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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Mode im alten Griechenland.

lassen die Vasenbilder kein sicheres Urteil zu; soviel ist sicher, daß er nicht bloß
durch Nadeln befestigt werden konnte, sondern nach bestimmtem Schnitt zusammen¬
genäht sein mußte.

Der Gebrauch des kurzen Chitons für jüngere Männer, des langen für
ältere und bei besonders festlichen Anlässen bleibt auch in der Folgezeit noch
bestehen; nur wird der Chiton weiter und faltenreicher, erscheint bald mit kurzeu
Ärmeln, bald ohne solche, oder auch in der Form der auf der einen Schulter
gelösten, die Brust halb frei lassenden Exomis; dazu treten dann ferner jene
durch künstliche Stärkung und Bügelung hergestellten regelmäßigen Zickzack¬
falten, welche wir schon in der Frauentracht kennen gelernt haben und welche die
zierliche Mode der damaligen Zeit auch der Männertracht nicht ersparte. Immer¬
hin ist nicht entfernt von jener Mannichfaltigkeit und dem verhältnismüßig schnellen
Wechsel in der Mode der Männerkleidung die Rede, wie das bei der weiblichen
der Fall ist. Nach dem Zeugnis des Thukydides an einer bekannten Stelle
(I, 6) kam die Mode des langen Chitons in Athen erst im fünften Jahr¬
hundert v. Chr. ab; ältere Männer aus den wohlhabenderen Ständen trugen
noch bis kurz vor Thukydides' Zeit den langen Chiton und die altertümliche
Haartracht (über welche später); und die Sitte, durchweg die gleiche maßvolle
Tracht, d. h. einen kurzen Chiton, anzulegen, soll zuerst in Lcckedümvn auf¬
gekommen sein. Auf einen Wechsel in der Tracht hat man aus den Worten
des Thukydides nicht gerade zu schließen; sie besagt nichts andres, als daß,
während früher langer und kurzer Chiton (welche sich vermutlich nicht durch
den Schnitt des obern Teiles, sondern nur durch Läuge und Stoff unter¬
schieden, indem der lange immer, der kurze von Wolle war) neben einander
getragen wurden, später der kurze Chiton der allgemein übliche wurde. Wo
wir seitdem Männer oder Jünglinge im bloßen Chiton dargestellt sehen, ist es
denn auch überall der kurze; und dazu tritt dann für die Straßentracht das
Himation, welches in jener Weise umgelegt wird, wie wir es von da ab immer
finden, d. h. von der linken Schulter über den Rücken nach vorn herüberge¬
zogen. Nur ist zu bemerken, daß hinsichtlich der Männertracht die Vasenbilder
uns weniger Ausschluß geben als über die Frauentracht; denn während diese
offenbar meistens, wenn auch keineswegs durchweg, im Anschluß an die Wirk¬
lichkeit und zumal in älterer Zeit an die jeweilen herrschende Mode gegeben
wird, bürgert sich bei den Männern auf den Bildwerken eine Art von Jdcal-
tracht ein, welche in vielen Fällen der Wirklichkeit garnicht entsprach. So wird
es z. B. ganz allgemein, daß Epheben auf Kunstwerken in der bloßen Chlamys,
dem (ursprünglich thessalischen) Reisemantel, ohne jedes Untergewand erscheinen,
während doch im Leben niemand so einherging, sondern uuter der Chlamys
den Chiton trug; ebenso finden wir hänfig Männer ohne Chiton im bloßen
Himation, was gleichfalls im Leben zwar nicht unerhört, aber auf alle Fälle
selten war.


Die Mode im alten Griechenland.

lassen die Vasenbilder kein sicheres Urteil zu; soviel ist sicher, daß er nicht bloß
durch Nadeln befestigt werden konnte, sondern nach bestimmtem Schnitt zusammen¬
genäht sein mußte.

Der Gebrauch des kurzen Chitons für jüngere Männer, des langen für
ältere und bei besonders festlichen Anlässen bleibt auch in der Folgezeit noch
bestehen; nur wird der Chiton weiter und faltenreicher, erscheint bald mit kurzeu
Ärmeln, bald ohne solche, oder auch in der Form der auf der einen Schulter
gelösten, die Brust halb frei lassenden Exomis; dazu treten dann ferner jene
durch künstliche Stärkung und Bügelung hergestellten regelmäßigen Zickzack¬
falten, welche wir schon in der Frauentracht kennen gelernt haben und welche die
zierliche Mode der damaligen Zeit auch der Männertracht nicht ersparte. Immer¬
hin ist nicht entfernt von jener Mannichfaltigkeit und dem verhältnismüßig schnellen
Wechsel in der Mode der Männerkleidung die Rede, wie das bei der weiblichen
der Fall ist. Nach dem Zeugnis des Thukydides an einer bekannten Stelle
(I, 6) kam die Mode des langen Chitons in Athen erst im fünften Jahr¬
hundert v. Chr. ab; ältere Männer aus den wohlhabenderen Ständen trugen
noch bis kurz vor Thukydides' Zeit den langen Chiton und die altertümliche
Haartracht (über welche später); und die Sitte, durchweg die gleiche maßvolle
Tracht, d. h. einen kurzen Chiton, anzulegen, soll zuerst in Lcckedümvn auf¬
gekommen sein. Auf einen Wechsel in der Tracht hat man aus den Worten
des Thukydides nicht gerade zu schließen; sie besagt nichts andres, als daß,
während früher langer und kurzer Chiton (welche sich vermutlich nicht durch
den Schnitt des obern Teiles, sondern nur durch Läuge und Stoff unter¬
schieden, indem der lange immer, der kurze von Wolle war) neben einander
getragen wurden, später der kurze Chiton der allgemein übliche wurde. Wo
wir seitdem Männer oder Jünglinge im bloßen Chiton dargestellt sehen, ist es
denn auch überall der kurze; und dazu tritt dann für die Straßentracht das
Himation, welches in jener Weise umgelegt wird, wie wir es von da ab immer
finden, d. h. von der linken Schulter über den Rücken nach vorn herüberge¬
zogen. Nur ist zu bemerken, daß hinsichtlich der Männertracht die Vasenbilder
uns weniger Ausschluß geben als über die Frauentracht; denn während diese
offenbar meistens, wenn auch keineswegs durchweg, im Anschluß an die Wirk¬
lichkeit und zumal in älterer Zeit an die jeweilen herrschende Mode gegeben
wird, bürgert sich bei den Männern auf den Bildwerken eine Art von Jdcal-
tracht ein, welche in vielen Fällen der Wirklichkeit garnicht entsprach. So wird
es z. B. ganz allgemein, daß Epheben auf Kunstwerken in der bloßen Chlamys,
dem (ursprünglich thessalischen) Reisemantel, ohne jedes Untergewand erscheinen,
während doch im Leben niemand so einherging, sondern uuter der Chlamys
den Chiton trug; ebenso finden wir hänfig Männer ohne Chiton im bloßen
Himation, was gleichfalls im Leben zwar nicht unerhört, aber auf alle Fälle
selten war.


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[0472] Die Mode im alten Griechenland. lassen die Vasenbilder kein sicheres Urteil zu; soviel ist sicher, daß er nicht bloß durch Nadeln befestigt werden konnte, sondern nach bestimmtem Schnitt zusammen¬ genäht sein mußte. Der Gebrauch des kurzen Chitons für jüngere Männer, des langen für ältere und bei besonders festlichen Anlässen bleibt auch in der Folgezeit noch bestehen; nur wird der Chiton weiter und faltenreicher, erscheint bald mit kurzeu Ärmeln, bald ohne solche, oder auch in der Form der auf der einen Schulter gelösten, die Brust halb frei lassenden Exomis; dazu treten dann ferner jene durch künstliche Stärkung und Bügelung hergestellten regelmäßigen Zickzack¬ falten, welche wir schon in der Frauentracht kennen gelernt haben und welche die zierliche Mode der damaligen Zeit auch der Männertracht nicht ersparte. Immer¬ hin ist nicht entfernt von jener Mannichfaltigkeit und dem verhältnismüßig schnellen Wechsel in der Mode der Männerkleidung die Rede, wie das bei der weiblichen der Fall ist. Nach dem Zeugnis des Thukydides an einer bekannten Stelle (I, 6) kam die Mode des langen Chitons in Athen erst im fünften Jahr¬ hundert v. Chr. ab; ältere Männer aus den wohlhabenderen Ständen trugen noch bis kurz vor Thukydides' Zeit den langen Chiton und die altertümliche Haartracht (über welche später); und die Sitte, durchweg die gleiche maßvolle Tracht, d. h. einen kurzen Chiton, anzulegen, soll zuerst in Lcckedümvn auf¬ gekommen sein. Auf einen Wechsel in der Tracht hat man aus den Worten des Thukydides nicht gerade zu schließen; sie besagt nichts andres, als daß, während früher langer und kurzer Chiton (welche sich vermutlich nicht durch den Schnitt des obern Teiles, sondern nur durch Läuge und Stoff unter¬ schieden, indem der lange immer, der kurze von Wolle war) neben einander getragen wurden, später der kurze Chiton der allgemein übliche wurde. Wo wir seitdem Männer oder Jünglinge im bloßen Chiton dargestellt sehen, ist es denn auch überall der kurze; und dazu tritt dann für die Straßentracht das Himation, welches in jener Weise umgelegt wird, wie wir es von da ab immer finden, d. h. von der linken Schulter über den Rücken nach vorn herüberge¬ zogen. Nur ist zu bemerken, daß hinsichtlich der Männertracht die Vasenbilder uns weniger Ausschluß geben als über die Frauentracht; denn während diese offenbar meistens, wenn auch keineswegs durchweg, im Anschluß an die Wirk¬ lichkeit und zumal in älterer Zeit an die jeweilen herrschende Mode gegeben wird, bürgert sich bei den Männern auf den Bildwerken eine Art von Jdcal- tracht ein, welche in vielen Fällen der Wirklichkeit garnicht entsprach. So wird es z. B. ganz allgemein, daß Epheben auf Kunstwerken in der bloßen Chlamys, dem (ursprünglich thessalischen) Reisemantel, ohne jedes Untergewand erscheinen, während doch im Leben niemand so einherging, sondern uuter der Chlamys den Chiton trug; ebenso finden wir hänfig Männer ohne Chiton im bloßen Himation, was gleichfalls im Leben zwar nicht unerhört, aber auf alle Fälle selten war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/472>, abgerufen am 23.07.2024.