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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine perle.

dem Schilde hatte sich, umrankt von Rebeulaub und Kletterrosen, das steinerne
Wappen des einst mächtigen Geschlechts erhalten, das, zum Gedächtnis an
seinen armen, mit hölzernen Leitern handelnden Vorfahren, eine Leiter -- eine
Scala -- in seinem Schilde führte, ans welcher ein Adler saß, das Wappentier
der römisch-deutschen Kaiser.

Bei dein Sturze der Scaliger hatten die Gonzagas mitgeholfen, von jeher
lehrten die Buonacolsis daher in der Herberge zu Scala ein, mochte die Be¬
wirtung noch so viel zu wünschen übrig lassen, und auch der Vater Floridas,
der an solchen Überlieferungen seines Hauses mit ehrfurchtsvoller Treue festhielt,
nahm in keiner andern dortigen Herberge Unterkunft.

Im Gegensatz dazu waren die Gonzagas von Alters her ebenso nachsichtig
anspruchslose Kunden des der Scala gegenüberliegenden Gasthauses zum Comte
della Virtu -- bekanntlich der Beiname des ersten Herrschers, welcher den Scaligern
folgte, des Giovanni Gcileazzo Visconti, dessen Jugend in kirchlichen Übungen
verstrichen war.

Nun fügte es der Zufall, daß eben zu derselben Zeit, als die Buonaeolsis
in der Scala nächtigten, Giuseppe Gonzaga im ersten Stock des Conte della
Virtn beim Weine saß, denn in der Nähe der Wallfahrtskirche Madonna ti
Campagna bei Verona pflegte an jedem ersten Quartalmontag ein stark be¬
suchter Pferdemarkt abgehalten zu werden, Giuseppe, ein leidenschaftlicher Pferde¬
liebhaber, hatte aber heute dort ein Dreigespann von Modeneser Grau¬
schimmeln erstanden, und da das zur Kvmpletirung des Gespannes erforderliche
vierte Pferd gleicher Farbe in Villafranca zu finden sein sollte, so hatte er sich
dahin begeben.

Dieser Handel lag ihm sehr am Herzen, denn die berühmte Naturbrücke
Porte ti Veja -- unweit Lngo war ohnlängst von einem verwegenen
jungen Fant aus S. Martino mit einem Zweigespann befahren worden -- ihre
Breite betrügt nnr sechs Meter und rechts und links gähnen Abgründe --, und
seitdem redeten alle Damen Veronas nnr von dein Mute Felice Ligozzis, so
hieß der glückliche Wagehals.

Da nun Giuseppe Gonzaga bisher niemandem das Recht zugestanden hatte,
ihn in Leistungen dieser Art in den Schatten zu stellen, so war er Willens,
sobald er ein passendes Viergespann finde, vor aller Augen den Ponte ti Bejn
mit demselben zu befahren. Das Dreigespann hatte nun zwar mehr Jugend-
fe"er und mehr Lust zu tollen Seitensprüngen, als für das gefährliche Vorhaben
zweckdienlich war. Diese Eigenschaften hatten es ihm aber gerade empfohlen,
da er nun einmal nnr im Vollbringen von Tollkühnheiten Befriedigung fand,
und so war ihm auch der Besitzer des vierte" Grauschimmels, obschon nur ein
simpler Holzkvhlenhändler, nicht zu schlecht und nicht zu schwarz gewesen, als
daß Giuseppe Gonzaga nicht den Versuch gemacht hätte, die Abgeneigtheit des
Kohlenhändlers gegen das Weggeben des ihm werten Tieres durch ein paar


Um eine perle.

dem Schilde hatte sich, umrankt von Rebeulaub und Kletterrosen, das steinerne
Wappen des einst mächtigen Geschlechts erhalten, das, zum Gedächtnis an
seinen armen, mit hölzernen Leitern handelnden Vorfahren, eine Leiter — eine
Scala — in seinem Schilde führte, ans welcher ein Adler saß, das Wappentier
der römisch-deutschen Kaiser.

Bei dein Sturze der Scaliger hatten die Gonzagas mitgeholfen, von jeher
lehrten die Buonacolsis daher in der Herberge zu Scala ein, mochte die Be¬
wirtung noch so viel zu wünschen übrig lassen, und auch der Vater Floridas,
der an solchen Überlieferungen seines Hauses mit ehrfurchtsvoller Treue festhielt,
nahm in keiner andern dortigen Herberge Unterkunft.

Im Gegensatz dazu waren die Gonzagas von Alters her ebenso nachsichtig
anspruchslose Kunden des der Scala gegenüberliegenden Gasthauses zum Comte
della Virtu — bekanntlich der Beiname des ersten Herrschers, welcher den Scaligern
folgte, des Giovanni Gcileazzo Visconti, dessen Jugend in kirchlichen Übungen
verstrichen war.

Nun fügte es der Zufall, daß eben zu derselben Zeit, als die Buonaeolsis
in der Scala nächtigten, Giuseppe Gonzaga im ersten Stock des Conte della
Virtn beim Weine saß, denn in der Nähe der Wallfahrtskirche Madonna ti
Campagna bei Verona pflegte an jedem ersten Quartalmontag ein stark be¬
suchter Pferdemarkt abgehalten zu werden, Giuseppe, ein leidenschaftlicher Pferde¬
liebhaber, hatte aber heute dort ein Dreigespann von Modeneser Grau¬
schimmeln erstanden, und da das zur Kvmpletirung des Gespannes erforderliche
vierte Pferd gleicher Farbe in Villafranca zu finden sein sollte, so hatte er sich
dahin begeben.

Dieser Handel lag ihm sehr am Herzen, denn die berühmte Naturbrücke
Porte ti Veja — unweit Lngo war ohnlängst von einem verwegenen
jungen Fant aus S. Martino mit einem Zweigespann befahren worden — ihre
Breite betrügt nnr sechs Meter und rechts und links gähnen Abgründe —, und
seitdem redeten alle Damen Veronas nnr von dein Mute Felice Ligozzis, so
hieß der glückliche Wagehals.

Da nun Giuseppe Gonzaga bisher niemandem das Recht zugestanden hatte,
ihn in Leistungen dieser Art in den Schatten zu stellen, so war er Willens,
sobald er ein passendes Viergespann finde, vor aller Augen den Ponte ti Bejn
mit demselben zu befahren. Das Dreigespann hatte nun zwar mehr Jugend-
fe»er und mehr Lust zu tollen Seitensprüngen, als für das gefährliche Vorhaben
zweckdienlich war. Diese Eigenschaften hatten es ihm aber gerade empfohlen,
da er nun einmal nnr im Vollbringen von Tollkühnheiten Befriedigung fand,
und so war ihm auch der Besitzer des vierte» Grauschimmels, obschon nur ein
simpler Holzkvhlenhändler, nicht zu schlecht und nicht zu schwarz gewesen, als
daß Giuseppe Gonzaga nicht den Versuch gemacht hätte, die Abgeneigtheit des
Kohlenhändlers gegen das Weggeben des ihm werten Tieres durch ein paar


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[0439] Um eine perle. dem Schilde hatte sich, umrankt von Rebeulaub und Kletterrosen, das steinerne Wappen des einst mächtigen Geschlechts erhalten, das, zum Gedächtnis an seinen armen, mit hölzernen Leitern handelnden Vorfahren, eine Leiter — eine Scala — in seinem Schilde führte, ans welcher ein Adler saß, das Wappentier der römisch-deutschen Kaiser. Bei dein Sturze der Scaliger hatten die Gonzagas mitgeholfen, von jeher lehrten die Buonacolsis daher in der Herberge zu Scala ein, mochte die Be¬ wirtung noch so viel zu wünschen übrig lassen, und auch der Vater Floridas, der an solchen Überlieferungen seines Hauses mit ehrfurchtsvoller Treue festhielt, nahm in keiner andern dortigen Herberge Unterkunft. Im Gegensatz dazu waren die Gonzagas von Alters her ebenso nachsichtig anspruchslose Kunden des der Scala gegenüberliegenden Gasthauses zum Comte della Virtu — bekanntlich der Beiname des ersten Herrschers, welcher den Scaligern folgte, des Giovanni Gcileazzo Visconti, dessen Jugend in kirchlichen Übungen verstrichen war. Nun fügte es der Zufall, daß eben zu derselben Zeit, als die Buonaeolsis in der Scala nächtigten, Giuseppe Gonzaga im ersten Stock des Conte della Virtn beim Weine saß, denn in der Nähe der Wallfahrtskirche Madonna ti Campagna bei Verona pflegte an jedem ersten Quartalmontag ein stark be¬ suchter Pferdemarkt abgehalten zu werden, Giuseppe, ein leidenschaftlicher Pferde¬ liebhaber, hatte aber heute dort ein Dreigespann von Modeneser Grau¬ schimmeln erstanden, und da das zur Kvmpletirung des Gespannes erforderliche vierte Pferd gleicher Farbe in Villafranca zu finden sein sollte, so hatte er sich dahin begeben. Dieser Handel lag ihm sehr am Herzen, denn die berühmte Naturbrücke Porte ti Veja — unweit Lngo war ohnlängst von einem verwegenen jungen Fant aus S. Martino mit einem Zweigespann befahren worden — ihre Breite betrügt nnr sechs Meter und rechts und links gähnen Abgründe —, und seitdem redeten alle Damen Veronas nnr von dein Mute Felice Ligozzis, so hieß der glückliche Wagehals. Da nun Giuseppe Gonzaga bisher niemandem das Recht zugestanden hatte, ihn in Leistungen dieser Art in den Schatten zu stellen, so war er Willens, sobald er ein passendes Viergespann finde, vor aller Augen den Ponte ti Bejn mit demselben zu befahren. Das Dreigespann hatte nun zwar mehr Jugend- fe»er und mehr Lust zu tollen Seitensprüngen, als für das gefährliche Vorhaben zweckdienlich war. Diese Eigenschaften hatten es ihm aber gerade empfohlen, da er nun einmal nnr im Vollbringen von Tollkühnheiten Befriedigung fand, und so war ihm auch der Besitzer des vierte» Grauschimmels, obschon nur ein simpler Holzkvhlenhändler, nicht zu schlecht und nicht zu schwarz gewesen, als daß Giuseppe Gonzaga nicht den Versuch gemacht hätte, die Abgeneigtheit des Kohlenhändlers gegen das Weggeben des ihm werten Tieres durch ein paar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/439>, abgerufen am 22.07.2024.