Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

nommer hat. Wie viel dabei auf Rechnung der vermehrten Bevölkerungsziffer
kommt oder auf die Abnahme des Geldwertes oder den mehr gesicherten Rechts¬
zustand oder die Entwicklung der Verkehrsmittel, die Beseitigung innerer Ver-
kehrsschranken u. dergl., ist schwerlich zu entscheiden. Jedenfalls ist die Ansicht,
daß die einfache Division der Gesamtbodenfläche eines Landes durch die Zahl
seiner Einwohner zur Wert bestimmun g des Bodens ausreiche, d. h. daß der
Wert des Bodens umso höher steige, als die Bevölkerung zunehme -- jedenfalls
ist diese Ansicht unerwiesen, und wie bereits oben angedeutet, namentlich in
England keineswegs ersichtlich. Man kann nur sagen, daß der Preis des
Bodens infolge unsrer allgemeinen Kulturvcrhältnisse gestiegen sei. Es ist un¬
leugbar, daß ich heute mit tausend Mark uicht so viel Land kaufen kann als
vor hundert oder fünfzig Jahren. Ob aber die sogenannte Bodenrenke eben¬
falls in gleichem Maße gewachsen ist, ist sehr zweifelhaft.") Vielmehr scheint
die gedrückte Lage, in welcher sich die landwirtschaftlichen Grundbesitzer befinden,
ihre starke Verschuldung und das fortwährende Sinken des Preises der haupt¬
sächlichsten landwirtschaftlichen Produkte eher auf das Gegenteil schließen zu
lassen.

Indessen will ich diese Dinge uicht weiter verfolgen, denn es ist nicht
meine Absicht, die Theorie der Bodenrenke hier zu erschöpfen, sondern es sollen
meine kritischen Bemerkungen mir nur zur Rechtfertigung dienen, daß ich bei
meinen weiteren Untersuchungen über die Güterproduktion, die Bodenrenke oder
vielmehr den Boden als einen besondern, von dem Kapital verschiedenen Faktor
nicht aufführe, sondern daß ich den Boden als eine Form des Kapitals, der
Kapitalanlage betrachte, mit der Funktion der Produktion die Naturstoffe zu
liefern.

Wenn ich mich übrigens nicht gänzlich täusche, so ist für die englische
Praxis die Bodenrenke eben nnr noch ein Theorem. Denn nicht nur ist der
Wert landwirtschaftlichen Bodens dem Dogma entgegen keineswegs im Steigen,
sondern nach Zeitungsberichten in manchen Gegenden um 30 bis 50 Prozent
gesunken; nicht nur findet die Verwandlung von Ackerland in Jagdgründe in
ziemlich ausgedehntem Maße, namentlich in Schottland, statt, sondern es kostet
der Quarter Weizen, den man vor Aufhebung der Kornzölle mittelst der glei¬
tenden Scala auf 90 Schillinge zu halten suchte, jetzt nur noch 30 Schillinge.
Zu diesem Preise liefern Indien und Persien zum Teil im Siege über Amerika
den Weizen nach England, welches kaum mehr als die Hälfte seines Bedarfes



") Dr. Schall, "Berechnung des VoNSvermögcils im Königreich Würtemberg," weist nach,
daß in den zwanzig Jahren von'l860 bis 1880 der Geldwert der Gebäude um 120 Prozent, der
Fnhrnis um 102 Prozent, der Berlchrsanstaltcn um 446 Prozent, der Forderungen an das
Ausland um 220 Prozent gestiegen ist, der Geldwert des Grund und Bodens aber nur um
53 Prozent. Überdies deutet er an, daß auch diese Zuunhme wenigstens teilweise mir
Icheinbar sei.

nommer hat. Wie viel dabei auf Rechnung der vermehrten Bevölkerungsziffer
kommt oder auf die Abnahme des Geldwertes oder den mehr gesicherten Rechts¬
zustand oder die Entwicklung der Verkehrsmittel, die Beseitigung innerer Ver-
kehrsschranken u. dergl., ist schwerlich zu entscheiden. Jedenfalls ist die Ansicht,
daß die einfache Division der Gesamtbodenfläche eines Landes durch die Zahl
seiner Einwohner zur Wert bestimmun g des Bodens ausreiche, d. h. daß der
Wert des Bodens umso höher steige, als die Bevölkerung zunehme — jedenfalls
ist diese Ansicht unerwiesen, und wie bereits oben angedeutet, namentlich in
England keineswegs ersichtlich. Man kann nur sagen, daß der Preis des
Bodens infolge unsrer allgemeinen Kulturvcrhältnisse gestiegen sei. Es ist un¬
leugbar, daß ich heute mit tausend Mark uicht so viel Land kaufen kann als
vor hundert oder fünfzig Jahren. Ob aber die sogenannte Bodenrenke eben¬
falls in gleichem Maße gewachsen ist, ist sehr zweifelhaft.") Vielmehr scheint
die gedrückte Lage, in welcher sich die landwirtschaftlichen Grundbesitzer befinden,
ihre starke Verschuldung und das fortwährende Sinken des Preises der haupt¬
sächlichsten landwirtschaftlichen Produkte eher auf das Gegenteil schließen zu
lassen.

Indessen will ich diese Dinge uicht weiter verfolgen, denn es ist nicht
meine Absicht, die Theorie der Bodenrenke hier zu erschöpfen, sondern es sollen
meine kritischen Bemerkungen mir nur zur Rechtfertigung dienen, daß ich bei
meinen weiteren Untersuchungen über die Güterproduktion, die Bodenrenke oder
vielmehr den Boden als einen besondern, von dem Kapital verschiedenen Faktor
nicht aufführe, sondern daß ich den Boden als eine Form des Kapitals, der
Kapitalanlage betrachte, mit der Funktion der Produktion die Naturstoffe zu
liefern.

Wenn ich mich übrigens nicht gänzlich täusche, so ist für die englische
Praxis die Bodenrenke eben nnr noch ein Theorem. Denn nicht nur ist der
Wert landwirtschaftlichen Bodens dem Dogma entgegen keineswegs im Steigen,
sondern nach Zeitungsberichten in manchen Gegenden um 30 bis 50 Prozent
gesunken; nicht nur findet die Verwandlung von Ackerland in Jagdgründe in
ziemlich ausgedehntem Maße, namentlich in Schottland, statt, sondern es kostet
der Quarter Weizen, den man vor Aufhebung der Kornzölle mittelst der glei¬
tenden Scala auf 90 Schillinge zu halten suchte, jetzt nur noch 30 Schillinge.
Zu diesem Preise liefern Indien und Persien zum Teil im Siege über Amerika
den Weizen nach England, welches kaum mehr als die Hälfte seines Bedarfes



") Dr. Schall, „Berechnung des VoNSvermögcils im Königreich Würtemberg," weist nach,
daß in den zwanzig Jahren von'l860 bis 1880 der Geldwert der Gebäude um 120 Prozent, der
Fnhrnis um 102 Prozent, der Berlchrsanstaltcn um 446 Prozent, der Forderungen an das
Ausland um 220 Prozent gestiegen ist, der Geldwert des Grund und Bodens aber nur um
53 Prozent. Überdies deutet er an, daß auch diese Zuunhme wenigstens teilweise mir
Icheinbar sei.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195131"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1665" prev="#ID_1664"> nommer hat. Wie viel dabei auf Rechnung der vermehrten Bevölkerungsziffer<lb/>
kommt oder auf die Abnahme des Geldwertes oder den mehr gesicherten Rechts¬<lb/>
zustand oder die Entwicklung der Verkehrsmittel, die Beseitigung innerer Ver-<lb/>
kehrsschranken u. dergl., ist schwerlich zu entscheiden. Jedenfalls ist die Ansicht,<lb/>
daß die einfache Division der Gesamtbodenfläche eines Landes durch die Zahl<lb/>
seiner Einwohner zur Wert bestimmun g des Bodens ausreiche, d. h. daß der<lb/>
Wert des Bodens umso höher steige, als die Bevölkerung zunehme &#x2014; jedenfalls<lb/>
ist diese Ansicht unerwiesen, und wie bereits oben angedeutet, namentlich in<lb/>
England keineswegs ersichtlich. Man kann nur sagen, daß der Preis des<lb/>
Bodens infolge unsrer allgemeinen Kulturvcrhältnisse gestiegen sei. Es ist un¬<lb/>
leugbar, daß ich heute mit tausend Mark uicht so viel Land kaufen kann als<lb/>
vor hundert oder fünfzig Jahren. Ob aber die sogenannte Bodenrenke eben¬<lb/>
falls in gleichem Maße gewachsen ist, ist sehr zweifelhaft.") Vielmehr scheint<lb/>
die gedrückte Lage, in welcher sich die landwirtschaftlichen Grundbesitzer befinden,<lb/>
ihre starke Verschuldung und das fortwährende Sinken des Preises der haupt¬<lb/>
sächlichsten landwirtschaftlichen Produkte eher auf das Gegenteil schließen zu<lb/>
lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1666"> Indessen will ich diese Dinge uicht weiter verfolgen, denn es ist nicht<lb/>
meine Absicht, die Theorie der Bodenrenke hier zu erschöpfen, sondern es sollen<lb/>
meine kritischen Bemerkungen mir nur zur Rechtfertigung dienen, daß ich bei<lb/>
meinen weiteren Untersuchungen über die Güterproduktion, die Bodenrenke oder<lb/>
vielmehr den Boden als einen besondern, von dem Kapital verschiedenen Faktor<lb/>
nicht aufführe, sondern daß ich den Boden als eine Form des Kapitals, der<lb/>
Kapitalanlage betrachte, mit der Funktion der Produktion die Naturstoffe zu<lb/>
liefern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1667" next="#ID_1668"> Wenn ich mich übrigens nicht gänzlich täusche, so ist für die englische<lb/>
Praxis die Bodenrenke eben nnr noch ein Theorem. Denn nicht nur ist der<lb/>
Wert landwirtschaftlichen Bodens dem Dogma entgegen keineswegs im Steigen,<lb/>
sondern nach Zeitungsberichten in manchen Gegenden um 30 bis 50 Prozent<lb/>
gesunken; nicht nur findet die Verwandlung von Ackerland in Jagdgründe in<lb/>
ziemlich ausgedehntem Maße, namentlich in Schottland, statt, sondern es kostet<lb/>
der Quarter Weizen, den man vor Aufhebung der Kornzölle mittelst der glei¬<lb/>
tenden Scala auf 90 Schillinge zu halten suchte, jetzt nur noch 30 Schillinge.<lb/>
Zu diesem Preise liefern Indien und Persien zum Teil im Siege über Amerika<lb/>
den Weizen nach England, welches kaum mehr als die Hälfte seines Bedarfes</p><lb/>
            <note xml:id="FID_96" place="foot"> ") Dr. Schall, &#x201E;Berechnung des VoNSvermögcils im Königreich Würtemberg," weist nach,<lb/>
daß in den zwanzig Jahren von'l860 bis 1880 der Geldwert der Gebäude um 120 Prozent, der<lb/>
Fnhrnis um 102 Prozent, der Berlchrsanstaltcn um 446 Prozent, der Forderungen an das<lb/>
Ausland um 220 Prozent gestiegen ist, der Geldwert des Grund und Bodens aber nur um<lb/>
53 Prozent. Überdies deutet er an, daß auch diese Zuunhme wenigstens teilweise mir<lb/>
Icheinbar sei.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0455] nommer hat. Wie viel dabei auf Rechnung der vermehrten Bevölkerungsziffer kommt oder auf die Abnahme des Geldwertes oder den mehr gesicherten Rechts¬ zustand oder die Entwicklung der Verkehrsmittel, die Beseitigung innerer Ver- kehrsschranken u. dergl., ist schwerlich zu entscheiden. Jedenfalls ist die Ansicht, daß die einfache Division der Gesamtbodenfläche eines Landes durch die Zahl seiner Einwohner zur Wert bestimmun g des Bodens ausreiche, d. h. daß der Wert des Bodens umso höher steige, als die Bevölkerung zunehme — jedenfalls ist diese Ansicht unerwiesen, und wie bereits oben angedeutet, namentlich in England keineswegs ersichtlich. Man kann nur sagen, daß der Preis des Bodens infolge unsrer allgemeinen Kulturvcrhältnisse gestiegen sei. Es ist un¬ leugbar, daß ich heute mit tausend Mark uicht so viel Land kaufen kann als vor hundert oder fünfzig Jahren. Ob aber die sogenannte Bodenrenke eben¬ falls in gleichem Maße gewachsen ist, ist sehr zweifelhaft.") Vielmehr scheint die gedrückte Lage, in welcher sich die landwirtschaftlichen Grundbesitzer befinden, ihre starke Verschuldung und das fortwährende Sinken des Preises der haupt¬ sächlichsten landwirtschaftlichen Produkte eher auf das Gegenteil schließen zu lassen. Indessen will ich diese Dinge uicht weiter verfolgen, denn es ist nicht meine Absicht, die Theorie der Bodenrenke hier zu erschöpfen, sondern es sollen meine kritischen Bemerkungen mir nur zur Rechtfertigung dienen, daß ich bei meinen weiteren Untersuchungen über die Güterproduktion, die Bodenrenke oder vielmehr den Boden als einen besondern, von dem Kapital verschiedenen Faktor nicht aufführe, sondern daß ich den Boden als eine Form des Kapitals, der Kapitalanlage betrachte, mit der Funktion der Produktion die Naturstoffe zu liefern. Wenn ich mich übrigens nicht gänzlich täusche, so ist für die englische Praxis die Bodenrenke eben nnr noch ein Theorem. Denn nicht nur ist der Wert landwirtschaftlichen Bodens dem Dogma entgegen keineswegs im Steigen, sondern nach Zeitungsberichten in manchen Gegenden um 30 bis 50 Prozent gesunken; nicht nur findet die Verwandlung von Ackerland in Jagdgründe in ziemlich ausgedehntem Maße, namentlich in Schottland, statt, sondern es kostet der Quarter Weizen, den man vor Aufhebung der Kornzölle mittelst der glei¬ tenden Scala auf 90 Schillinge zu halten suchte, jetzt nur noch 30 Schillinge. Zu diesem Preise liefern Indien und Persien zum Teil im Siege über Amerika den Weizen nach England, welches kaum mehr als die Hälfte seines Bedarfes ") Dr. Schall, „Berechnung des VoNSvermögcils im Königreich Würtemberg," weist nach, daß in den zwanzig Jahren von'l860 bis 1880 der Geldwert der Gebäude um 120 Prozent, der Fnhrnis um 102 Prozent, der Berlchrsanstaltcn um 446 Prozent, der Forderungen an das Ausland um 220 Prozent gestiegen ist, der Geldwert des Grund und Bodens aber nur um 53 Prozent. Überdies deutet er an, daß auch diese Zuunhme wenigstens teilweise mir Icheinbar sei.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/455
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/455>, abgerufen am 23.07.2024.