung derselben nicht ausreicht, ebenfalls von einem
Wechsel der Mode sprechen darf, oder ob man hier nicht vielmehr gerade da,
wie beim Mobiliar und Gerät, von einer stilistischen Entwicklung zu sprechen
hat, kann fraglich erscheinen; indessen ist letzteres jedenfalls viel begründeter.
Bei uns unterliegt gegenwärtig der Schmuck ganz und gar der Mode, d. h.
seine Form wird nicht bestimmt durch die natürliche Beschaffenheit des Goldes
als Substrat und durch die Entwicklung des Goldstiles im Zusammenhange mit
den übrigen dekorativen Künsten, sondern sie unterliegt jetzt wesentlich dem Be¬
liebe« oder besser der Willkür und größeren oder geringeren Erfindungsgabe
der Goldarbeiter, ganz ebenso wie heute die Kleidermoden mehr ein Produkt
der Fabrikanten von Kleiderstoffen und der Schneider sind als das einer selb¬
ständigen und naturgemäßen Entwicklung. Wir übergehen daher hier das Ka-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/475>, abgerufen am 23.07.2024.