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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Mode im alten Griechenland.

wirken hier nicht nur nicht störend, sondern tragen sogar in ausgezeichneter Weise
dazu bei, die Tracht als etwas selbständiges hervortreten zu lassen, ohne daß
die Deutlichkeit der Körperformen darunter litte. Im vierten Jahrhundert
v. Chr. fängt jedoch allmählich auch auf diesem Gebiete bereits wieder der Verfall
an, und seit der Zeit Alexanders des Großen wird auch bei rein hellenischer
Tracht reiche Musterung, namentlich auch mit figürlichen Darstellungen, immer
allgemeiner; besonders nnteritalische Vasengemälde zeigen darin große Üppig¬
keit. Es fehlt nicht an Beispielen unter deu Denkmälern, welche uns das Un¬
gereimte, Unästhetische dieser Mode erkennen lasse"; die reichen Muster verleihen
der ganzen Figur etwas unruhiges, die Körperformen treten unter dem Ge¬
wände vollständig zurück, und wenn sich bei figurenreichen Kanten oder Kleider¬
stoffen durch den Faltenwurf die Darstellungen verschieben oder übereinander
legen, so entstehen nicht selten ganz monströse Bildungen.

Was endlich den Stoff anlangt, so haben wir schon angeführt, daß in der
Frauentracht bei dem von Herodot bezeugten Wechsel der Kleidung der linnene
Chiton eingeführt wurde, ohne daß jedoch deshalb der Gebrauch wollener Stoffe
abgekommen wäre, bei den Männern dagegen mit Abnahme der langen Chitone
der wollene mehr allgemein wurde. Die ältere Kunst zeigt jedoch, nachdem
einmal die enganliegende Kleidertracht der ältesten Zeit abgekommen war, in der
Regel zwei Bekleidungsstoffe, einen feine und flache Falten werfenden und einen,
welcher mehr in großen und tiefen Falten bricht. Man kann nicht überall mit
Bestimmtheit behaupten, daß das zwei verschiedene Stoffe, jener Wolle, dieser
Leinwand sei; oft hat es sogar den Anschein, als seien nur zweierlei Qualitäten
desselben Materials, eine feinere, dünnere und eine gröbere, dickere damit ge¬
meint. Doch erweisen die häufige Anwendung der Leinwand die gerade in der
ältern Kunst so gewöhnlichen, regelmäßigen Zickzackfalten, die wir oben be-
sprochen haben und die wesentlich nur im Linnenstoff durch künstliche Mittel
hervorgebracht werden konnten. Wenn wir in den archaischen Denkmälern sehr
oft auf durchsichtige Gewänder stoßen, welche die Formen des Körpers voll¬
ständig durchschimmern lassen, so sind wir deshalb doch schwerlich berechtigt,
einen sehr verbreiteten Gebrauch wirklich durchsichtiger Gewänder für jene Zeit
vorauszusetzen. Wenn auch schon damals solche dünne Stoffe im Gebrauch
sein mochten, so beruht ihre so ausgedehnte Verwendung in den Vasengemälden
doch wohl mehr darauf, daß die Maler in ihrem Unvermögen, Formen und
Bewegungen des Körpers auch in der Gewandung hervortreten zu lassen,
andrerseits aber doch in dem Bestreben, dieselben nicht ganz lind gar durch die
Gewandung zu verdecken, eben dies als Auskunftsmittel wählten, daß sie die
Körperformen durch den Kleiderstoff durchschimmern ließen. In der Tracht der
Hetären waren freilich diese musselinartigen Gewebe immer beliebt; eine an¬
stündige Frau machte davon höchstens für Unterkleider Gebrauch. Daß aber
auch da die Mode mitsprechen möchte, können wir daraus schließen, daß die


Die Mode im alten Griechenland.

wirken hier nicht nur nicht störend, sondern tragen sogar in ausgezeichneter Weise
dazu bei, die Tracht als etwas selbständiges hervortreten zu lassen, ohne daß
die Deutlichkeit der Körperformen darunter litte. Im vierten Jahrhundert
v. Chr. fängt jedoch allmählich auch auf diesem Gebiete bereits wieder der Verfall
an, und seit der Zeit Alexanders des Großen wird auch bei rein hellenischer
Tracht reiche Musterung, namentlich auch mit figürlichen Darstellungen, immer
allgemeiner; besonders nnteritalische Vasengemälde zeigen darin große Üppig¬
keit. Es fehlt nicht an Beispielen unter deu Denkmälern, welche uns das Un¬
gereimte, Unästhetische dieser Mode erkennen lasse»; die reichen Muster verleihen
der ganzen Figur etwas unruhiges, die Körperformen treten unter dem Ge¬
wände vollständig zurück, und wenn sich bei figurenreichen Kanten oder Kleider¬
stoffen durch den Faltenwurf die Darstellungen verschieben oder übereinander
legen, so entstehen nicht selten ganz monströse Bildungen.

Was endlich den Stoff anlangt, so haben wir schon angeführt, daß in der
Frauentracht bei dem von Herodot bezeugten Wechsel der Kleidung der linnene
Chiton eingeführt wurde, ohne daß jedoch deshalb der Gebrauch wollener Stoffe
abgekommen wäre, bei den Männern dagegen mit Abnahme der langen Chitone
der wollene mehr allgemein wurde. Die ältere Kunst zeigt jedoch, nachdem
einmal die enganliegende Kleidertracht der ältesten Zeit abgekommen war, in der
Regel zwei Bekleidungsstoffe, einen feine und flache Falten werfenden und einen,
welcher mehr in großen und tiefen Falten bricht. Man kann nicht überall mit
Bestimmtheit behaupten, daß das zwei verschiedene Stoffe, jener Wolle, dieser
Leinwand sei; oft hat es sogar den Anschein, als seien nur zweierlei Qualitäten
desselben Materials, eine feinere, dünnere und eine gröbere, dickere damit ge¬
meint. Doch erweisen die häufige Anwendung der Leinwand die gerade in der
ältern Kunst so gewöhnlichen, regelmäßigen Zickzackfalten, die wir oben be-
sprochen haben und die wesentlich nur im Linnenstoff durch künstliche Mittel
hervorgebracht werden konnten. Wenn wir in den archaischen Denkmälern sehr
oft auf durchsichtige Gewänder stoßen, welche die Formen des Körpers voll¬
ständig durchschimmern lassen, so sind wir deshalb doch schwerlich berechtigt,
einen sehr verbreiteten Gebrauch wirklich durchsichtiger Gewänder für jene Zeit
vorauszusetzen. Wenn auch schon damals solche dünne Stoffe im Gebrauch
sein mochten, so beruht ihre so ausgedehnte Verwendung in den Vasengemälden
doch wohl mehr darauf, daß die Maler in ihrem Unvermögen, Formen und
Bewegungen des Körpers auch in der Gewandung hervortreten zu lassen,
andrerseits aber doch in dem Bestreben, dieselben nicht ganz lind gar durch die
Gewandung zu verdecken, eben dies als Auskunftsmittel wählten, daß sie die
Körperformen durch den Kleiderstoff durchschimmern ließen. In der Tracht der
Hetären waren freilich diese musselinartigen Gewebe immer beliebt; eine an¬
stündige Frau machte davon höchstens für Unterkleider Gebrauch. Daß aber
auch da die Mode mitsprechen möchte, können wir daraus schließen, daß die


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[0474] Die Mode im alten Griechenland. wirken hier nicht nur nicht störend, sondern tragen sogar in ausgezeichneter Weise dazu bei, die Tracht als etwas selbständiges hervortreten zu lassen, ohne daß die Deutlichkeit der Körperformen darunter litte. Im vierten Jahrhundert v. Chr. fängt jedoch allmählich auch auf diesem Gebiete bereits wieder der Verfall an, und seit der Zeit Alexanders des Großen wird auch bei rein hellenischer Tracht reiche Musterung, namentlich auch mit figürlichen Darstellungen, immer allgemeiner; besonders nnteritalische Vasengemälde zeigen darin große Üppig¬ keit. Es fehlt nicht an Beispielen unter deu Denkmälern, welche uns das Un¬ gereimte, Unästhetische dieser Mode erkennen lasse»; die reichen Muster verleihen der ganzen Figur etwas unruhiges, die Körperformen treten unter dem Ge¬ wände vollständig zurück, und wenn sich bei figurenreichen Kanten oder Kleider¬ stoffen durch den Faltenwurf die Darstellungen verschieben oder übereinander legen, so entstehen nicht selten ganz monströse Bildungen. Was endlich den Stoff anlangt, so haben wir schon angeführt, daß in der Frauentracht bei dem von Herodot bezeugten Wechsel der Kleidung der linnene Chiton eingeführt wurde, ohne daß jedoch deshalb der Gebrauch wollener Stoffe abgekommen wäre, bei den Männern dagegen mit Abnahme der langen Chitone der wollene mehr allgemein wurde. Die ältere Kunst zeigt jedoch, nachdem einmal die enganliegende Kleidertracht der ältesten Zeit abgekommen war, in der Regel zwei Bekleidungsstoffe, einen feine und flache Falten werfenden und einen, welcher mehr in großen und tiefen Falten bricht. Man kann nicht überall mit Bestimmtheit behaupten, daß das zwei verschiedene Stoffe, jener Wolle, dieser Leinwand sei; oft hat es sogar den Anschein, als seien nur zweierlei Qualitäten desselben Materials, eine feinere, dünnere und eine gröbere, dickere damit ge¬ meint. Doch erweisen die häufige Anwendung der Leinwand die gerade in der ältern Kunst so gewöhnlichen, regelmäßigen Zickzackfalten, die wir oben be- sprochen haben und die wesentlich nur im Linnenstoff durch künstliche Mittel hervorgebracht werden konnten. Wenn wir in den archaischen Denkmälern sehr oft auf durchsichtige Gewänder stoßen, welche die Formen des Körpers voll¬ ständig durchschimmern lassen, so sind wir deshalb doch schwerlich berechtigt, einen sehr verbreiteten Gebrauch wirklich durchsichtiger Gewänder für jene Zeit vorauszusetzen. Wenn auch schon damals solche dünne Stoffe im Gebrauch sein mochten, so beruht ihre so ausgedehnte Verwendung in den Vasengemälden doch wohl mehr darauf, daß die Maler in ihrem Unvermögen, Formen und Bewegungen des Körpers auch in der Gewandung hervortreten zu lassen, andrerseits aber doch in dem Bestreben, dieselben nicht ganz lind gar durch die Gewandung zu verdecken, eben dies als Auskunftsmittel wählten, daß sie die Körperformen durch den Kleiderstoff durchschimmern ließen. In der Tracht der Hetären waren freilich diese musselinartigen Gewebe immer beliebt; eine an¬ stündige Frau machte davon höchstens für Unterkleider Gebrauch. Daß aber auch da die Mode mitsprechen möchte, können wir daraus schließen, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/474>, abgerufen am 23.07.2024.